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Faszination: Sturm der Stürme
Es ist ein Thema, das wohl alle
Segler beschäftigt, ein Faszinosum: Der Sturm der Stürme, den alle erwarten,
alle mit Schauer fürchten. Niemand kennt ihn, jeder möchte wissen, wie er
"seinen" Sturm erleben (überleben?) wird. Einer der besten
Segeljournalisten, Svante Domitzlaff, hat ihn schon hinter sich (wirklich?) und
beschreibt ihn für diese Homepage. Wer mehr von Domizlaff über
dieses Thema erfahren möchte, lese seinen Bestseller "YACHTEN IM
ORKAN" (Delius Klasing), den authentischen Bericht über das Fastnet-Race
1979, das in die Geschichte des Segelsports als die größte Katastrophe
eingeganen ist. Svante Domitzlaff war Verbandssprecher beim DSV und lebt in
Hamburg. Bobby Schenk
Für jeden gibt’s den „Sturm aller Stürme“
von
Svante Domizlaff
Wer
gibt es schon gerne zu, aber der Gedanke irgendwann den Sturm aller Stürm zu
erleben, natürlich unbeschadet, kitzelt wohl jeden Segler. Warum sonst wohl übt
Kap Hoorn auf Segler wie Nichtsegler eine so starke Faszination aus?
Wer
40 Jahre einigermaßen häufig an Regatten teilgenommen hat und die eine oder
andere Tour hinter sich, konnte kaum allen Stürmen aus dem Weg gehen. Wer sich
mit Fragen der Sturmbewältigung auseinandersetzt, wie das in Fachbüchern und
vielfältigen Erörterungen der Wassersportpresse oft getan wird, beschäftigt
sich meist mit theoretischen Fragen: Wie bereite ich mein Schiff und die
Mannschaft vor, wie verhalte ich mich im Seegang, wie komme ich aus dem
Schlamassel wieder raus?
Alle
diese Fragen sind wichtig, aber eben sehr theoretischer Natur. Ich bin fest
davon überzeugt, daß ein Sturm in erster Linie durch instinktives Handeln bewältigt
wird. Wenn es ernst wird, versagt das Angelernte. Nur so ist zu verstehen, daß
es Segler gibt, die sich vor Angst mit Beruhigungstabletten lähmen, daß andere
in Panik ihr vielleicht angeschlagenes, aber noch schwimmfähiges Schiff
verlassen und sich lieber einer fragilen Gummiwurst anvertrauen. Etwas anderes
sind Rettungsinseln nämlich nicht.
Hundertprozentiges
Wissen gibt es nicht. Jedes Schiff verhält sich in Sturmseen unterschiedlich,
zumal ja auch die Sturmseen selbst, je nach Seegebiet, Windstärke und Strömung
sich ganz unterschiedlich entwickeln. Ein ganz wesentlicher Punkt ist die Frage,
wie lange wird der Sturm nach dauern, hat er seinen Höhepunkt schon überschritten
oder legt er noch weiter zu? Natürlich spielt auch die Seekrankheit eine Rolle.
Dazu
einige Erinnerungen aus eigenem Erleben: Das Fastnet-Rennen von 1979, der berühmte
Todesorkan, der 19 Tote auf See zurückließ, hat bei mir über die Jahre ganz
andere Erinnerungen zurückgelassen, als man eigentlich glauben sollte.
Todesangst hat niemand an Bord gehabt, da bin ich mir ziemlich sicher. Ja, einen
mächtigen Schrecken gab es immer wieder. Es war ein komisches Gefühl auf der Flushdeck-Yacht
TINA bis zum Hals im Wasser zu sitzen, es war gar nicht so ein komisches Gefühl
in finsterer Nacht aufrecht auf der Innenseite des Rumpfes zu stehen und zu
wissen, daß der Masttopp im Wasser steckt. Es war verblüffend zu erkennen, daß
eine fünf Quadratmeter große Sturmfock soviel Angriffsfläche bietet, daß sie
eine 14-m-Admiral’s-Cup-Yacht flachlegen kann. Es hat uns einen heiligen
Schrecken versetzt, daß die vor Topp und Takel treibende TINA, immerhin ein
durabel bei Dübbel & Jesse gebautes Aluminium-Schiff, durch die Wucht eines
einzigen Brechers eine tiefe, zwei Quadratmeter große Beule im Rumpf
davontragen würde. Um so eine Beule zu bewirken müßte ich der TINA in meinem
alten Mercedes wenigstens mit 50 km/h Speed in die Seite fahren. Der wäre dann
Schrott. Tatsächlich haben wir im ersten Augenblick gedacht, wir seien von
einem Frachter gerammt worden. War aber „nur“ Wasser.
