Erlebnisbericht
für Freunde der Weltumsegler (12)
Weltumsegler Britta und Michael ((Who-is-Who-im-Weltumsegeln) segeln wieder nach Norden, wollen den 40.Breitengrad schaffen und Antarktis und Patagonien hinter sich lassen. Die Reviere waren wunderschön, und sie werden sie nicht. Aber sie waren auch hart. Verdammt hart. Und noch müssen die beiden durch Gewässer mit angesagten acht Meter Tidenhub, acht Knoten Strom plus mörderischer Dünung und ähnlichen Niedlichkeiten. Hoffentlich macht „Herr Volvo“ nicht schlapp. (Anmerkung Redaktion: Hat man diese Sorge auch vor einer längeren Fahrt mit einem PkW?)
Doch alles geht gut auf der VERA! Nicht aber auf der befreundeten Yacht ITHACA, die per Funk um Hilfe bittet: Das Übliche halt. Salzwasser im Getriebeöl. "Herr Volvo" auf der VERA schleppt….. oh ja - Richtung Südsee !!!
VERA träumt wieder von der Südsee
046 - Nach Chiloé und Valdivia
Hallo Ihr Lieben!
Mitte April im idyllischen »Estéro Atracadero«, »Isla Melchor«.
Ausser uns wohnen nur pelzige »Arctocephalinae« und
springlebendige »Delphinidae« hier. Seit Tagen regnet es
Tiernamen. Draussen im »Canal Moraleda« heult und schäumt der
Sturm, aus Norden natürlich, 40 Knoten, Stärke acht. Die
Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Dreadful«. Aber wem
sag’ ich das. Wir warten hier einmal mehr auf ein Wetterfenster
zur Weiterfahrt gen Norden. Morgen vielleicht? Laut derzeitigem
GFS sieht es nach drei bis vier brauchbaren Tagen aus. Schwacher
Südwind ist angesagt, so wie es unser grüner Herr VOLVO mag. Nur
zu gerne würden wir weiter Strecke machen. Unsere schwedischen
Freunde von der CLARY haben uns zu lange von den Herrlichkeiten
der »Isla Chiloé« vorgeschwärmt, der Sommerhitze, dem »basking
and bathing«… Aber das ist nun auch bald sechs Wochen her.
Mittlerweile ist uns der Winter auf den Fersen, spürbar,
nasskalt und jeden Tag dunkler. Nach anderthalb Jahren in Kälte,
Schnee und Regen reicht es. In unseren Träumen malen wir uns die
kleine »Marina Quinched« auf der »Isla Chiloé« in den
herrlichsten Regenbogenfarben aus. Gut angebunden sein,
Landstrom einstecken, heiß duschen, Pause machen, ein Auto
mieten, in der Hauptstadt Castro die Beine vertreten, echte
Supermärkte mit Brezeln und frischem Obst leerkaufen, Internet…
Man möchte weinen, wenn man an all diese Herrlichkeiten denkt.
In einer Woche könnten wir dort sein, sofern das Wetter
mitspielt.
Wilde Wolkenformationen im
spiegelglatten »Canal Moraleda«

»Canal Moraleda«: Bordcafé mit Sahne.

