Erlebnisbericht
für Freunde der Weltumsegler (11)
Die letzten Tage der altehrwürdige SWAN-Yacht VERA und ihrer Besatzung
Britta und Michael (Who-is-Who-im-Weltumsegeln)
in Patagonien! Dieses Revier ist für viele Weltumsegel-Träumer der Inbegriff
der Schönheit und ein Sehnsuchtsziel. Aber realisieren diese Idealisten
auch, dass das Revier am südlichen Ende der Welt auch brutal rauh sein kann?
So brutal, wie damals die ersten Englischen Seeleute unter dem Kommando des
Kommodore Anson, der dort sein Unwesen trieb - er brannte mal so nebenbei
eine Stadt in Peru nieder - führte aber die Expedition der Englischen Flotte
erfolgreich (aus englischer Sicht) zu Ende. Trotz erheblichen Verlusten an
Mensch und Material war seine Expedition, aus der ein ganze Weltumsegelung
wurde, ein Erfolg und bachte Anson anschließend höchste Beförderungen ein.
VERA auf den Spuren von Kommodore Anson’s Geschwader
045 - Durch den »Kanal Messier« und über den »Golfo de Penas«
Hallo Ihr Lieben!
»Caleta Yvonne«, 30 Seemeilen nördlich von »Puerto Edén«, Idylle
in der Wildnis. Mit dem Anker und drei Landleinen liegen wir
hier sicher verzurrt. Es regnet in Strömen, Katzen und Hunde,
aber wem sag‘ ich das. Draussen im »Kanal Messier« heult und
schäumt der Sturm, 50 Knoten, Stärke zehn. Die Engländer haben
ein gutes Wort dafür: »Dreadful«. Doch immerhin: Wir sind wieder
auf der Piste, nach einer langen, dem üblen Wetter geschuldeten
Woche in »Edén«. Ausser uns lagen noch fünf weitere Boote
tagelang dort fest. Besonders an die netten Abende mit Ivar und
Floris von der SY LUCIPARA 2 (www.sailorsforsustainability.nl)
werden wir uns immer gern erinnern. In derselben Saison in einem
so abgelegenen Revier unterwegs zu sein führt zu einer
Gemeinschaft, die Ähnlichkeiten mit einem Schuljahrgang hat. Man
redet miteinander, tauscht Nachrichten und Gerüchte aus und
lernt sich zu schätzen, selbst, wenn man nicht immer so recht
zusammenpasst.
Unerwartete Wetterbesserung im »Kanal Messier«.
Einsames Wrack: MV CAPTAIN LEONIDAS im
»Kanal Messier«, mit Puderzucker in den Bergen.

Bei Tagesanbruch im »Kanal
Messier«: Die Landschaft in dieser Gegend ist natürlich schon
grandios, gerade wenn man unterwegs ist und einmal die Sonne
herausguckt. Unerwartet romantische Bilder liegen links und
rechts am Weg: Puderzucker in den erhabenen Bergen am Kanal,
frisch gefallen in der letzten Nacht. Das rostige, aber noch
immer imposante Wrack der MV CAPTAIN LEONIDAS, die 1968 mitten
im »Kanal Messier« auf einen Felsen lief. Milchig trübes Wasser
am Ausgang des »Seno Iceberg«, in dem Herden von Delphinen mit
dem unschuldigen Krill spielen. Märchenhaft. Für Morgen und
übermorgen verspricht das GFS Flaute aus Süden. Mit einem
Zwischenstopp in der »Caleta Chaski« hoffen wir, in zwei
ökonomischen Tagen die »Isla Wager« und den Ausgang in den
»Golfo de Penas« zu erreichen. Der »Gulf of Misery« gilt als
Königsetappe auf dem Weg von hier in die wärmeren Regionen
Chiles, die mit der »Isla Grande de Chiloé« beginnen sollen.
»Basking and bathing«. Zukunftsmusik. Und bloß keine Fehler
machen.
B im »Kanal Messier«

Bildnis der Altvorderen in der »Caleta Chaski«,»Kanal Messier«.

