THALASSA segelt zu den schönsten Inseln der Welt


Wenn wir die Frage, warum wir um die Welt segeln, ehrlich beantwortet hätten, dann wäre die Antwort wohl gewesen: "Um in die Tuamotus zu kommen!". Und jetzt waren wir mittendrin...

   Montag, der 7.Oktober 02 - Abschied mit "Flug" nach Tahiti

   Freitag, der 6.September 02 - kleines Paradies am falschen Pass

   Samstag, der 16. August 02 - im Herz der Tuamotus

 

7. Oktober 02 - Abschied und "Flug" nach Tahiti

Matariva ist eine Insel mit einem Durchmesser von 800 Meter. Es gibt keine Berge, deshalb auch keine Täler. Sie ist bewaldet, vor allem mit Palmen, schätzungsweise ein paar Tausend. Im Westen sind die Palmen so aufgereiht wie eine Allee, ein sicheres Zeichen, dass vor ein paar Jahrzehnten - Palmen tragen nicht länger als ein halbes Jahrhundert - Menschen, wahrscheinlich Taupiri und seine Familie versucht haben, systematisch Kopra (das ist das weiße Zeugs in der Kokosnuss) zu produzieren.

Jetzt leben auf Matariva Taupiri und seine Söhne Stelleo und Jean-Paul, sowie Schwester Valerie und Schwager Gaston, also gerade mal fünf Menschen. Gelegentlich kommt Cousine Pamela (Bild) mit ihrem Freund von der Nachbarinsel rüber. Pamela züchtet auf ihrer Insel Perlen, die sie versucht, selten vorbeikommenden Touristen zu verkaufen oder einzutauschen. Sie genießt es bei ihren Verwandten zu sein, denn Polynesier lieben Gesellschaft und auf der Insel, die Pamela gehört, ist sie mit ihrem Freund ganz allein. Was für westliche Menschen oft die Erfüllung ihrer Träume wäre, eine Insel für zwei, ist für Pamela eine Last.

Vor Matariva ankern derzeit, seit Wochen, drei Katamarane und ein Mono, ORION mit Elke und Wolfram. Auf dem Kat HARLEKIN sind Ingrid und Norbert und auf der amerikanischen LADY STARLIGHT Kelcey und Jim mit ihren Boys. Die Taupiri-Familie "adoptiert" je nach Laune das eine oder andere Schiff. Stelleo, der 19-jährige, kann es nicht ausstehen, allein zu bleiben. Wenn Taupiri mit Jean-Paul zusammen zum Fischen hinausfahren (der Hund Tequila ist immer dabei), dann sucht sich Stelleo eine der Yachten aus, um es sich bequem zu machen. Stelleo ist pflegeleicht. Er bringt oft sein Essen in Form eines frisch harpunierten Papageienfisches selbst mit. Blitzschnell hat er ihn filettiert und bereitet das Nationalgericht Poisson Cru zu. Wir sind die letzte Yacht, die noch Zwiebel hat, Stelleo freut sich für seinen rohen Fisch. Der Zwei-Zentner-Junge lacht über unsere Mini-Portionen Reis. Die Schüssel verschlingt er in Minuten. Dazu trinkt er fast 2 Liter Wasser, wobei er nicht glauben kann, dass es "Maschinenwasser" ist. "Auf anderen Yachten schmeckt es immer nach Salz..."

Am Samstag waren wir auf HARLEKIN  zum Cafe eingeladen. Ingrid servierte nicht nur Filtercafe, sondern hatte einen Kuchen gebacken. Offensichtlich gab es auf der HARLEKIN  noch Eier? Eine weitere Überraschung war, als Norbert noch ein paar Dosen Löwenbräu hervorholte, nachdem alle schon geglaubt hatten, in Toau - und damit im Umkreis von 100 Kilometern - würde nicht ein einzige Dose Bier mehr existieren, und wir schon überlegt hatten, ob man - mit vergorenem Zucker, o graus! - Bier nicht selbst brauen könnte.

  von links nach rechts: Norbert , Bobby, Wolfram, Ingrid, Carla, Elke auf der HARLEKIN 

Ingrid hatte auf ihrem Computer ein Gedicht für uns ausgedruckt:

Das Paradies am totem Passe,

ist wirklich absolute Spitzenklasse!
Die Lagune leuchtet wie ein Aquarell,
die Sonne scheint dazu so hell!
Im Wasser sieht man bunte Fische flitzen,
die Haie manchmal unsere Nerven kitzeln!
Für Taucher absolut spektakulär,
ist das Außenriff, es gefällt uns sehr!
Auf 70 m geht es runter,
das macht alle Tauchfreaks munter!
man lässt uns nicht gleich weiterziehn,
schließlich kommt man hier nicht so schnell wieder hin!
Es vergehen Tage.......Wochen.......,
bis wir haben nichts mehr zu kochen!
Dann sitzen wir hier so manche Stund,
mit TAUPIRI oft in froher Rund!
Er fängt die Fische 1, 2, 3,
manchmal sind auch Langusten dabei!
STELLEO macht draus ein Menu,
JEAN-PAUL backt frisches Brot dazu!
Gibt es auch hier kein Bier und Wein,
wir können trotzdem fröhlich sein.
UND WERDEN DENKEN OFT ZURÜCK,
AN DIE ZEIT HIER VOLLER GLÜCK

Toau, das Paradies! Wirklich? Über seinen altersschwachen Kurzwellensender hatte Taupiri erfahren, dass die letzte Fischfracht und die von ihm geborgenen Funkbojen in Tahiti verschwunden waren und dass seine beiden Töchter in Papeete an Dengue Fieber erkrankt waren. Er musste unbedingt mit seiner Frau Rosette in Tahiti kommunizieren. Unser Iridium-Telefon konnte hier weiterhelfen. Für derartige Zwecke ist ein Satelliten-Telefon (25 Euro monatliche Grundgebühr und zwei Euro pro Minute Gesprächseinheit) unbezahlbar, obwohl bei der Kommunikation von der Yacht aus die Kurzwellen erheblich wirkungsvoller sind. Immer noch!

Ingrid und Wolfram leiten abwechselnd das REGENBOGENNETZ um 18 Uhr 30 Tahitizeit. Dort treffen sich jeden Tag deutschsprachige Yachten auf Kurzwelle, um Informationen einzuholen, die Position durchzugeben oder - ganz einfach - miteinander zu reden. So wissen wir, wer gerade in Niue, Rarotonga oder 3000 Kilometer weit weg, in Fiji, rumsegelt, fühlen mit den Yachten mit, wenn sich vor ihnen ein Schauer aufbaut ("ich muss jetzt dringend raus, reffen..."). Wolfram holt das Wetter über Pactor aus dem Äther/Computer (Honolulu und Nadi/Fiji) und Elke übersetzt die französischen Wetterfrösche ins Deutsch. Und das alles von unserem geschützten Ankerplatz in den Tuamotus aus!

