Erlebnisbericht für Freunde der Weltumsegler (16)

Weltumsegler Britta und Michael (Who-is-Who-im-Weltumsegeln) segeln endlich wieder in die Südsee hinein. Romantischer und spannender könnte ihre Route nicht sein: Robinsons Zufluchtsort - Osterinsel, vielleicht gar Pitcairn, abgelegendster Fluchtort für die verfluchten Bounty-Meuterer, extrem schwer anzulanden! Ob sie es schaffen? Oder ob sie auch im Stillen Ozean auf ihrer Mini-Insel "VERA", einer betagten Swan 47, im entlegendsten Weltmeer wohl etwa von der globalen Corona-Katastrophe eingeholt werden?


Im Pazifik, "Meer des Fiedens" - Kurs Osterinsel

Hallo Ihr Lieben!

050-12022020 - Mit dem Passat zum Nabel der Welt.

Dritter Februar 2020: Schon eine ganze Woche auf See! Traumhaftes segeln im Passat, in einem der einsamsten Seengebiete der Welt, weitab von jeder Schifffahrtsroute. Die Juan Fernandez Inseln liegen bereits über 800 Seemeilen achteraus. Tage fließen ohne Übergang ineinander, wie… eben, wie im Traum. Die Luft bleibt frisch, obwohl wir uns endlich den Tropen nähern. Wir segeln in weitem Bogen gen Polynesien. Ein wenig schiebt uns auch der kalte Humboldtstrom, wie einst Thor Heyerdahl und seine Crew auf ihrem wilden Balsafloß KON TIKI. Alles fließt.

Schon eine ganze Woche auf See!



Unser ansonsten allwissendes »Segelhandbuch für den Stillen Ozean« (Deutsche Seewarte 1897, Direktor Georg von Neumayer) enthält nur wenige Ratschläge zu dieser Route. Von Valparaiso in Chile segelte man doch zumeist eher zurück nach Europa, also gen Süden und erneut rund Kap Hoorn. Gelegentlich befahren wurde am ehesten noch die Route Kap Hoorn über Honolulu nach San Francisco, aber auch dazu findet sich wenig sachdienliches. Dafür erfährt man anderes bereicherndes, zum Beispiel über die Zugrouten der großen Wale, oder die sachgemäße Wartung des zur Bestimmung des Längengrades unabdingbaren Schiffschronometers. Auch die Bestimmung des Luftdrucks und die richtige Handhabung des »Aspirations-Psychrometers«, jener genialen Apparatur des Magdeburger Meteorologen Richard Assmann, mit dessen Hilfe ein den Naturwissenschaften geneigter Segelschiffskapitän die wahre Temperatur und Feuchtigkeit der Luft auch auf hoher See zu bestimmen vermag, ist eingehend besprochen, genauso wie die annähernde Schätzung der Wellenhöhe von der Großmarsrah aus. Die Aufklärung, der wir alles verdanken: Nur durch akribische Messungen emsiger Segelschiffsbesatzungen ließen sich so abstrakte Konzepte wie die Hoch- oder Tiefdrucksysteme der Atmosphäre, oder der wahrscheinliche Verlauf ihrer Zugbahnen, überhaupt entwickeln.

Das »Segelhandbuch für den Stillen Ozean« und ein Logbuch nach Wilfried Erdmann.

Heute heißt unser Wettermodell GFS. Es wird von Großrechnern der NOAA, also der »National Oceanic and Atmospheric Administration« der USA, alle paar Stunden neu berechnet und macht uns zu Magiern, die in die Zukunft blicken können. Das sogenannte »Südpazifische Hochdruckgebiet« ist jedenfalls derzeit stark ausgeprägt und bremst uns ein. Nach zunächst hohen Etmalen seit dem Auslaufen von Juan Fernandez sind wir allmählich langsamer geworden. Tagelang dümpeln wir dahin, oder ziehen gelegentlich auch Herrn VOLVO zu Rat. Manchmal schlagen die Segel, aber nur ein bisschen. Die See liegt da wie ein friedlich schlafendes Ungeheuer mit ruhigem Atem. Eine lange Dünung ziehen unter uns durch, Boten eines Sturmes im wilden »Southern Ocean«. Der nächste mögliche Landfall liegt noch immer knapp tausend Meilen vor dem Bug der VERA. Das klingt viel, ist aber egal. Es könnten auch zehntausend Meilen sein. Ich (M) verstehe den großen Wilfried Erdmann so: Nicht im ankommen liegt der Wert dieser Reisen, sondern im Dasein. Vielleicht bevorzugen wir (B und ich) deshalb auch Erdmann’s blauen Kladden für unser Logbuch. Zeit. Sich auf das besinnen, worauf es ankommt. Den Magen entspannen. Und den Schultergürtel. Tief atmen. Die Weltnachrichten sind weit weg. Man lebt nur dieses eine mal. Zeit für den »Green Blink«.