Nein,
Todesangst hatten wir trotzdem nicht. Ich erinnere mich aber an ein starkes Gefühl
großen Mißbehagens, nicht nur wegen der Seekrankheit, sondern wegen der Kälte,
der Nässe und des unerträglichen Juckens der durchtränkten Faserpelzunterwäsche,
schließlich der Scham, weil wir nach dem Ruderbruch aus der Cup-Wertung
gefallen waren. Über eine besondere Sturmtaktik hat sich niemand einen Kopf
gemacht. Wir segelten solange es ging, danach ließen wir uns treiben (fast wie
im richtigen Leben, was?)
Trotz
der Toten von Fastnet, in wesentlich schlimmerer Erinnerung habe ich die
Skagen-Regatta 1975 von Helgoland nach Kiel. Anfangs 7, später 9, in Böen 10
Windstärken aus Nordwest, 6 Grad C. Wasser- und Lufttemperatur. Schon zehn
Minuten nach dem Start der „I-Punkt“, eines 12,5 m Flushdeck-Cuppers mit Pinnensteuerung (!) war alles klatschnaß und
die Hälfte der Crew ausgefallen. Unser Navigator war Dr. Reinhard Laucht, als
Skipper der PETER VON DANZIG gerade von der Weltregatta zurückgekommen und
heute im Vorstand des Schlimbach-Preis-Kommittees. Er hatte auf seiner gesamten
Weltreise nicht solche Verhältnisse erlebt, wie er später zugab.
In
der Jammerbucht schwere Schauerböen und ein mordsmäßiger, kurzer, steiler
Seegang. Kein Hafen in der Nähe. Derartige Brecher habe ich nie wieder gesehen,
denn im Fastnet-Sturm war’s ja dunkel. Besonders appetitlich waren jene
himmelhohen Wogenkämme, die mit ca. 10 Meter langen Rundhölzern gespickt
waren. Die Baumstämme hatte wohl ein Holzfrachter verloren, jedenfalls erinnere
ich mich mit Unbehagen an diese schwimmenden Ungetüme.
Die
„I-Punkt“ schoß mit ihrem Speed, obwohl wir zeitweise nur mit Sturmfock
segelten, meterweit über die Brecher hinaus und knallte mit einem derartigen
Effekt in die (tiefen) Wellentäler, daß uns Hören und Sehen verging.
Irgendwann brach das Schott zum Vorschiff, später fanden wir heraus, daß aus
dem GFK-Balsaholz-Sandwich-Rumpf handtellergroße Placken herausgebrochen waren.
Mit
jeder zweiten See waren Deck und Cockpit vollständig überflutet. Der
Steuermann war an der Seereling festgebunden, weil jede Flut drohte ihn über
Bord zu reissen. Wir haben uns beim Rudergehen halbstündig abgelöst, durch ein
kleines Cockpitfenster prüfte die Freiwache nach jeder Volldusche, ob der
Steuermann noch ans einem Platz sitzt. Mann, das war ein Scheiße.
Warum
keiner auf die Idee gekommen ist umzukehren? So muß das beim Rußlandfeldzug im
Winter gewesen sein, Rückzug war irgendwie nicht eingeplant. Von 60 gestarteten
Schiffen haben es schließlich immerhin 15 ins Ziel geschafft. Komischer Weise
bin ich bei dieser Skagen-Regatta, der einzigen meines Lebens, auch noch als
Sieger ins Ziel gekommen. Das hat die Mühen dann nachträglich etwas versüßt.