Das Versorgungsschiff war jetzt schon zum dritten Mal angekündigt - und wieder ausgeblieben. Taupiri und seinen Söhnen ging jetzt wirklich bald das Nötigste aus. Trotzdem brachten sie es fertig, für die Yachtsleute ein tolles Essen zu servieren. Sogar für Servietten war "gesorgt". Da sie selbst keine mehr hatten, holten sie auf den Yachten am Nachmittag ein paar Blatt Haushaltspapier. Und was für ein Essen wurde da serviert!!! Es war nicht nur der Fisch - "roher Fisch" oder gebacken oder vom Grill - der begeisterte.

Die Krönung waren - neben den Langusten - die Kokosnusskrabben. Ich hatte sie noch nie zuvor gegessen, nachdem ich sie aber jetzt bei Taupiri probiert hatte, gehören sie nach meiner Meinung zu den ganz großen Delikatessen. Man bekommt sie sehr selten, weil sie schwer zu fangen sind. Auch Taupiri und seine Söhne hatten eine ganze Nacht geopfert, um diese wunderschönen Tiere auf einer anderen Insel mit Hilfe von batteriebetriebenen Scheinwerfern zu ergattern. Obwohl wir ja einige Jahre in der Südsee gelebt haben, hatten wir bis jetzt selten solche Tiere gesehen.

Bewundernswert ist ihre Geschicklichkeit und Schläue. Sie fressen nur frische Kokosnüsse, die sie sich selbst vom Baum holen. Sie klettern dazu in die Krone der Palme und zwicken dort oben die Nuss mit ihren kräftigen Zangen (für die auch ein Finger kein großes Hindernis wäre) ab. Anschließend knacken sie die zu Boden gefallene Nuss. Diese frabenprächtigen Tiere sind praktisch unter Tags nie zu sehen und außerordentlich scheu. Sie wissen warum.

Das Essen bei Taupiri war so reichlich, dass eine Handvoll Langusten auf dem Tisch zurückblieb. Auch diese Krustentiere scheint es auf Toau im Überfluss zu geben. Allerdings sind sie ebenfalls keine leichte Beute. Taupiri fängt sie am Außenriff, was nur möglich ist, wenn es nicht allzu stark brandet. Kelcey war mit ihm draußen am Riff und - sie selbst ist ja nicht gerade zimperlich - berichtete voller Begeisterung von Taupiris Fangkünsten und denen von Tequila. Man würde es wohl für Seemannsgarn halten, wenn das Bild es nicht beweisen würde:

Tequila ist einer von den polynesischen Hunden, die wohl ihr Leben nicht im Kochtopf beenden, jedenfalls versicherte es Taupiri hoch und heilig. Uns ist Tequila deshalb aufgefallen, weil er - im Gegensatz zu den anderen Hunden auf der Insel - ständig dabei ist, wenn die Taupiris zum Fischen fahren. Mit unerhörtem Gleichmut lässt er dort den Seegang oder den nicht gar zu seltenen Regen über sich ergehen, zieht sich vielleicht, wenn es gar zu arg kommt, unters schützende "Vorschiff" im Kahn zurück. Wird an Land Kopra verarbeitet, dann wird er vor einen Schlitten gespannt und zerrt diesen, beladen mit Kokosnüssen, hundert Meter weit zum Wohnhaus. Er ist sozusagen den ganzen Tag "im Dienst".

Am liebsten aber geht Tequila "auf die Jagd", Langusten fangen. Wenn Taupiri in der immer vorhandenen Brandung steht, die Arme bis zum Oberarm in kleinen Höhlen nach Lobstern tastend, dann passiert es gelegentlich, dass Tequilas scharfe Augen so ein Schalentier in gischtigen Wasser als erste entdecken und - schwupp - ist der Hund im Wasser und kommt genauso flink auf den glitschigen Felsen zurück - mit einer Languste im Maul, die er artig Taupiri vor die Füsse legt. So weit, so gut, weil das Risiko von der Brandung mitgerissen zu werden, in Gegenwart vom Meistertaucher Taupiri irgendwie noch tragbar ist. Leider geht der Trieb Tequilas, alles nachzumachen, noch weiter. 

Um die Insel von Haien weitgehend freizuhalten, speeren Taupiri und seine Söhne diese für ihren Broterwerb schädlichen Fische. Was macht Tequila? Wenn er in der Brandung einen Hai sieht, springt er ins kochende Wasser und versucht so einen ebenfalls zu erlegen. Wobei ihm in seiner Jagdlust der Maßstab gelegentlich verlorengeht. Nicht selten ist der Hai größer als der Hund und dann bezieht Tequila selber Haue. Beide Ohren wurden - bis jetzt - von scharfen Haizähnen zerschnitten und, schlimmer noch, seine Zunge geschlitzt - auf dem Foto gut zu sehen. Seiner Jagdleidenschaft hat das keinen Abbruch getan, die Verletzungen passierten schon in seiner "Jugend".

Inzwischen war uns klar geworden, dass es von der Reiseplanung her wohl am vernünftigsten war, die "Hurricane-Zeit" in Tahiti zu verbringen. Vielleicht segeln wir nächstes Jahr nochmals in die Tuamotus. Jetzt mussten wir uns langsam um eine "Unterkunft" umsehen, denn echte Hurricane-Holes sind in Französisch Polynesien Mangelware.

Als wir in den achtziger Jahren in Polynesien gelebt hatten, scherte sich niemand um einen eventuellen Cyklon, Polynesien galt quasi als "Hurricane-frei". Das änderte sich schlagartig, nachdem wir am 18.11.1982 Tahiti verlassen hatten und in dieser Saison rund ein Dutzend Tropischer Cyklone über Polynesien hinweggezogen war. Im Nachhinein wusste dann (wie immer bei den Wetterfröschen) jedermann Bescheid: "El Nino" war der Schuldige! Trotzdem, Vorsicht war angesagt, es war Zeit. weiterzusegeln!

Über Funk, via Regenbogennetz bekamen wir das Wetter: SSE 15 bis 20 Knoten. Nicht optimal bei 220 Grad KpK, aber vielleicht dreht er noch ein bisschen für die 225 Meilen nach Tahiti? Mit Wehmut verabschiedeten wir uns von Toau, von den beiden Maskentölpeln, die jeden Tag neugierig unser Leben im Cockpit beäugten, von Matariva, von den Taupiris.

Die Harlekin war gestern ausgelaufen, sie mussten schon morgen in Papeete sein, so hörten wir sie am Funk. Mittags motorten wir aus dem Pass und schon spürten wir den Wind in der Genua. Mit Hilfe der Maschine drehten wir fast in den Wind, um das Groß hochzuwinschen und - ab ging die Post. Das Speedo pendelte sich bald bei neun, zehn Knoten ein, die THALASSA machte eine Menge Lärm, aber auch gute Strecke, damit wurde es erträglich. Schon am nächsten Tag nach Mittag, nicht viele Stunden nach der Harlekin (ein Prout-Kat vom Typ Snowgoose) waren wir im gut befeuerten Hafenpaß von Papeete. Ingrid meldete sich über UKW: "Mensch, Ihr seit ja geflogen!"

Die "Zivilisation" hatte uns wieder. Am Tag nach der Ankunft sassen wir, von der HARLEKIN, der ORION und der THALASSA, im Garten des Maeva-Beach-Hotels und ließen uns mit einem "echt" polynesischen Essen und Tänzen verwöhnen. Toau, wie weit warst Du schon wieder entfernt?