Zeit für den »Green Blink«.



Bordroutine: Ein Highlight führt in das andere. Nach Sonnenaufgang brüht die neue Wache frischen Tee auf, während die alte Wache schon mal ein wenig Schlaf nachholt. Die kleine Gasflamme braucht ohnehin fast eine Stunde für den großen Kessel. Earl Grey. Aromatischer Luxus aus einer anderen Welt. Manchmal liegen Tintenfische an Deck, die sich gut in der Pfanne machen, mit Olivenöl und Knoblauch. Zuweilen mag man ein wenig an den Segeln trimmen, und wenn es auch nur einen halben Knoten bringt. Muss sein. Wir wollen doch nicht, das uns Linette und Nils, die fliegenden Holländer auf ihrer kleinen schnellen STORMALONG (www.sy-stormalong.nl) , am Ende doch noch überholen. Nichts los hier. Kein Schiff, kein Wal, keine Fische, wenige Vögel. Das Meer scheint sauber, blau und leer. Kein treibender Müll. Auch der Köder an der langen Angelleine bleibt lange leer. Vielleicht zum Glück. B und ich mögen beide nicht (selber) schlachten. Das Blutbad, der existentielle Moment des Tötens. Ihr versteht schon.

Manchmal liegen Tintenfische an Deck, die sich gut in der Pfanne machen, mit Olivenöl und Knoblauch.




Schiffsmittag: Eigentlich könnten wir inzwischen zwei volle Stunden draufrechnen. Immerhin segeln wir ja mit der Sonne gen Westen. Der Einfachheit halber belassen wir es für’s erste noch bei der alten Zeit. Nun also: Mittagsposition eintragen, in’s Logbuch und in die Karte. Karte? Nicht ganz: Unsere Pazifik Übersegler bleiben heutzutage im Navitisch verstaut. Die gute »open source software« »OpenCPN« mit »CM93 charts« auf unseren MacBooks tut es auch, und vielleicht sogar besser. »Open source«: Menschen, die an einem Strang ziehen, zum Wohle vieler. Noch 600 Seemeilen. Voraus wird es psychologisch. Das »Südpazifische Hochdruckgebiet« liegt noch immer fett im Weg. Der Passat ist im Urlaub. Flaute also, aus allen Richtungen. Einerseits lässt das die »Etmale« schrumpfen, also die zurückgelegte Distanz zwischen zwei aufeinanderfolgenden Schiffsmittagspositionen. Andererseits macht das unser Bordleben komfortabler. Seit ein paar Tagen überlagerte eine zuweilen ganz und gar garstige Windwelle aus Osten den majestätischen Seegang aus Süden, was die VERA wie betrunken rollen und torkeln lässt. Macht ein flaues Gefühl im Magen, erfordert Akrobatik und macht jede Handreichung mühsam. Segel und Tauwerk leiden auch unter der hohen Beanspruchung. Aber dafür haben wir sie ja. Dennoch war es wohl die richtige Entscheidung, unser feines neues Großsegel im Sack zu lassen und stattdessen weiter auf den »alten, unzerstörbaren Sack« zu setzen, den der Segelmachermeister José Tatel im Jahre 2002 auf Gran Canaria aus »Hydranet« für die VERA angefertigt hat. Anderthalbmal ist der »alte Sack« jetzt schon um die Welt. Wenn es gut läuft, hält er bis Tahiti. Oder bis Hawaii. Oder vielleicht bis Alaska. Bis dahin belegt Skip Novak’s »Antarctica special« Großsegel eine ganze Koje in unserer Achterkabine und hilft mit seinem beeindruckenden Gewicht, die VERA tiefer zu legen, was einerseits die Wasserlinie verlängert (günstig), aber andererseits das Wasser im Waschbecken nicht mehr richtig ablaufen lässt (ungünstig).