Unter Motor im »Kanal Messier« in 360 Grad (Film von B+M).
»Caleta Ideal«, ein gut geschützter Ankerplatz zwischen
»Isla Wager« und »Isla Schröder«. Ausser uns sind noch zwei Boote hier,
MARGUERITE aus Frankreich und ITHACA aus Südafrika. Wir alle warten auf ein
passendes Wetterfenster für den vermaledeiten »Golfo«.
Heute Nordwind Stärke
7, strömender Regen. Nichts neues also. Zeit für Literatur. »Isla Wager«:
Verfilzte, undurchdringliche Wildnis. Wahrscheinlich hat sich hier sehr
wenig verändert in tausenden von Jahren. »Mount Wager« und »Mount Anson« an
BB, kaum zu erkennen in den Regenböen. Am 18. September 1740 verließ
Kommodore George Anson England mit einem kleinen Geschwader von
Kriegsschiffen, umschiffte Kap Hoorn, brannte die Stadt Payta in Peru
nieder, kaperte die Manila Galeone, und segelte über die Philippinen, China
und das Kap der guten Hoffnung zurück nach England, wo er am 15. Juni 1744
eintraf, den Laderaum seiner HMS CENTURION bis zum Bersten mit Gold gefüllt
(siehe George Anson: »A voyage round the world in the years MDCCXL, I, II,
III, IV«).
Es lief jedoch beileibe nicht alles glatt auf dieser
Erfolgsexpedition (u.a. kehrten nur etwa 500 der 1.400 Besatzungsmitglieder
nach England zurück). Vor Kap Hoorn geriet das britische Geschwader in
schweres Wetter und wurde übel gebeutelt. Für den Fall, das man sich aus den
Augen verlöre, hatte Kommodore Anson die »Juan Fernandez« Inseln (oder auch
Alexander Selkirk / Robinson Crusoe Inseln, siehe Daniel Defoe), ca. 800
Seemeilen nordwestlich von hier vor der Küste Chiles gelegen, als Treffpunkt
vor der Weiterfahrt nach Mittelamerika bestimmt.
Ein paar Monate lang
wartete man vergeblich auf einige der wertvollsten Schiffe. Unter anderem
fehlte die HMS WAGER unter Kapitän Cheap. Die 30 Kanonen Fregatte blieb
spurlos verschwunden. Erst als Anson 1744 nach London zurückkehrte, sollte
er erfahren, das die WAGER Mitte Mai 1741 in schwerem Sturm vor der Küste
Patagoniens auf einem Riff verloren ging, das sich keine fünf Seemeilen
nordwestlich von unserem derzeitigen Ankerplatz befindet, auf eben dieser,
heute »Wager Island« genannten völlig lebensfeindlichen felsigen Insel,
gleich hinter dem »Mount Misery« den man später in »Mount Anson« umbenannte.
Die Überlebenden bezogen in ihrer Not ein notdürftiges Winterquartier in
Zelten und Hütten. Zunächst besaß man noch einigen Proviant, dazu Wein und
Rum, Holz, Waffen und Werkzeug aus dem Wrack. Man trieb Handel mit
verschiedenen »Mapuche« Indianerstämmen, doch sehr bald wurden im
Dauerschnee- und Graupelsturm die Nahrungsmittel knapp.
Kapitän Cheap plante
im kommenden Sommer mit den verbliebenen Beibooten nach Norden zu segeln,
und dort die spanischen Kriegsgegner um Gnade zu bitten. Ein Teil der
Besatzung, angeführt von dem charismatischen Kanonier John Bulkeley, war
anderer Meinung. Um der drohenden Zwangsarbeit und dem Tod in den finsteren
spanischen Bergwerken in Chile und Peru zu entgehen, wollten sie versuchen,
mit einem der Boote durch die Straße des Magellans nach Brasilien zu
gelangen, um von dort mit einem portugiesischen Schiff nach Europa
zurückzukehren. Kein Wunder, das es zum Streit und zur Trennung kam, die
Kapitän Cheap als Meuterei betrachtete. Nach abenteuerlichen Erlebnissen und
unsäglichen Strapazen erreichten John Bulkeley und eine Handvoll Getreue
London im Januar 1743. Kapitän Cheap und einige überlebende Offiziere
benötigten zwei Jahre länger. Das darauf folgende Kriegsgericht der
Admiralität führte zum Freispruch für Bulkeley und seine Leute.
Wer
nachlesen möchte, findet alles wissenswerte in diesem kleinen Buch: »Byron &
Bulkeley / The Wreck of the WAGER / The folio society 1983«. Es enthält zwei
fein geschriebene Berichte: John Bulkeley - »A voyage to the south seas in
the year 1740-1« und John Byron - »The narrative of the honourable John
Byron«. Byron? Ja genau. John Byron, der spätere Lord Byron und Großvater
des berühmten Dichters George Gordon Byron (oder auch Lord Byron). John
Byron hatte als 16 jähriger Offiziersanwärter (Midshipman) auf der HMS WAGER
angeheuert. Natürlich blieb er, wie alle überlebenden Offiziere, treu an der
Seite von Kapitän Cheap. So ergeben sich hier zwei gegensätzliche, einander
ergänzende Betrachtungen derselben Ereignisse, was sehr spannend zu
vergleichen ist, natürlich am besten am Kaminfeuer in einem bequemen Sessel
und einem Glas bernsteinfarbenem »Shackleton« zur Hand.
Am Ausgang des »Kanal Messier«: »Wager Island« BB
voraus. Links »Mount Wager«, rechts »Mount Misery«, der später in »Mount
Anson« umbenannt wurde.