   Mittwoch, der 25.September 02 - Abschied vom kleinen Paradies mit Aus-"Flug" nach Tahiti

   Freitag, der 6.September 02 - kleines Paradies am falschen Pass

   Samstag, der 16. August 02 - im Herz der Tuamotus

 

25.September 02 - Abschied und Aus-"Flug" nach Tahiti

Die Crew von LADY STARLIGHT war faszinierend in ihrer Begeisterung fürs Tauchen. Nun ist es ja so, dass sich auf vielen Yachten eine Tauchflasche befindet - gleichgültig, ob die Besatzung eine Ahnung vom Tauchen hat oder nicht. Auf unserer ersten 10-Meter-Yacht hatten wir auch eine Flasche dabei, für Notfälle gedacht. Aber meistens war die Flasche leergetaucht und wenn einmal der Anker zu klarieren gewesen wäre, hätte ich alt ausgesehen. Was Segler oft nicht wissen: Eine Tauchflasche reicht eben nur, abhängig von der Tauchtiefe, für einen einzigen Tauchgang. Dann müsste sie gefüllt werden. Der nächste Schritt ist dann der eigene Tauchkompressor, wie ihn zum Beispiel Wolfgang Hausner an Bord hat. Und heute viele andere.

6.September 02 - kleines Paradies am falschen Pass

Die Crew von LADY STARLIGHT war faszinierend in ihrer Begeisterung fürs Tauchen. Nun ist es ja so, dass sich auf vielen Yachten eine Tauchflasche befindet - gleichgültig, ob die Besatzung eine Ahnung vom Tauchen hat oder nicht. Auf unserer ersten 10-Meter-Yacht hatten wir auch eine Flasche dabei, für Notfälle gedacht. Aber meistens war die Flasche leergetaucht und wenn einmal der Anker zu klarieren gewesen wäre, hätte ich alt ausgesehen. Was Segler oft nicht wissen: Eine Tauchflasche reicht eben nur, abhängig von der Tauchtiefe, für einen einzigen Tauchgang. Dann müsste sie gefüllt werden. Der nächste Schritt ist dann der eigene Tauchkompressor, wie ihn zum Beispiel Wolfgang Hausner an Bord hat. Und heute viele andere.

Aber, man wird vorsichtiger: Denn Tauchen mit der Flasche ist lebensgefährlich, wenn man es nicht kann. Selbst unter "Amateurprofis" gibt es hin und wieder Unglücke. Renee von der WINDPOCKE, ein recht erfahrener Taucher, hatte sich vor Jahren bei einem Tauchgang in Westindien eingebildet, er würde "was Gelbes" unter sich sehen und ist dem Phantom nachgeschwommen. Wobei er im nüchternen Zustand selbstverständlich wusste, dass da unten keine Farben mehr existieren. Die Folge: Notaufstieg aus 65 Metern, Flug in die Druckkammer nach Barbados, die ihm das Leben rettete. Nach eineinhalb Jahren war er einigermaßen wieder hergestellt, waren die Lähmungen soweit zurückgegangen, dass er heute wieder o.k. ist.

Also, Gerätetauchen ist nur was für "Profis"! Und so war auch mein letzter Tauchgang vor vielen Jahren mit Wolfgang Hausner auf 50 Meter. Aber Jim und Kelcey fuhren jeden Tag, manchmal zweimal, zum Pass und seit ich oben neben deren Beiboot mit Blick nach unten über den Pass geschwebt war, ließ mich die Idee nicht mehr los. Eines morgens war es dann soweit.

Die Schnapsidee

Am Abend zuvor waren wir - wieder einmal - in lustiger Runde zusammengesessen. Daran erinnerte ich mich sofort als ich morgens aufwachte. Aber da war doch noch etwas? Hatte ich gestern abend - so lustig war es - nicht Kelcey gefragt, ob sie mich zum Tauchen durch den Pass mitnähmen? Oh nein! Die verdammte Trinkerei!

Zu spät, die ganze Familie kam schon im Beiboot rüber. Einen Tauchanzug, einen dünnen für tropische Gewässer, hatten sie mir mitgebracht und Kelcey belehrte mich: "Du brauchst nur auf meiner Seite bleiben und das tun, was ich Dir sage."

Slack Water (Stillwasser) war es genau, als wir vor dem Pass, sozusagen im offenen Meer waren. Jeden Moment konnte die einlaufende Strömung einsetzen. Das war wichtig, hatte mich Kelcey belehrt, denn bei ausgehender Strömung würde man in unkontrollierbare Wasserbewegungen geraten. Im anderen Pass von Fakarawa, im Norden, hatte es wenige Tage zuvor ein Taucher wieder einmal trotz der Warnungen probiert. Der Tiefenmesser an seiner Leiche zeigte später über 100 Meter.

Das Abtauchen war mehr ein Runterschweben, Jim und Kelcey hatten mir genau erklärt, wie ich das Gewicht so austarieren konnte, dass nur noch wenig Auftrieb vorhanden war und es schien ein Kinderspiel hinter Kelcey in die Tiefe zu gleiten. Um die 30 Meter tief war der Pass in der Mitte und bald waren wir auf den Grund hinabgesunken.

Kelcey schwamm vor mir her und drehte sich jede Minute nach mir um, musterte mich, und verlangte das Taucherzeichen für "o.k." Hinter ihr fühlte ich mich ganz gut, obwohl ich mir gegenüber nicht verleugnen konnte, dass ich nicht gerade die Ruhe in Person war. Ich verglich die Frequenz meiner Atemzüge mit Kelceys Kindern, Nick und Chris, und meinte keinen bedeutenden Unterschied zu sehen. Trotzdem: Die unglaubliche Schönheit der Korallenlandschaft, selbst hier unten noch beleuchtet vom Tageslicht, konnte ich nicht so recht genießen.

Eine Menge Fische gab es hier unten: Grouper, Papageienfische, und ein Dutzend Barrakudas glitten an uns vorbei. Dann oben ein Schatten: "Auch das noch!", schrak ich zusammen, ein Hai, größer als ich, vielleicht zwei Meter lang - oder etwas darüber.

Noch vor kurzem hatte ich mich in meinem Berufsleben vor Dienstaufsichtsbeschwerden gefürchtet. Jetzt vor dem Burschen da! Das Gefühl war das Gleiche: Höchst unangenehm! Wo war Kelcey, hinter ihr, bewaffnet mit Blitzlicht an langen Armen und der monströsen Kamera, hätte ich mich gut verstecken können? Zwar nicht ganz kavaliers-, doch zweckmäßig. Aber Kelcey war nicht mehr in meiner Nähe, sie war schon ein paar Meter weit weg, weil sie mit der Camera dem Hai nachjagte. Was ihn in unsere Mitte brachte. "Ganz ruhig, Weißspitzenhaie sind absolut ungefährlich!" betete ich mir vor, was Jim gestern noch erzählt hatte. Und konnte so den fast unwiderstehlichen Drang aushalten, blitzschnell nach oben zu schiessen.