Über
Sturmtaktiken haben wir uns damals nicht einen Augenblick lang Gedanken gemacht.
Wir haben die „I-Punkt“ gesegelt wie eine Jolle. In den schweren Böen war
die Pinne eh nicht mehr zu halten, wir haben sie einfach losgelassen und den
Kopf eingezogen. Wenn eine von diesen Monsterseen angerollt kam, und in der
flachen Nordsee gibt es reichlich Monsterseen, schoß mir der Gedanke durch den
Kopf: „Hey, das ist ja wie im Kino – aber wo ist hier der Ausgang?“
Als
Beweis dafür, daß nicht der Wind, sondern der Seegang das wirkliche Problem
ist, kann die Regatta St. Petersburg – Fort Lauderdale 1980 in Florida
herhalten. Mit dem starken Golfstrom im Rücken mußten wir mit der „Tina“
gegen einen Norder von, na ja, vielleicht 7-8 Windstärken aufkreuzen. 7-8
Windstärken gegenan und 5 Knoten Schiebestrom, da kann sich jeder vorstellen
wie es aussieht. Eine extrem steile Welle hat das Schiff durcheinandergeschüttelt.
Obwohl die Wassertemperatur nahe 25 Grad C. lag, haben wir völlig durchnäßt
ziemlich geklappert. Richtig gutes Ölzeug gab’s ja damals noch nicht.
Alexander Hagen, der zweimalige Starboot-Weltmeister, hockte im Mittelcockpit
wie in einem Schützengraben bei Schrapnellfeuer. Ich glaube, er ist seither nie
wieder an Bord einer großen Yacht gewesen.
Eine
extrem ungemütliche Regatta. Ich möchte nicht wissen, wie es aussieht, wenn
ein Hurricane über den Golfstrom zieht. Die Amerikaner haben aus der St.
Petersburg-Regatta gleich „das Fastnet von Amerika“ gemacht. Es gab zwar
viel Bruch, aber keine Toten.
Einen
der schlimmsten Orkane unserer Breiten habe ich im Winter 1976 an Bord des großen
Seenotrettungskreuzers „John T. Essberger“ bei Fehmarn erlebt. Das waren die
Tage der großen Sturmflut in Hamburg. Ich habe ziemlich fassungslos von der
geheizten Brücke aus mitangesehen, wie auf der ablandigen Seite, nur hundert
Meter, was sage ich, 50 Meter vom Strand entfernt das glatte Wasser in Fetzen
von der Oberfläche angehoben und fortgerissen wurde. Bis in drei, vier Meter Höhe
war nur ein einziger Gischtnebel zu erkennen.
Später
haben wir weiter draußen einen Einsatz gefahren. Beim Anrennen gegen die See
mit 18 Knoten ist das immerhin 40 Meter lange Schiff von jeder dritten oder
vierten Woge auf 5 Knoten abgebremst worden und das Alu-Deck wippte und bog sich
mittschiffs wie ein Trampolin.
Ein
voll beladener 3000-Tonnen-Chemikalientanker der Reederei, für die ich arbeite,
ist vor Okinawa in einen Taifun geraten, 10 Seemeilen von der Schutz bietenden Küste
entfernt. Der Tanker ist stundenlang so von der See eingedeckt worden, daß es
auf der Brücke immer wieder schwarz wurde.
Mit anderen Worten, die gesamten Aufbauten standen unter massivem Wasser. Dabei
ist sogar noch fotografiert worden, obwohl mir der Kapitän später andeutete,
daß er wirklich um Schiff und Leben gefürchtet hat. - Fotos unter www.rantzau.de.
Sein Plan, die See in langsamer Fahrt mit 20 Grad von vorn zu nehmen, erwies
sich als richtig. Das Schiff überstand den Taifun fast unbeschadet, nicht
zuletzt wegen seiner speziellen Panzerung der Fenster und Schotten - Panzerung
gegen Piratenüberfälle, nicht gegen Taifune.