Einen Tag später ist es so weit. Nach
einer Nacht mit pladderndem Starkregen klart es auf und der Wind dreht über
West auf Südwest. Nach ITHACA, MARGUERITE und EASTERN STREAM laufen wir im
Schutz von Wager Island in einen herrlichen Morgen. Das GFS verspricht SW um
die 20 Knoten, komfortables Segeln also, »Beam Reaching« unter blauem Himmel
und das über den »Gulf of Misery«… zu schön um wahr zu sein. Natürlich
frischt der Wind bald auf, 30, dann 40 Knoten aus WSW, Stärke sieben bis
acht. Bald haben wir nur noch das durchgereffte Groß und den kleinen Kutter
stehen, mehr als genug für diese Bedingungen. Bei Erreichen der offenen See
gesellt sich der passende Seegang zum Wind. Leider liegt der »Golfo de
Penas« zur Gänze auf dem südamerikanischen Kontinentalschelf. Bei um die 100
Metern Wassertiefe erzeugen westliche Winde einen infernalischen Seegang,
der wohl eine der Ursachen für den Verlust der HMS WAGER sein dürfte. So wie
die Dinge stehen, werden auch wir bald übel gebeutelt und gut geduscht.
Brecher waschen über das Deck und füllen mehrfach das Cockpit, während die
VERA an den vor uns ausgelaufenen, schwerfälligeren Fahrtenyachten vorbei
fliegt wie der Habicht an den Hühnern. M nimmt draussen zwei Vollbäder,
leider wieder ohne Trockenanzug. Die Engländer haben ein gutes Wort dafür:
»Miserable«. Da nützt auch der blaue Himmel wenig.
Karte »Kanal Messier«, »Wager Island« und
»Golfo de Penas«.

Bei Sonnenuntergang passieren wir »Capo Raper« (guter Name,
gell?) und können nach NE abfallen. Der SW kommt jetzt also
genau von achtern. Komfortabler ist das kaum. Wegen des
vermaledeiten Seegangs rollen wir zum Gotterbarmen. Erst als
der abflauende Wind nach Mitternacht auf S dreht, bessert
sich die Lage. Die See glättet sich und unter Vollzeug
rauscht die VERA durch eine dann doch noch herrliche Nacht.
Im Morgengrauen stehen wir wohlbehalten am Eingang zur
»Bahia Anna Pink«. »Bahia Anna Pink«? Genau. Diese ganz
grausam riffverseuchte Bucht in der patagonischen Wildnis
wurde ebenfalls nach einem Schiff aus Kommodore Anson’s
Geschwader benannt. Die ANNA PINK hatte im Sturm und Seegang
vor dieser unwirtlichen Küste die Masten verloren. Beinahe
unglaublich, dass es der Besatzung gelang, mit einem Notrigg
diese »Bahia« anzulaufen, alle Felsen und Untiefen zu
vermeiden und in einer gut geschützten Bucht Zuflucht zu
finden. Man fällte Bäume, stellte neue Masten und schaffte
es, noch rechtzeitig den Treffpunkt der Flotte auf den »Juan
Fernandez« Inseln zu erreichen. Und wir? Am Vormittag laufen
wir unter Motor durch die geschützten Gewässer der »Boca
Wickham«, in der eine Herde Buckelwale plantscht. Der
romantisch gelegenen Ankerplatz »Caleta Mariúccha« im »Canal
Abandonados« ist bald darauf erreicht. Verluste: UKW Antenne
im Masttop abgebrochen, Salzwasser in der Auspuffanlage der
Heizung, Salzwasser im wasserdichten Schaltschrank der
Ankerwinsch, beide Thermoskannen zerschmettert. Auf der
Habenseite? Keine 500 Seemeilen mehr bis Valdivia. Das
rechtfertigt doch eine große Flasche »Austral«, eine der
letzten an Bord. Herzliche Grüße und alles erdenklich
Gute wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA / »Caleta
Mariúccha« / Isla Humos / Chile
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