Die weitere Unterwasser-Wanderung durch den Pass war nur noch schön. Mit der geringen Strömung liessen wir uns im Schneckentempo Richtung Lagune tragen. Bis Kelcey wie gebannt ihre Kamera auf eine Spalte in den Korallen hielt. Ich konnte nichts besonderes entdecken, hatte Schwierigkeiten bei dieser Strömung auf dem Fleck auszuhalten. Die Lady hatte ihren Fuß gegen einen Block gestemmt, sah meine Probleme, hielt mich einhändig mit hartem Griff auf dem Fleck, während sie mit der anderen Hand die Kamera in die Felsspalte zielte. Dann gings weiter, am Passende, wo die Korallenhänge links und rechts von uns immer näher zusammenrückten, kam uns ein alter Bekannter entgegengeschwommen. Der riesige Napoleonfisch kam auf einen Meter an Chris ran, der ihm die Kamera vors Gesicht hielt, worauf der Fisch nur seine Stilaugen verdrehte und gemächlich weiter paddelte.

Was für ein Erlebnis! Als wir später auf der LADY STARLIGHT die Filmaufnahmen sichteten, entdeckten wir nicht nur "meinen" Hai (siehe oben), sondern sahen auch, was Kelcey in der Felsspalte ausgemacht hatte: Rund ein Dutzend Augen, die in die Linse glotzten, große Haie, die sich einen halben Meter entfernt an Kelcey vorbeischlängelten.

Zurück in der Anse Amyot

HARLEKIN mit Ingrid und Norbert hatten uns auf dem täglichen Regenbogennetz schon unterrichtet. Taupiri und seine Söhne würden uns in Toau in der Anse Amyot erwarten. Vor einiger Zeit waren wir bei ihnen gewesen und hatten dort in der Anse Amyot ein kleines Paradies entdeckt (siehe Südseeträume). Aber  fünf Jahre sind in der schnellebigen Südsee eine lange Zeit und, wer weiß, was sich alles verändert hatte. Wir tasteten uns bei mäßig einlaufendem Strom durch den Pass (mit Napoleon unter uns?) nach draussen. Heute zeigten uns ein riesiger Delphin vorm Backbordrumpf und einer vorm Steuerbordrumpf den Weg, wo wir anschließend bei 20 Knoten Wind am Riff entlang nach Norden liefen. Das war perfektes Segeln, denn der Schwell war durch das Atoll Fakarawa völlig abgedeckt. Es war gut, dass wir das Groß nicht gesetzt hatten, sodass wir beim Morgengrauen vor dem Pass der Anse Amyot standen. Wegen der tiefstehenden Sonne konnten wir das Riff nicht ausmachen, aber Norbert lotste uns auf Kanal 68 rein: "Haltet Euch mehr beim grünen Seezeichen! So ist es recht, jetzt lauf ein!"

Vier Yachten machten wir aus, die deutsche Orion mit Elke und Wolfram, alte Bekannte (vom Funk) und eben HARLEKIN, sowie zwei Franzosen. Schade, dass die Bucht so überlaufen war, denn jetzt war keine Muring frei und der Ankergrund (10 Meter, Koralle) war nicht optimal. Im gleichen Moment sah ich Taupiri in seinem Boot rauskommen. Sechs Uhr morgens und die schon auf? Norbert: "Lass Deinen Anker oben, Taupiri und seine Söhne legen Euch noch schnell eine Muring auf 10 Meter Tiefe aus!"

Zwei Rümpfe - zwei Murings

 

Eine Muring ist besser als ein roter Teppich! Was für ein Empfang! Und welche Wiedersehensfreude? Rosette, die Frau von Taupiri war in Tahiti, ebenso Sohn Gaston. Stelleo, der 19-jährige war etwas aus den Fugen geraten (zu deutsch: fett), aber ansonsten kerngesund und strotzend vor Lebensfreude. Taupiri, der Meistertaucher, ganz der alte, ja und dann war da noch Jean-Paul, seine Tante Valerie und ihr Mann Gaston. Das war die Inselbevölkerung.

Wochenlang waren Harlekin und Orion hier vom Reiz dieses Platzes festgehalten worden. Alles perfekt?

Nachmittags kamen die Franzosen zu HARLEKIN und meldeten, dass der französische Wetterbericht "viel Wind" angesagt hatte. Wir lagen zwar hier geschützt, aber wir kannten die Murings nicht. Taupiri hatte um riesige Korallenblöcke ein dickes Seil geknotet. Unmöglich, dass der Wind den Korallenblock versetzt, der würde für einen Ozeandampfer ausreichen. Aber, was ist, wenn die Trosse durchscheuert? Taupiri lachte: "Wir machen Dir eine zweite Muring!" Und kurzdarauf hing die THALASSA mit drei Trossen an zwei Murings und den Anker liessen wir auch noch - gut sichtbar von oben - auf Grund fallen.

Am Nachmittag kam noch eine Mega-Yacht rein, die nahe am Eingang zum Pass ankerte. Am frühen Morgen sass sie auf dem Riff. Der Wind hatte nachts bis auf 40 Konten zugenommen und hatte die 30-Meter-Segelyacht aufs Riff gedrückt - trotz des einen starken Ankergeschirrs. Den zweiten Anker hatte die Crew sich gespart.

Aber auch wir waren nicht ganz ungeschoren vom nächtlichen Starkwind davongekommen. Unser treues Banana-Boot war halb vollgeregnet, sodass ich in der dunklen Nacht nicht mehr zum Ausschöpfen einsteigen konnte. Und irgendwann schwappte dann das Wasser rein, was normalerweise nichts ausmacht, denn die Auftriebskörper halten es sicher an der Oberfläche. Wenn ich sie angebracht hätte! So aber ging es langsam auf Tauchstation, was wiederum nichts ausgemacht hätte, wenn ich wenigstens die Splinte (die die Sitzbretter im Beiboot halten) mit den dafür vorgesehenen Gummischlaufen gesichert hätte. Hatte ich aber leichtsinnigerweise nicht. Und so versank das Beiboot mit dem Aussenborder hintendran langsam im Schein meiner Taschenlampe. Erst als ein Brett drohte, in die Nacht hinaus davonzuschwimmen, begriff ich so recht, dass ich dabei war, mein hier lebensnotwendiges Beiboot zu verlieren. Es half nichts: Ein Sprung ins Wasser - mit einer Hand am sinkenden Beiboot gesichert - rettete wenigstens die Bretter. Der Außenborder jedoch war schon auf vier Meter Tauchstation. Mit brachialer Kraft zerrten wir das Beiboot dann an der Vorleine so halb aufs Schiff zurück, spülten und sprühten den Zweitakter mit Süßwasser und WD40 ab. Er musste vollkommen zerlegt werden - in der Nacht unmöglich, das musste bis zum Tageslicht warten.