Bürostunde, über das Datenmodem unseres IRIDIUM Satelliten Telephons: Positionsmeldung an die Chilenische Armada absetzen, GFS herunterladen, Korrespondenz pflegen. Post trifft ein, von der LUCIPARA 2! Seit zweieinhalb Wochen ankern unsere Freunde Floris und Ivar (www.sailorsforsustainability.nl) nun schon vor »Hanga Roa«, dem Hafen von »Rapa Nui«, der Osterinsel. Begeistert berichten sie von ihren Erlebnissen dort. Inzwischen ist das jährliche »Tapati« Festival eröffnet. Wenn wir uns beeilen, können wir es vielleicht noch bis zum großen Finale schaffen. Zum Glück sitzt uns die STORMALONG im Nacken. Jeden Tag müssen wir damit rechnen, den gigantisch großen roten Gennaker von achtern aufkommen zu sehen. Halber Wind heute, den ganzen Tag, um die fünf Knoten, eher schwach also. Es wird Zeit für uns, endlich einmal die große »Code 0« Genua auszuprobieren, die wir vor Jahren mal bei EBAY ersteigert haben. Das Ding reicht bis hinter die Großbaumnock und muss ganz am Heck unseres Bootes geschotet werden. Irre. Die Belohnung sind vier Knoten Fahrt bei fünf Knoten wahrem Wind. Auf, abgesehen von der noch immer majestätischen Dünung, eigentümlich glattem Wasser rauschen wir in die Nacht. Bald ist Vollmond. Gute Wache.

Code 0: Das riesige Segel bringt ordentlich Druck ins Rigg.



27 Grad Süd, der Breitengrad der Osterinsel: Wegen einer Passatstörung dreht der Wind nach Westen, also auf den Kopf. Und er frischt auf. Der furchteinflößende »Code 0« muss weg. Bald hämmern wir unter Groß und Genua voran, gen 240 Grad magnetisch, also zwanzig Grad unter unserem Sollkurs, mit zwanzig Grad Lage und ordentlich weissem Wasser an Deck. An der Kreuz verdoppeln sich die noch zu versegelnden Distanzen… Mal sehen, was das noch gibt. Das »Südpazifische Hochdruckgebiet« sorgt in diesen Breiten beständig für Kurzweil. Der holländische Aufklärer und Spinoza Anhänger Jacob Roggeveen muss hier im Frühjahr des Jahres 1722 ganz ähnliche Bedingungen vorgefunden haben, als er sich mit seinem kleinen Geschwader mühsam gen Westen tastete. Roggeveen suchte eigentlich nach dem sagenumwobenen Südkontinent. Von der Südspitze Südamerikas aus war man bereits bis auf 60 Grad Süd vorgedrungen. Ohne Erfolg. Nun wollte man es weiter westlich versuchen. Nur: Im stabil daliegenden »Südpazifischen Hochdruckgebiet« herrscht meist Flaute aus allen Richtungen und südlich davon regieren die Götter des Westwindes im menschenfeindlichen »Southern Ocean«, was jedem Vorankommen sehr abträglich ist, zumindest für Roggeveen’s rahgetakelten, eher flachbödigen »Fluiten«. Es könnte also ausgerechnet die spezielle Lage und Ausprägung dieses beständigen Hochdruckgebietes gewesen sein, welche die Holländer am fünften April des Jahres 1722, zu Ostern also, direkt zu einer in Europa bisher unbekannten Insel führten, denen sie nachvollziehbar, wenn auch ein wenig unkreativ, den Namen »Paasch-Eyland«, also »Osterinsel«, gaben.

Neunter Februar 2020: Keine zweihundert Seemeilen mehr bis zu eben diesem sagenumwobenen Eiland. So nah, und doch so fern… Viel Arbeit in der Nacht: Bis Mitternacht mühsam voran unter »Code 0« Genua, dann totale Flaute. Herr VOLVO darf weitermachen. Eine Stunde später Regenböen aus Nord, bis an die Reffgrenze. Danach erneut Flaute in frisch gelockter See. Herr VOLVO… Dann Südwind, schwach, aber beständig. Frisch gewaschen rauscht die VERA im Mondlicht dahin. Die Dünung aus dem »Southern Ocean« ist heute Nacht so gewaltig, das auf den Kämmen frischer Wind weht, der ordentlich Druck ins Rigg bringt, während in den Wellentälern beinahe Flaute herrscht... Ganz und gar unwirklich, kaum zu beschreiben. Morgendämmerung von dunkelblau über blutorange bis rosig, dann Sonnenaufgang, gleißend und grell: Absolute Flaute jetzt. Laut neuestem GFS soll erst morgen Abend wieder Wind aufkommen, von Südosten her einsetzend. Also Motor an: Neuer Kurs, WSW. Wir wollen dem Passat doch ein wenig entgegenfahren.