Ein neuer Tag, Aprilwetter. Immerhin lugt gelegentlich die
Sonne durch. Schwacher Südwind? Leider nein. Nord, zwanzig
Knoten, direkt auf die Nase. Normal das. Bei 2.300 Umdrehungen
schiebt Herr VOLVO das Schiff mit fünf Knoten durchs Wasser.
Strom gegen Wind: Ruppelige Katzenköpfe lassen die VERA nicken,
wie ein altes Pferd. Nicht auszudenken, was wäre, wenn Herr
VOLVO hier unten in der Wildnis krank würde. Sicherheitshalber
füttern wir ihn nur mit reiner Luft und sauberstem Diesel,
doppelt und dreifach gefiltert. Alle paar Tage öffnen wir die
sauschwere Motorhaube und führen eine sorgfältige Sichtkontrolle
durch: Öl- und Kühlwasserstände, evtl. Öl- oder Wasserleckagen,
die Stopfbuchse, der Seewasserfilter, die Keilriemenspannung,
all dies gilt es zu kontrollieren. Von anderen Booten auf dieser
Route hört man viel fürchterliches: Getriebeschäden, meist an
Hydraulikgetrieben, Kurbelwelle gebrochen, beides vielleicht
wegen Blockaden durch Eis, Kelp oder Leinen in der Schraube?
Auch dabei: Einspritzpumpe ausgefallen, Einspritzdüsen mit
Bakterien verklebt, Salzwasser im Motoröl, Salzwasser im
Getriebeöl, Diesel im Motoröl, so das der Motor irgendwann von
selber läuft. Dieselpest und Schlamm im Dieseltank… All diese
Unbill gilt es auf der VERA unbedingt zu vermeiden.
STB querab liegt das Fischerdorf »Puerto Aguirre«. Immer öfter
liegen nun »Salmoneras« am Wegesrand, Lachsfarmen, mit dicken
Markierungstonnen und wuchtigen Versorgungsschiffen. Es riecht
nach Umweltverschmutzung und Antibiotika. Ist das nachhaltiger,
als der industrielle Fischfang auf den leergefischten
Weltmeeren? Schwer zu sagen. Das Grundproblem ist die
Überbevölkerung, aber nicht die mit Fischen.
»Puerto
Ballena«, »Isla Mulchey«, am Ausgang des »Canal Moraleda«. Ein
sonniger Abend. Endlich. Pierre und Ping, das nette
südafrikanisch chinesische Paar mit den zwei munteren Kindern (9
und 11), lädt uns aufs Achterdeck der ITHACA ein. Rippchen
liegen auf dem Grill und im Dampfkochtopf duften die
selbstgefangenen Krabben. Pierre und Ping haben jahrelang als
Softwareingenieure für SAP gearbeitet. Nun zieht es sie fort von
Südafrika. Über Tahiti planen sie in die USA zu segeln, oder
nach Südostasien, irgendwohin, wo es gute Jobs gibt. In
Südafrika sehen sie keine Perspektive mehr, weder für sich, noch
für ihre Kinder. Wir beraten die Strategie. Vor uns liegt der
übel beleumundete »Golfo Corcovado«. »Der Bucklige«, laut
unserer »Holy Bible« das letzte große Problem auf dem Weg nach
»Isla Chiloé«. Acht Meter Tidenhub an guten Tagen, acht Knoten
Strom und dazu die mörderische Dünung des »Southern Ocean«.
Morgen früh laufen wir aus, vor Tau und Tag. Das GFS verspricht
angenehmen SW um die 15 Knoten. Wünscht uns Glück.
19.
April, »Golfo Corcovado«: Ein stahlblauer Himmel wölbt sich über
ITHACA und VERA. Ölige See. Lang atmet der Pazifik. Schwacher
Wind aus Nordwest, Motorsegeln. Was soll’s. Diesel haben wir
noch genug an Bord. Zeit zum Wäsche waschen und zum Duschen. An
STB erheben sich die schneebedeckten Kordilleren, dominiert von
der gleißenden Pyramide des »Corcovado«, ein gut zwei Kilometer
hoher Stratovulkan am südamerikanischen Ende des pazifischen
»Ring of fire«. Achteraus hüllen sich tausend Seemeilen
patagonische Kanäle in schwarze, regenschwangere Wolken. Lebt
wohl. Wir werden Euch vermissen, irgendwann. Am Abend erreichen
wir »Isla Chiloé« und den »Estéro Huildad«, aus dem eben die
Tide mit vier Knoten abläuft. Wir gelangen dennoch gut durch die
Einfahrt und ankern sicher auf fettem »Mud«. Ein blutroter
Vollmond geht über dem Festland im Osten auf, fast genau über
dem spektakulären »Corcovado«. Wunderschön. Es ist getan. Wir
köpfen unsere letzte Flasche »Austral«, draussen auf dem
Brückendeck, das endlich einmal trocken ist. Gute Nacht.
»Golfo Corcovado«: Endlich mal ein stahlblauer Himmel.

Der »Corcovado« am Horizont: Ein über 2km hoher Stratovulkan am
südamerikanischen Ende des pazifischen »Ring of fire«.

»Isla Chiloé« fühlt sich anders an als die patagonische Wildnis in
unserem Kielwasser und riecht anders, erdiger und nach Holzfeuern. Der
Herbst ist da, kühl und feucht. Mit dem »basking and bathing« wird das
nichts mehr in dieser Saison. Abgeerntete Felder, Wälder und Wiesen voller
buntem Laub. Seit Menschengedenken ist »Isla Chiloé« besiedelt. Hingetupfte
bunte Hütten an Land und berühmte hölzerne Kirchen aus der Zeit der
Missionare. Die ersten Autos seit langem, dazu Traktoren, Kühe, Schafe und
Pferde. Im »Estéro Pailad« wühlen wilde Hausschweine im Modder und suchen
nach Muscheln. Hohe Pappeln stehen in herbstgelbem Kleid. Die Sommerhäuser
an Land sehen verlassen aus, eingemottet für den Winter. Die meisten Buchten
und Ortschaften tragen stolze, indigene Namen aus der »Huilliche-Mapuche«
Sprache. »Marina Quinched«, unweit der Inselhauptstadt Castro: Wir
quartieren uns für ein paar Tage ein, bei Wasser, Strom und Internet. Rasch
ist ein beinahe neuer Mietwagen von Hyundai organisiert, dem es für die
hiesigen Pisten ein wenig an Bodenfreiheit mangelt. »Castro«,
Inselhauptstadt: Ein Haufen grob gezimmerter Häuser der zweiten, oder
dritten Welt, dazu ein paar schicke zeitgenössische Holzbauten am Hafen, die
darauf hindeuten, das sich etwas tut vor Ort, in Sachen Qualitätstourismus
und Kultur. Derzeit sind die Bürgersteige allerdings hochgeklappt. Die
Saison ist zu Ende. Bald schon rollen wir aus der Stadt und erkunden Chiloés
zerklüftete Ostküste. Alles wirkt ein wenig planlos und zersiedelt. Ist Homo
Sapiens eine Hautkrankheit des blauen Planeten, die sich ausbreitet, oder
gar ansteckend ist? Manches erinnert an Skandinavien, Schottland, Cornwall,
oder gar an die Havel oder den Müggelsee bei Berlin. Heimat? Wo ist das?
Zuletzt zieht es uns an die wilde Westküste. Ein endloser Kieselstrand, an
dem auch Charles Darwin einst gestanden und sinniert hat. Irgendwo dort
draussen liegt die Südsee und wartet auf uns.
»Isla Chiloé«, Westküste, der Pazifik: Irgendwo
dort draussen liegt die Südsee und wartet auf uns. (Ein Film von B+M).
»Isla Chiloé«: VERA in
der kleinen »Marina Quinched«.