Der Bergelohn

Das Problem der Megayacht war ernster. Mit der Schraube hatte sie schon ein riesiges Loch in die Korallen gebohrt (und dabei die Welle verbogen), vergeblich. Norbert mit seinem Tauchgerät und Wolfram waren die ersten, die bei der gestrandeten Schönheit mit dem Dinghy eintrafen. Ihr Skipper schien etwas den Überblick verloren zu haben, denn auf die Meldung, dass sie auf Grund sässen, reagierte er mit einer Einladung zu einer Tasse Cafe. 

Dann kam noch Taupiri dazu. Gemeinsam brachten sie eine dicke Trosse zu einem hundert Meter entfernten Korallenblock aus. Taupiri mit Bleigürtel (aber ohne Tauchgerät) tauchte in die Tiefe ab und wickelte die Trosse um einen riesigen Korallenblock. Dann versuchten sie die Trosse zur Yacht auf dem Riff zurückzuführen. Sie war zu kurz, eine weitere Leine war notwendig. Auch dann reichte es noch nicht, allmählich gingen die Leinen aus, außerdem wurden sie immer dünner. Schließlich hatte man das Ankerspill erreicht. Dann bange Minuten, während sich die Trossen spannten. Das Bugstrahlruder der Megayacht konnte nicht eingesetzt werden, weil es nur mit Hilfe von zwei Generatoren läuft. Einer aber war kaputt. Endlich rutschte die schwere Stahlyacht über die Riffkante ins tiefe Wasser. Die Retter, Taupiri samt Söhnen, Wolfram und Norbert mit seinem Tank erhielten zum Dank eine Einladung zum Frühstück.

Auf der THALASSA wurde derweil  der Außenborder zerlegt, erfolgreich, wie sich später zeigte. So war eigentlich nichts Schlimmes passiert, bis auf das fehlende Dutzend Niro-Stifte, die unerreichbar laut Echolot auf 12 Meter Tiefe lagen. Taupiri beruhigte: "Die hol ich Dir rauf!"

Unmöglich, denn die Sicht war schlecht, wir hatten Strömungen und jeder weiß, dass 6 Zentimeter lange Metallstifte auf dem sandigen Grund kaum mehr auszumachen sind, zumal wegen des Schwojkreises der Yacht sicher eine Fläche von rund einem Hektar Meeresboden als Fundstelle in Betracht kam. Außerdem musste Taupiri von seiner Arbeit an der Megayacht erschöpft sein.

Langsam zerdrückte der Polynesier seine Zigarette aus (auch das noch!), schnallte sich den Bleigürtel um, und tauchte ab. Tauchte auf, peilte das Heck der THALASSA, tauchte wieder ab. Etwas mitleidig gönnte ich Taupiri das Erfolgserlebnis einen einzigen Splint zu finden. Wichtig für seine Reputation als berühmter Taucher!

Seine Tauchgänge wurden immer länger, ich drückte die Stoppuhr.

Das kann jeder nachvollziehen: Der Untrainierte wird zu Hause vor dem Fernseher die Luft kaum eine Minute anhalten können. Wenn er sich körperlich nur wenig betätigt, halbiert sich die Zeit schnell. Unter Wasser rumzutauchen ist aber Schwerstarbeit, noch dazu in 12 Meter Tiefe, wo ein Normalsterblicher ohne Gerät kaum runterkommt. Und das Ganze, ich wiederhol es, nachdem kurze Zeit vorher mit seiner Tauchunterstützung eine 160-Tonnen-Yacht abgeborgen worden war!

Nach einer Minute wurde ich(!) nervös. Kein Taupiri! Nach zwei Minuten musste er eigentlich - von mir unbeobachtet - irgendwo aufgetaucht sein: Nichts! Ungläubig sah ich zu, wie die Ziffern meiner Uhr "03:00:00" anzeigten. Und bei "04:00:00" musste was passiert sein. Ich ging in den Salon, wo Taupiris Sohn Stelleo in einer Zeitschrift blätterte. "Dein Vater ist verschwunden, er ist seit vier Minuten unter Wasser!"  Stelleo blickte nicht einmal von der YACHT auf, so langweilte ihn diese Mitteilung.

 

Als ich nach draußen kam, sah ich achteraus das lachende Gesicht Taupiris und triumphierend hielt er seine Hand hoch: Zwölf Nirosplinte, die in der Sonne glitzerten.

Er selbst behauptet, er könne bis zu sieben Minuten unter Wasser bleiben. Ich hab es -  bin nicht verpflichtet, so was nachzuprüfen - nicht gerade überzeugt weitergegeben. Jetzt glaub ich es.

Geschäftsleben auf einer Südseeinsel

Was des einen Frust, des anderen Lust: Starkwinde sorgen für einen kleinen Nebenverdienst der Menschen von Toau. Von den leider üblichen riesigen Treibnetzen, die chinesische Fischer ausgelegt haben, reißen sich die Schwimmkörper, an "guten" Tagen auch die Funkbojen los, die dann die Taupiris einsammeln. Bis zu 500 Bojen hat er einmal "gefunden", erzählt er ganz stolz. Für 5 Dollar kann er die Bojen, für 1000 Dollar die Funkbojen an die Fischer in Tahiti verkaufen.

Die Haupteinnahmequelle aber sind Fische, die in den zahlreichen Reusen in der Anse Amyot hängenbleiben. Der Fischreichtum kommt vielleicht vom "falschen Pass", der also Yachten keinen Einlass in die Lagune bietet, sondern irgendwo in den Korallengärten mündet. Jedenfalls ernten Taupiri und seine Familie jeden Monat einige Zentner farbenprächtige Fische, die dann mit dem Versorgungsschiff zu den feinen Restaurants im fernen Papeete verschifft werden.

Eine weitere Einnahmequelle ist seit ein paar Jahren die Perlenzucht. Schwarze Perlen in einer einzigartigen Pracht (für den, der was für Perlen übrig hat) mit einem Durchmesser bis zu 18 Millimeter werden in den Tuamotus seit vielen Jahren gezüchtet und haben den Einwohnern mancher Insel bescheidenen Wohlstand gebracht, der sich meist in starken Außenbordern zeigt.

Kelcey - Perle oder Hai?

Auf Grund der großen Mengen an geernteten Perlen  - wie auf dem Bild Kelcey demonstriert -  sind die Preise schon seit Jahren im Keller und sinken sicher weiter. Vorbei sind jedenfalls die Zeiten, wo für eine einzige Perle Tausende von Euros bezahlt werden, es sei denn, von unwissenden, meist japanischen, Touristen in Papeete. Und auch dann kassieren die Polynesier auf den Motus nicht mit, sondern es sind die verschiedenen Syndikate, die den Reibach machen. Ein Nebeneffekt der Züchterei ist übrigens, dass "echte" Perlen, da bei weitem nicht so makellos, kaum noch was wert sind. 