Flaute: Die Gelegenheit zum baden auf 3.300m Tiefe.



Eigentlich sollte es jetzt also eine halbwegs erholsame Nacht werden, zumindest ohne weitere anstrengende Segelmanöver. Doch dann: Zur Geisterstunde zerrt etwas an unserer nachgeschleppten Angelleine! Ein Thunfisch, lecker und zart? Leider nein. Stattdessen hat sich ein gar grausiges Vieh in unseren Köder verbissen! Ein »Gempylus serpens«, einen guten Meter lang! »Gempylus«? Ja genau. Eben jene tropische Schlangenmakrele, die eigentlich in großen Tiefen lebt und sich höchstens des Nachts einmal zur Jagd an die Oberfläche begibt. Eben jener »Gempylus«, wie er Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts auf einem Photo in Thor Heyerdahl’s weltweitem Bestseller »Kon Tiki« zu sehen war und damals als sensationelle Entdeckung galt. Eine große Welle hatte das Biest an Bord des Balsafloßes KON TIKI und in den Schlafsack des Expeditionsmitgliedes Torstein Raaby geschwemmt. Sekunden darauf attackierte es mit seinen furchterregende langen Reißzähnen eine Petroleumlaterne, als wäre es vom Teufel besessen, was den hartgesottenen Skandinaviern eine Heidenangst einjagte. Heyerdahl’s »Gempylus« mag sogar, zumindest nach meinem (M’s) Dafürhalten, den Schweizer Künstler Hansruedi Giger’s in den siebziger Jahren zu seinem mit dem Oskar ausgezeichneten »Alien« inspiriert haben. B schneidet rasch die mageren Filets herunter. »Gempylus« Sashimi… Ah, die Freuden der japanischen Küche.

»Gempylus serpens«: B schneidet rasch die Filets herunter.



Elfter Februar 2020, im Morgengrauen: Land in Sicht! Rote und gelbe Felsen, karge Vulkankegel, nur sehr wenig Grün. »Rapa Nui«, der Nabel der Welt. Roggeveen’s Osterinsel, aus der Entdecker Perspektive. Die ganze Nacht über hatten wir nur noch die Genua stehen, um nicht in der Dunkelheit anzukommen. Wir wollen diesen für uns einmaligen Anblick ausgiebig genießen. Schweigend und staunend segeln wir an der Nordküste entlang. Dort! Die berühmten »Moais« von »Anakena«! Leider ist die wohl schönste Ankerbucht der Insel heute ungenießbar. Wegen des frischen Ostwindes steht ordentlich Brandung auf den Strand. Also weiter nach »Hanga Roa«, an der Westküste der Insel. Der Anker fällt auf 25m vor der bunt gescheckten Ortschaft, direkt neben der STORMALONG, die uns in der Nacht unter Spinnaker überholt hat. Einige weitere »Moais« stehen an Land. Trommeln und Südseeklänge wehen zu uns heraus. Einheimische paddeln mit Auslegerkanus in der Brandung. Das »Tapati« Festival, noch immer in vollem Gange. Es riecht feucht und fett nach Land. Das Einklarieren gestaltet sich diesmal hochkomfortabel. Die Behörden der chilenischen »Armada« kommen mit ihrem Schlauchboot zu uns heraus auf den Ankerplatz, zu sechst, sehr nett und hochprofessionell. Nach ein wenig Papierkram dürfen wir bleiben. Zeit für einen Gin Tonic auf der STORMALONG. Und dann ab in die Koje.

»Rapa Nui«: Die Osterinsel, aus der »Roggeveen Perspektive«.



Und dort! Die berühmten »Moais« von »Anakena«!



Die Route von Südamerika nach »Rapa Nui«.



Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA / Hanga Roa / Rapa Nui / Der Nabel der Welt

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