Trick-Siebzehn an Bord (135)


der geniale Deller-Takling

Vor vielen Jahren war sie jedem Segler aus München ein Begriff, die „Witwe“. Wenn man sich im Hofbräuhaus zum Essen traf, war es üblich, gleich nebenan noch bei Schwaigers Witwe vorbeizuschauen und seinen Schäkel oder sonstige angeblich so wichtige Sachen zu kaufen. Die Seilerei, die "Witwe", war nämlich so ziemlich das einzige Geschäft in München, wo man Festmacherleinen, neue Fallen oder maßgeschneiderte Anlegeleinen kaufen konnte. Nein, keine Massenware, sondern eben eine Fockschot 12 mm, genau 22 Meter. Die freundliche alte Dame an der Kasse nahm diese Orders nicht entgegen. Wann immer Maßarbeit gefragt war, wurde nach dem Erwin gerufen.

Erwin Deller war Seiler-Meister, wie auch immer im Geschäft betont wurde. Und er konnte jeden Wunsch erfüllen, gleichgültig, ob es Wanten waren mit gepressten Terminals oder extra beigegebene Norseman-Terminals oder auch, wenn uns Niro zu teuer gewesen wäre, schwere feuerverzinkte Wirbelschäkel für den Anker. Wenn man Erwin dann, ob seiner Geschicklichkeit, der prompten Erledigung ("mach ich gleich") oder auch des Kundendienstes lobte, leuchteten seine Augen. Und so blieb es nicht aus, dass Erwin eines Tages zur Mannschaft der THALASSA stieß und sich beim Regattasegeln entsprechend seiner handwerklichen Fähigkeiten einbrachte - "Hast ned no was, was erledigt werden muss?“. Man hatte das Gefühl, seine Seilermeister-Fertigkeiten gingen ihm über alles. Er war beliebt bei allen Chiemsee -Seglern, denn er hatte ein geradezu inniges Gefühl für sie und ihre Leinen- und Drahtprobleme. Später hatte er dann sogar auf dem Gelände des Chiemsee-Yachtclubs einen eigenen Verkaufs-"Stand" in Form eines Wagens mit aufklappbarer Seite und war nun imstande, alle notwendigen Arbeiten an den Schiffen sofort und vor Ort zu erledigen. Der Name dieses fahrbaren Ladens lautete treffsicher: "Erwin's Mast-und Schotbruchkiste“. Er machte auch kein Hehl aus seiner Freude am Takeln, Spleissen, Mast aufstellen und so fort: Wenn es mal bei einer Regatta stürmte, strahlte er: "Heit ist ein herrliches Wetter, das gibt wieder jede Menge Mastbrüche!"

Dass Erwin unendlich viele Knoten kannte und konnte, verwunderte bei seinem Berufsethos wenig. Wahrscheinlich waren es nicht so viele Knoten wie beim Ashley, aber immerhin!

Sie kennen den Ashley nicht? Damals war der Wälzer in jeder Bordbibliothek zu finden, enthält, keine Übertreibung, mehrere tausend Knoten. Jetzt werden Sie mich festnageln! Habe ich nicht gesagt, zum Weltumsegeln braucht es nicht mehr als etwa sechs oder acht Knoten? Richtig, die Zeiten sind vorbei, in denen man sich für eine Vielfalt von Knoten interessierte, die man im bürgerlichen oder auch im seglerischen Leben niemals braucht. Ich bin sicher, dass Sie zum Beispiel keine Ahnung haben, wie man einen Elefanten aus der Decksfracht verknotet, um ihn sicher auf die Pier zu schwenken. Der Ashley wusste es.

Alle Knoten, alle Steke und Taklings stehen im Ashley, alle, die wir garantiert niemals benötigen. Aber zugegeben, es ist ein wunderbares Hobby, sich mit Knoten und überhaupt mit Arbeiten mit Leinen und Tampen zu beschäftigen. In den windarmen Zonen zum Beispiel der Doldrums hatten die Seeleute an Bord der Windjammer viel Zeit und haben in der Flaute manche Kunstwerke allein mit Fäden und Leinen geschaffen, so wie das abgebildete Fancywork - keine fremden Federn, die Arbeit ist nicht von mir!

Erwin Deller sah seine Aufgabe vor allem darin, unser Seglerleben zu erleichtern. Als er einmal einen etwas verunglückten genähten Takling von mir auf der Thalassa entdeckte, zeigte er mir seine eigene Erfindung eines Taklings, die einen großen Vorteil gegenüber dem in Segelschulen gelehrten genähten Takling hat, zu dem neben Takelgarn unbedingt eine starke Segelnadel gehört. "Sein“ Takling nämlich, ist kinderleicht nachzumachen und war in kürzester Zeit zu erlernen - selbst von mir.

Es soll ja Segler geben, die, mal ehrlich, gar nicht wissen, wozu so ein Takling gut ist. Keine Schande, denn heute ist er bei weitem nicht mehr so wichtig wie zu Zeiten von Naturfasern, seien es die von der Kokosnuss oder die aus Baumwolle. Die damaligen Tampen konnte man nämlich nicht, so wie heute, mit dem Zündholz oder dem Heißschneider verschweißen. Und so bestand immer die Gefahr, dass sie mit der Zeit und Belastung aufgingen, nicht selten nachts oder bei schwerem Wetter. Aber auch bei den heutigen Kunststoffen können die Schweißstellen am "Ende" der Leine zerbrechen oder aufdröseln, sodass der aktive Teile einer gedrehten Leine oder Trosse immer mehr durch einen ordinären Knopf verkürzt wird, der das weitere Aufdrehen einer Leine verhindern soll. Eine nautische Scheußlichkeit sondersgleichen!

Ich gebe zu, dass ich beim Betreten eines fremden Bootes immer zuerst einen Blick auf die Tampen der Schoten, Leinen und Trossen werfe. Das ist so vielsagend, dass ich sofort weiß, mit wem ich es zu tun habe. Nautisch …

Hier also, der Deller-Takling: Außer Takelgarn braucht man kaum etwas; statt des an jedem Seglermesser vorhandenen Marlspiekers kann man zur Not auch einen Schraubendreher nehmen. Der Deller-Takling ist beileibe kein Behelfstakling, sondern hat, in meinem Fall, eine ganze Weltumsegelung und darüber hinaus wunderbar gehalten. Beim Schiffsverkauf sah er immer noch so aus, als sei er eben gesetzt worden.



Nachwort: Erwin wurde lange vor der Zeit vom obersten Seemann abberufen. Eine seiner letzten Sätze lautete: "Schad, meine Mast-und Schotbruchkiste kann i net mitnehma..."

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