Bei diesen wirtschaftlichen Verhältnissen ist es kein Wunder, dass das wunderbare Leben in dieser großartigen Landschaft bescheiden ist, jedenfalls nach mitteleuropäischen Maßstäben. Ein Außenborder, ein kaputter Generator, eine Tauchausrüstung, bestehend aus einem Naßbiber (nur Oberteil), einer alten Maske und Flossen (zwei verschiedene - wahrscheinlich am Strand angetrieben), ein Videorecorder und eine Tiefkühltruhe (die mangels Strom nicht einsatzfähig sind), ein verrostetes Motorrad für die Insel ohne Straßen und Wege (hat Taupiri von einer Yacht gegen Perlen eingetauscht), das sind die Reichtümer, die auf der Insel angesammelt wurden. Nur ganz selten kann eingekauft werden, wenn das Schiff kommt, das die Fische nach Tahiti transportiert. Das letzte Mal war es allerdings schon leergekauft, als es die Anse Amyot erreicht hatte, sodass auch die Yachten ihre Vorräte nicht mehr auffrischen konnten. Bier ist vermutlich nur noch auf der deutschen ORION vorhanden, Ingrid vom Katamaran HARLEKIN hat mit unserem Mehl wundervolles Brot für die drei deutschen Yachten gebacken und Taupiri hat für den frischen Poisson Cru (rohen Fisch) von der Orion drei Zwiebel gegen fünf Eier (wahrscheinlich angebrütet) eingetauscht. Steaks? Es gab eine Zeit, wo ich geglaubt habe, ohne Fleisch nicht leben zu können. Seit zwei Monaten hab ich keines mehr gesehen. Hier geht uns nichts ab! Oder doch?

Über Funk haben wir erfahren, dass WINDPOCKE - fast erwartungsgemäß - die falschen Ersatzteile nach den Marquesas für ihre beiden defekten Motoren bekommen hatten und ziemlich verzweifelt waren. Wir konnten sie überreden, nach Toau zu kommen. Trotz ihrer misslichen Lage waren Renee und Martine noch so hilfsbereit, anzubieten, für uns ein paar Sachen zu kaufen. Unser Bestellzettel: Bier, ein Pfund Butter, neuseeländischen Käse, fünf Pampelmusen...

Taupiris Söhne fragen jeden Tag. wann die WINDPOCKE kommt. Sie freuen sich auf jede Yacht, die sie besucht.

Die LADY STARLIGHT war uns hierher gefolgt. Damit lagen am letzten Freitag sogar fünf Yachten hier in der kleinen Bucht: 1 Mono (ORION) und vier Katamarane. Nicht untypisch für die Entwicklung der Fahrtensegelei!

Kelceys Kinder lieben die Insel, endlich sind sie wieder unter (fast) gleichaltrigen: Jean-Paul und Stelleo. Die Eltern frönen derweil dem Tauchen an den Korallenwänden des Aussenriffs. Meist zweimal am Tag steigen sie bis zu 80 Meter in die Tiefe. Ingrid ist ebenfalls von der Tauchleidenschaft angesteckt worden und bat Kelcey um "Nachhilfeunterricht". "Gerne bring ich Dir ein paar fundamentale Dinge bei, aber nur unter einer Voraussetzung" meinte die Pädagogin Kelcey: "No husbands around!" (frei übersetzt: "nur wenn sich Dein Mann da raushält") - das hätte unsereins mal sagen sollen...

Familienleben

Gestern hat sich Stelleo geschnitten, als er mit einem langen Messer die letzte Butterdose aufmachen wollte. Ein bisschen viel Männerwirtschaft auf der Insel hier! Es wäre vielleicht ganz gut, wenn Rosette, bald von Papeete zurückkommen würde. Vielleicht hat sich Rosette, die Mutter von Taupiris  sieben Kindern, einen anderen Mann in Tahiti gesucht, zogen wir Taupiri auf. Aber der lachte nur: "Es gibt keinen anderen Mann, der sieben Minuten unter Wasser bleiben kann", lachte er. Tauchen spielt hier also eine große Rolle.

16.August 02 - Abschied von den Felskathedralen

Die Marquesas-Inseln waren bezaubernd wie immer. Viermal hatten wir sie besucht und jedes Mal hatte die monumentale Landschaft, vor allem aber die Liebenswürdigkeit der Einheimischen uns in ihren Bann gezogen. Auch alle anderen Yachtsleute, die zum ersten Mal durch "das Tor zur Südsee" gesegelt waren, waren begeistert von ihren ersten Eindrücken in Polynesien. Bei manchen schien es, als wären sie eine Last los. Was sicher auch damit zu tun hatte, dass man nunmehr in einem absolut sicheren Land angekommen war. Endlich nachts kein Beiboot wegstauen, die Luken nicht mehr verschließen, keine Weidezäune während der Nacht unter elektrischer Spannung haben! Kurzum, keine Angst mehr vor Überfällen und Klauereien. Klar, es gab auch Yachtsleute, die mit der überhand nehmenden Kriminalität in den westindischen und lateinamerikanischen Ländern noch keine schlechten Erfahrungen gemacht hatten, aber Tatsache ist, dass jeder Yachtsmann von Überfällen auf Yachten in diesen Ländern berichten kann. Und nicht jeder hat die Nerven wie Helmut von der Münchner Yacht EDELWEISS, einen Banditen, der nachts mit anderen an Bord gekommen war, die Begleiterin gefesselt hatte und nun dem Skipper die Pistole an die Stirn hielt, zu beruhigen: "Du brauchst keine Angst zu haben, ich tue Dir nichts, also tust Du mir auch nichts!"

Ohne Zweifel, die Kriminalität hat in diesen Gegenden in den letzten Jahren drastisch zugenommen, und wer hier immer noch davon redet, man müsse doch für die Räuber Verständnis haben, die seien so arm und die Yachtsleute doch so reich, der ist nicht ganz von dieser Welt. Brot zu klauen, weil man Hunger hat, ist das Eine und eine Yacht mit Maschinenpistolen zu überfallen, rücksichtslos davon Gebrauch zu machen, Kreditkarten stehlen und mit der Waffe an der Stirn die Pinnummern abzupressen, das ist das Andere. Ich verstehe nicht ganz die Yachties, die es als Erfolgserlebnis verzeichnen, in Venezuela, in Kolumbien, auf den Philippinen, in Indonesien nicht überfallen worden zu sein: "Also, wir haben keine solche Schwierigkeiten gehabt!". Als ob ich deshalb auf einer Yacht lebe, damit ich nicht überfallen werde...

Aber wie gesagt, damit ist Schluss und Vorbei in Polynesien. Wenden wir uns anderen Problemen und den Freuden beim Langfahrtsegeln zu: Dem deutschen Katamaran WINDPOCKE gingen auf den Marquesas beide(!) Maschinen kaputt. Ohne Vorwarnung! Und beide Diesel hatten erst 1600 Stunden drauf. Aber Martina und Renee trugen es mit Gelassenheit: "Wir sind in Polynesien und die Leute sind hier so nett! Die paar Wochen, wo wir hier auf Ersatzteile warten, sind kein Verlust!" Auch das ist eindrucksvoll, heutzutage: Mit DHL oder FEDEX kommst Du an Ersatzteile innerhalb von ein paar Tagen ran. Und im Internet (30 Dollar die Stunde) konnte Renee sogar feststellen, dass sein Anlasser gerade in Neuseeland umgeladen wurde.