Der
deutsche Kapitän hat mit hinterher erzählt, daß er seiner philippinischen
Crew eine Art persönlicher Beaufort-Skala verklart hat, an der der Ernst der
Lage zu erkennen sei. Wenn er keinen Kaffee mehr trinken würde, sei die Lage
wirklich ernst. Wenn er aufhören würde zu rauchen, sei die Lage nahe
hoffnungslos. In der Nacht auf der Brücke fütterten ihn seine Kollegen mit
Kaffee und Zigaretten. Erst hörte er auf zu trinken, da starrten sie gebannt
auf die Glut der Zigarette. Dann hörte er auf zu rauchen. Über die Stunden
danach wollte er hinterher nicht mehr reden. Man kann sich vorstellen, was in
der Crew vorgegangen ist. Die Geschichte habe ich in meinem Buch „John T.
Essberger – Eine deutsche Geschichte der Tankfahrt“ (Koehler Verlag)
beschrieben. Da findet man auch ein schönes Doppelseiten-Farbfoto aus dem
Taifun.
Bei
Editon Maritim ist derzeit die Übersetzung eines Buches über das katastrophale
Sydney-Hobart-Race vor zwei Jahren in Arbeit. Die Farbaufnahmen, die das Buch
bebildern, wurden aus dem Hubschrauber gemacht, ziemlich cool. So eine tosende
See mit Yachten drin habe ich noch nie gesehen.
Die
beste literarische Beschreibung eines Orkans habe ich in Joseph Conrads
„Taifun“ gelesen, sie ist sowohl literarisch als auch präzise. Allerdings
geht es in dem Roman um einen Dampfer, die „Nan Shan“ und kein Segelschiff,
aber die Angst ist dieselbe. „Taifun“ war übrigens der Lieblingsroman von
Konrad Adenauer, wegen der Figur des Kapitäns McWhirr, der sein Schiff mit
unerschütterlichem Glauben zerupft aber heil durch das Unwetter bringt.
Die
atemberaubendste journalistisch-literarische Beschreibung eines Orkans fand ich
in dem Buch „Die letzten Segelschiffe“ von Heinrich Hauser. An Bord eines
Flying-P-Liners gerät er in einen Wintersturm am Ausgang des englischen Kanals.
In dem Kapitel befinden sich Momente jenseits aller Hoffnung, ergreifend
lakonisch beschrieben. Junge, Junge, mit dem hätte ich nicht tauschen mögen!
Kaum
faßbar ist die wahre Geschichte des englischen Rahseglers „British Isles“,
dessen Kapitän drei Monate lang versucht Kap Hoorn von Ost nach West zu
umsegeln; ein ganzes Buch über eine einzige Sturmfahrt. Hat was von Kafka. Die
haben’s immer wieder versucht, was blieb ihnen auch anderes übrig? Die Ladung
ins Meer schmeißen? Zurück nach Hause? Kaum denkbar. Den Buchtitel
(„Sturmverweht“?) und Autor habe ich derzeit nicht parat, kann ich aber
rauskriegen. Ist auch auf Deutsch erschienen. Wen’s interessiert, der kann
sich unter sdomizla@dal.rantzau.de
erkundigen.
Alte
Salzbuckel meinen ja, schlimmer als ein Orkan sei eine totale Flaute.
Nachzulesen bei Joseph Conrads „Schattenlinie“. Heute haben wir ja einen
Volvo Penta zum schieben, aber eine bemerkenswerte Stimmung entsteht in so einem
„Nichts“ allemal.
Der
Mensch verfügt über die wunderbare Gabe, vergessen und verdrängen zu können.
Am schnellsten ist die Seekrankheit vergessen, auch die Stürme legen sich in
der Erinnerung. Es sei denn, man ist Käpt’n Blaubär. In der Vergessenheit
liegt der Stürme Ungemach am besten, nur die großen Theoretiker könnens nicht
lassen endgültige Tipps zu geben.
Nachtrag:
Bei dem erwähnten Buch handelt es sich um: William H. Jones
"Sturmverweht - Die Saga des Vollschiffes British Isles", erschienen
1968 im Verlag Die Brigantine in
Hamburg. Englischer Titel: "The Cape Hoorn Breed"
S.D.
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