»Isla Chiloé«: Das
kleine Glück.

»Isla Chiloé«:
Holzkirche in »Rilán«.

»Isla Chiloé«: Gottesdienst in Holz. Gut
funktionierende Gasheizpilze.

»Wir beziehen noch zwei weitere ruhige Ankerplätze auf vorgelagerten
Inseln an der Ostküste Chiloés und warten auf brauchbares Wetter, bevor uns
sechseinhalb Knoten Tidenstrom durch den »Canal Chacao« nach »Puerto Inglés«
und in den Pazifik spülen. Fähren pendeln vom Festland nach Chiloé,
Zersiedelung, Ölindustrie, Starkstromleitungen, die über dem Kanal hängen.
Wir rasen mit beinahe zwölf Knoten darunter hindurch. Es strudelt und
gurgelt. Unheimlich. »Puerto Inglés«: Eine wilde, nach Osten hin völlig
offene Bucht, flaches Wasser, »rural views«. Wir ankern weit draussen auf
fünf Metern. Der Pazifik atmet tief, auf und ab, beinahe surreal. Ein
windiger Platz an der äussersten Nordspitze Chiloés, allerdings mit
erfreulichem Internetzugang, der uns einen ersten Überblick über das
Verpasste ermöglicht. Morgen soll es flau sein, aber danach verspricht das
GFS Südwind für ein paar Tage. Wenn alles gut geht, weht er uns dann aus den
»Roaring Forties« hinaus und bis nach Valdivia, ins Winterlager. Eine Idee,
die sich gut anfühlt, nach eineinhalb Jahren Wildnis und Abenteuer.
Irgendwo vor der Westküste Südamerikas: Nach einer guten Nacht unter Segeln
graut der Morgen. Wir haben soeben den 40. Breitengrad überquert und feiern
die Rückkehr in die gemäßigten Breiten, als es in der Funke knackt. ITHACA
ist dran. Motorschaden. Salzwasser im Getriebeöl, Salzwasser im Motoröl.
Wahrscheinlich ist der Ölkühler hin. Endlich bekommen wir die Gelegenheit,
uns für diverse feine Grillabende bei Ping und Pierre zu revanchieren. Da
ITHACA nur ein paar Meilen achteraus in der Flaute steht, kehren wir um,
überqueren erneut den ominösen 40. Breitengrad und nehmen sie nach einigem
hantieren mit schweren Trossen in Schlepp. Trotz ITHACA‘s guten 30 Tonnen
und des alten, hoch rollenden Seegangs aus dem »Souther Ocean« klappt das
ganz gut. Mit anständig Gas zieht Herr VOLVO beide Boote noch mit drei
Knoten durchs Wasser und endgültig in die gemäßigten Breiten. Am Abend
erreichen wir überglücklich die Mündung des Rio Valdivia und den in der
»Holy Bible« empfohlenen Ankerplatz im Schutz der »Isla Mancera«. Es ist
geschafft!
Schleppverband am 40. Breitengrad. (Ein
Film von B+M).
Die nächsten Tage vergehen wie im Flug: Schleppverband den Fluss hinauf bis
zu unserem bereits gebuchten Liegeplatz in der »Alwoplast« Werft von Alex
Wopper (https://www.alwoplast.cl/marina). Taxi nach Valdivia zum
einklarieren bei der Armada, frisches Gemüse kaufen auf dem Markt und zum
Steak essen mit Ping, Pierre und den Kindern und reichlich kühlem blonden
Bier. Die vielen Autos, die vielen Häuser und Geschäfte, ein richtiger
Schock. »Alwoplast« bietet auch einen guten Internet Zugang. Wir buchen
Bustickets und Flüge, recherchieren diverse Besorgungen und vereinbaren
Termine. Stress, richtiger Stress. Zurück in die Wildnis? Raus auf’s Meer,
nach Polynesien, in die Südsee? Noch nicht. Es ist Winter hier und es gibt
viel zu tun. Wir melden uns wieder, irgendwann. VERA out.
Unsere
chilenische Gastlandsflagge nach drei Monaten in der patagonischen Wildnis.

Valdivia: Endlich frisches Gemüse!

Unsere Route über »Isla Chiloé«
hinauf nach Valdivia.

Herzliche
Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA /
Valdivia / Chile / POS 39.51,0 S - 073.19,1 W
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