Nachdem wir die anderen Inseln auf den Marquesas auf unseren früheren Reisen schon besucht hatten, wollten wir direkt nach den Tuamotus segeln. Es würde kein langer Törn werden, aber wir wussten, dass dort die Versorgungsmöglichkeiten noch schlechter sein würden als in Nuku Hiva. So kauften wir also in einem der drei "Supermärkte" ein, hatten sogar das Glück, Eier (aus Neuseeland) zu bekommen. Weil soviel von den hohen Preisen in Polynesien gesprochen wird, noch ein Vergleich zum Schmunzeln: Für eine Bierdose "Atlas" hatte ich in Panama 29 Cent bezahlt, für eine Dose Hinano (0,33 l) musste ich jetzt 2 Euro 50 blechen, also rund das Zehnfache.

Als wir in Nuku Hiva ausliefen, kam der Passat von der genau richtigen Seite, nämlich aus Ost, und der Schwell war weggeblasen. Am ersten, zweiten und dritten Tag zeigte mein GPS ein Etmal von jeweils über 150 Seemeilen, am vierten Tag wurde der Wind schläfrig, doch der Parasail zog uns immer noch so mit vier bis fünf Knoten in die Inselwelt der Tuamotus hinein. Über 70 Atolle sind es dort, ein einziges Naturwunder. Waren die Inseln früher berüchtigt wegen der nautischen Schwierigkeiten - manche Inseln sind erst aus drei oder vier Seemeilen auszumachen - gibt es heute, dank des GPS, diese Probleme nicht mehr, wenn man damit berechnet, dass die Seekarten schon mal bis zu zwei oder drei Seemeilen von der GPS-Position abweichen können. Aber, wer mit GPS auf 10 Meter genau navigiert, dem ist ohnehin nicht zu helfen!

Über Funk - Amateurfunk und Seefunk, jeweils Kurzwelle - hatten wir den deutschen Katamaran HARLEKIN Ingrid und Norbert kennen gelernt. Den ersten Kontakt hatten wir schon, als wir noch in Trinidad lagen. Jetzt erfuhren wir, dass sie auf dem Weg nach Kauehi waren. Ich überschlug schnell unsere Positionen: Die waren ja nicht einmal 50 Meilen auseinander!

Und tatsächlich: Als wir nachts in die Nähe von Raraka kamen, sahen wir zum ersten Mal auf diesem Törn ein Licht am Horizont, ein anderes Schiff. Auf Kanal 16 preite ich es an. Es war HARLEKIN, fünf Meilen entfernt! Da segelt man durch den größten Ozean der Welt, sieht ein einziges Schiff auf 1000 Kilometer und es sind "alte Bekannte". So klein ist die Welt wirklich.

Fakarawa-Süd war unser Ziel. Carla hatte alles, was auf dem Schiff an Unterlagen vorhanden war, durchstudiert. Der Pass, also der Einschnitt im Riff, der in die Lagune führt (und nur dort findet man ankerbare Tiefen) sah auf den Karte, insbesondere in dem ausgezeichneten Buch "Charlie's Charts" furchterregend aus. Je nach Tidensituation könnten wir Strom-Verhältnisse haben, die das Passieren leicht bis fast unmöglich machen würden. Am besten sei es, wenn Slack-Water, also Stillwasser herrschen würde, soviel war klar. Aber wann ist Slack-Water?

Das ist keineswegs bei Hochwasser, Niedrigwasser oder genau dazwischen, sondern hängt auch von den Wind- und Wetterverhältnissen ab. Wenn beispielsweise bei starken Windlagen Wasser auf der Luvseite des Atolls über das Riff in die Lagune geschwemmt wird, dann sucht es sich seinen Weg wieder nach draußen mit der Folge, dass auslaufende Strömung vorherrscht. In zahlreichen Segelanweisungen finden sich Rezepte für die Berechnung von Slackwater. Ausgegangen wird hier immer von den Tidenverhältnissen in Apia/Western Samoa - 2000 Kilometer von hier entfernt. Das Ergebnis der Berechnungen ist aber so zweifelhaft, dass in den neueren Auflagen von "Charlie's Charts" das entsprechende Kapitel kurzerhand gestrichen war, mit dem lakonischen Hinweis, dass das früher dargelegte Rechenrezept mehr als fragwürdig war.

Hinfahren, selber anschauen und notfalls warten! Das hab ich allen Rechenkünstlern empfohlen und so machten wir uns auch keine Gedanken um die richtige Zeit fürs Einlaufen als wir uns Fakarawa näherten.

Das Atoll war zunächst nur als zackige Linie am Horizont auszumachen, später traten die bewaldeten und palmengekrönten Inseln deutlich hervor. Das GPS führte uns genau bis hundert Meter vor der Einfahrt ins Atoll.

Der Pass zeigte sich von seiner friedlichen Seite und wir hatten nur wenig Strom - Zufall! Bei hochstehender Sonne leuchtete uns das für eine Südseelagune so typische Smaragdgrün entgegen. Nur eine Yacht lag in diesem Paradies, der amerikanische Katamaran LADY STARLIGHT. Gleich daneben ließen wir auf 15 Meter unseren Bügelanker fallen.

Der unvergessliche Karl Vettermann ("Barawitzka") hat einmal geschrieben, dass man Südseeparadiese nicht am Ende einer Autobahn vorfindet, sondern dass sie nur beschwerlich zu erreichen sind. Fakarawa war ein leichter Törn. Nicht einmal vier Tage benötigten wir für die knapp 600 Meilen. Die Anreise nach den Marquesas war allerdings rund 10000 Meilen lang und dauerte zwei Jahre.

Ein paar Sunden nach unserer Ankunft saßen wir schon auf der LADY STARLIGHT, nur 13 Meter lang, aber ausgerüstet mit richtig viel Technik: Tiefkühltruhe, Generator, Kühlschrank, drei Computer und vor allem ein Tauchkompressor. Kelcey und Jim sind enthusiastische Taucher, ihre Söhne 10 und 15 Jahre alt teilen die Begeisterung. Gekauft hatten sie den Kat aus südafrikanischer Produktion vor zwei Jahren in Westindien und trödeln seitdem Richtung Westen. Schule für die Kids findet täglich statt. Die Familie war begeistert von ihrem Leben auf dem Schiff, was sicher auch damit zu tun hat, dass Kelcey und Jim bis jetzt in Polynesien keine finanziellen Sorgen haben. Nicht, dass sie so reich sind, aber häufig, so wie in den Marquesas, können sie die Einheimischen mit "Naturalien" bezahlen. Beise sind nämlich Chiropraktiker und die Polynesier lassen sich gerne belehren, wie sie beim Rudern und Lastenschleppen ihren Körper kraft- und gelenkeschonender einsetzen. Ein Sack voll Pampelmusen, eine Staude Bananen, ein paar Pfund Ziegenfleich sind oft das Honorar für die Behandlung.

Schon seit zwei Monaten war die LADY STARLIGHT in den Tuamotus, dementsprechend waren viele Vorräte auf Null geschrumpft. "Ein eiskaltes Bier wäre schön!" Da konnten wir aushelfen. Kelcey und Jim revanchierten sich mit einer Einladung zum Tauchen. Wo? Im Pass natürlich! Ich traute meinen Ohren nicht. Im gefürchteten Pass tauchen? Mit den starken Strömungen? "Ja, denn dort ist die Sicht einmalig und nur dort findest Du richtig große Fische, Barrakudas und Haie!"

Tatsächlich herrschte um Mittag genau Slackwater, als wir mit unseren neuen Freunden in deren 30-PS-Schlauchboot plus umfangreichster Tauchausrüstung für vier Personen die paar hundert Meter zum Pass fuhren. Ein nicht sehr gutes Gefühl hatte ich dabei, als Jim durch den Pass nach draußen fuhr - fast bis zu der Stelle, wo das Wasser am Außenriff sich nur wenige Meter weiter anfing zu brechen und als heftige Brandung aufs Ufer zurollte.

Jim erklärte mir, dass jetzt gleich die Strömung in die Lagune einsetzen würde und ich solle mich schnorchelnd mit dem Schlauchboot durch den Pass treiben lassen. Bei den Hütten am Ende des Passes würden wir uns dann alle treffen. Ob da das Schlauchboot auch gut zugehört hatte?

Zwischenzeitlich hatten sich Kelcey und ihre Kinder Chris und Nick die Flaschen umgeschnallt und die Fotoapparate nebst Blitzlichtern zusammengesucht. Der Zehnjährige Nick lugte schon mal über den Wulst des Schlauchbootes in die Tiefe: "Die Flut läuft noch nach draußen, alle Fische starren zur Lagune!" und:  "Ja, hast Du das nicht gewusst, dass die Fische immer in die Richtung stehen, wo der Strom herkommt?", belehrte er mich.

Die Flossen von Kelcey waren mindestens einen Meter lang, aber sie schien sich damit wohl zu fühlen, als sie sich nach rückwärts ins blaue Wasser fallen ließ, gefolgt von ihren Kindern. Carla und ich sprangen ebenfalls über Bord - mitten im Pass, der uns als Segler soviel Respekt eingejagt hatte. Slackwater hatten wir, Jim, der Taucherfreak hatte es auf die Minute ausrechnen können. Unter uns - genau 28 Meter tief, das wusste ich noch von der Echolot-Anzeige beim Einfahren - sahen wir die tiefe Rinne, die die Strömung über viele hundert Jahre ins Riff gefressen hatte. Und genau dorthin in die Tiefe verschwanden Jim und Kelcey, bis von ihnen nur noch eine Luftperlenspur auszumachen war. Ich sah mich um: Schön brav, in Griffweite entfernt, trieb jetzt mit uns das Schlauchboot. Ein Blick zum Ufer zeigte uns, dass seit ein paar Minuten die Strömung eingesetzt hatte, in der richtigen Richtung, nämlich in die Lagune.

Welch eine neue Erfahrung: Da macht man sich sein halbes Leben Gedanken, wie man im Pass eines Südseeatolls navigiert und dann erlebt man ihn frei schwimmend mit Schnorchel und Maske. Die Reise ins Atoll ist nur ein paar hundert Meter lang, aber was für eine eine Kulisse zieht da vorüber: Eine Schule von Barrakudas stand im Pass, flossenwedelnd, alle in eine Richtung ausgerichtet wie die Zinnsoldaten. Ein Dutzend Haie, sehr tief unter uns, querte den Pass. "Leider ziemlich scheu", hatte mich Kelcey bedauernd vorgewarnt. Und ganz unten war, also dreißig Meter tief, ein dunkler Grouper, vielleicht einen Meter lang. Der beste Speisefisch, dachte ich, jedenfalls hatten mich Taucher so belehrt. Jim und seine Familie waren nicht interessiert, Fische zu schießen, sie hätten sie ohnehin nicht gegessen. Die Angst vor der Ciguatera (Fischvergiftung) hatte ihnen den Appetit verdorben. So hatten sie beim Tauchen nur den Wunsch, zu guten Bildern zu kommen. Statt einer Harpune hatten sie alle Hände voll mit ihrer Fotoausrüstung. Schön - kein Blutvergießen, auch wenn es nur Fischblut wäre...

Dann ein paar Meter nur entfernt, was Weißes. Ein Manta-Rochen schwamm gemächlich vorbei und entschwand im tiefen Blau. Carla und ich ließen uns weiter treiben, und am Ende des Passes, so wie es Jim beschrieben hatte, folgten wir, und das Schlauchboot, der Strömung, genau zu einer Hütte, wo gelegentlich eine Handvoll Touristen bewirtet werden. Zwei Mädchen hatten uns schon beobachtet, gesehen, dass wir uns an den Fischen erfreuten. Passt auf, ich zeig Euch was, meinte die eine, und holte aus der Küche eine Schale mit rohem Fischfleich. Kaum war sie an der Treppe die ins Wasser führte, kam Bewegung ins glasklare Wasser: Eine meterlange Mooräne war plötzlich da, wartete offensichtlich auf ihr Mittagessen.

Ein großer alter Merou (eigentlich ein hervorragender Speisefisch) steckte seinen Kopf heraus und schnappte mit lautem Schmatzen einen Fleichbrocken aus der Hand der Polynesierin. Man bedenke, dass sich das Ganze nicht in einem Aquarium abspielte, sondern in "freier Wildbahn", hundert Meter vom Pass entfernt, der im größten Ozean der Welt mündet! Die Mädchen hatten ebenfalls ihren Spaß an dieser Vorführung. Beiläufig erzählte sie uns bedauernd, dass erst kürzlich ein Napoleonfisch ("nicht so groß, wie der Unsere hier") auf der anderen Seite des Passes gefischt wurde. "Napoleonfische? Kennst Du die nicht, die haben so eine Horn auf der Nase und sind sehr groß?"

In zwischen hatte sich die amerikanische Taucherfamilie wieder getroffen, die Strömung hatte sie zusammengetrieben, genau da, wo die Eltern es vorausgesagt hatten, an der Hütte, wo wir bereis mit dem Schlauchboot hingen und uns an der Fischwelt im glasklaren Wasser begeisterten. Der kleine Nick rief plötzlich: "Da ist der Napoleonfisch!" und schon war er fünf Meter tief und schwamm hinter dem großen Fisch her, der sich aber dadurch nicht sonderlich aus der Ruhe bringen ließ. Gemächlich entschwand er ins tiefere Wasser. 50 Kilo musste der Kerl, nicht der kleine Taucher, wohl auf die Waage bringen.

Aber die Polynesierin trumpfte auf: "Das war der kleine!" Sie klopfte auf die Bodenbretter der Hütte, die übers Wasser gebaut war und hielt noch einen Fleischbrocken übers Wasser. Welche Show! Ein Napoleonfisch, groß wie ein ausgewachsenes Schwein kam an die Oberfläche, nahm ganz vorsichtig sein Mittagessen aus der Hand des Mädchens entgegen, und - man glaubt es nicht - streckte ihr seinen Rücken entgegen. Mit ein paar Klapsen auf den Buckel wurde er wieder in die Tiefe beordert.

Fakarawa ist so ein Platz, der es wert ist, ein paar Jahre dafür zu arbeiten, um ihn besuchen zu können. Deshalb bleiben wir hier. Zunächst...

 

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