Erlebnisbericht für Freunde der Weltumsegler (10)

Die altehrwürdige SWAN-Yacht VERA segelt dem Ende ihres Antarktistörns zu. Patagonien genießt ja unter Blauwasser-Träumer einen sagenhaften Ruf ob der landschaftlichen Schönheit!Aber wie teuer müssen sich unsere Weltumsegler Britta und Michael (siehe Who-is-Who-im-Weltumsegeln) diesen Genuß erkaufen? Mit dem ständigem Blick auf den Barometer. Mit Wetterbedingungen, bei denen man keinen Hund vor die Tür jagt. Mit Eiseskälte, endlosem Dauerregen und dennoch Horden von stechwütigen, blutsaugenden Gnitzen. Barfußsegeln, Südseefeeling, laue Tropennächte ? Hirngespinste !

Und trotzdem: die vom Menschen noch unberührte Natur, die mächtigen Gletscher, die schroffen, majestätischen Gebirgsmassive …. und schließlich riecht es sogar nach Grillfeuer und Räucherfisch.


Britta und Michael "in Patagonia" 

044  - Nach Puerto Edén

Hallo Ihr Lieben!

»Caleta Moonlight Shadow«, Idylle in der Wildnis, Dauerregen, seit Tagen, nicht viel Wind, entgegen der Vorhersage. Doch wer weiss, was draussen im »Kanal Sarmiento« los ist? Was wir brauchen ist ein Wetterfenster, das uns die Weiterreise nach »Puerto Edén« ermöglicht. Noch 170 Seemeilen, so nah, und doch so fern. Lesen, schlafen, kochen, Gitarre spielen, schreiben, schlafen, lesen, kochen und immer mal wieder versuchen, den Magen zu entspannen. Alles in allem auch nicht schlecht, eine Art »Retreat«, eine Meditation auf Zeit. 995 Millibar, nochmals 2 Hectopascal abwärts. Draussen schifft es so heftig, dass man keinen Hund vor die Tür… Aber wem sag‘ ich das. Egal. Solange der Druck fällt, bleiben wir hier. Zeit zum sinnieren: Sind wir inzwischen irgendwie Nomaden? Bruce Chatwin, der begnadete und leider im Jahre 1989 viel zu früh verstorbene Reiseschriftsteller schrieb 1977 seinen Bestseller »In Patagonia«. In einigen Interviews danach bezeichnete er sich selbst als Nomaden. Das macht in seinem Fall irgendwie Sinn. Statt nach neuen Weidegründen für seine Herden, suchte er in der weiten Welt nach Inspiration.

Socken trocknen in der »Caleta Moonlight Shadow«.



Der Morgen graut. Das Barometer steigt einen Tick. In strömendem Regen gehen wir Anker auf und segeln hoch am Wind bis zur »Caleta Bueno«, verkehrsgünstig am »Kanal Sarmiento« gelegen. Es schifft, Katzen, Mäuse und Hunde. Manchmal nieselt es. Sprühregen ist auch im Repertoire. Alles ist triefnass, Ölzeug, Mützen und Handschuhe. Die Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Miserable.« Der nächste Tag bringt ähnliche Bedingungen: Leichtwind und Dauerregen. B will in die »Caleta Amalia«. Ein Umweg von fünfundzwanzig Seemeilen. Man soll von dort aber einen guten Blick auf den Amaliagletscher und das »Campo de Hielo Sur«, das patagonische Inlandeis haben, das abgesehen von den Polkappen immerhin das zweitgrößte der Welt ist, gleich hinter Grönland… Na denn.

Unser Blick aus der »Caleta Amalia«.



»Caleta Amalia«: Bordroutine, lesen, schreiben, kochen, essen, schlafen, lesen… Bill Tilman, der berühmte englische Extrembergsteiger und Hochseesegler musste 1956 seinen hölzernen Lotsenkutter MISCHIEF noch in der Nachbarbucht, der »Caleta Tilman« verankern, da ihm das Eis des Amaliagletschers das weitere Vorwärtskommen unmöglich machte. Wir finden zunächst kein Eis im »Estero Amalia«, was schade ist, wegen der abendlichen Drinks… Egal. Der Regen macht gelegentlich eine Pause und gibt den Blick auf den großen Gletscher frei. Eine monumentale Landschaft, keine Frage. Wenn jetzt nur die Wolken von blutgierigen Gnitzen nicht wären, die irgendwie ganz genau wissen, wie man ein Säugetier piesackt. Die Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Dreadful«. Unsere Gedanken schweifen nun des öfteren in die Südsee: Sonne auf nackter, braungebrannter Haut, zur Abkühlung ums Schiff schwimmen und sich an der Ankerkette zum bunten Riff hinunterziehen. Laue Tropennächte unter Millionen Sternen, bei warm fächelndem Wind, der in den Kokospalmen am Strand raschelt. Petroleumlampe im Cockpit, ein Glas gut gekühlter Weißwein...

Vor Sonnenaufgang in der »Caleta Amalia«.




Eine e-mail von der JONATHAN trifft ein. Unsere Freunde Caroline und Mark haben aus der Antarktis kommend die Südorkneyinseln, Südgeorgien und Tristan da Cunha angelaufen, und rauschen nun mit Backstagsbrise auf Kapstadt zu. Unter sengender Sonne und das erste mal barfuß, seit vielen Jahren. Unser Neid segelt mit ihnen. Traurig sind dagegen die Nachrichten von der unzerstörbaren 20-Meter-Expeditionsyacht PARADISE. In Enterprise Harbor in der Antarktis haben wir einen denkwürdigen Grillabend mit den abenteuerlustigen Franzosen verbracht (siehe VERA Newsletter Nr. 038). Letzte Woche ist die PARADISE auf dem Weg von den Falklandinseln nach Uruguay in schwerem Wetter gekentert. Eigner und Skipper Arnaud und die erfahrene Co Skipperin Sophie von der berühmten KOTIK gingen dabei über Bord und konnten von der an Bord verbliebenen sechsköpfigen Crew nicht mehr geborgen werden. Stoff zum Nachdenken, und nicht zuletzt auch über unsere eigenen Sicherheitsvorkehrungen.

Als wir eines Morgens die »Caleta Amalia« verlassen, um ein paar Meilen in Richtung »Edén« gutzumachen erwartet uns unerwartet dichtes Treibeis im »Estero Amalia«. Wir schnappen uns gleich einen ordentlichen Brocken für den Kühlschrank. Dabei werden wir von einer Bande draufgängerischer Delphine belästigt, die auch etwas davon wollen. Immer wieder schnuffeln sie erwartungsvoll an unserer blauen Ikea Tüte, mit der wir das Eis auflesen. Danach folgen sie uns stundenlang durch dichtes Treibeis, das sie so viel geschickter umkurven, als wir. Über die »Caleta Poza de las Nutrias«, oder auch »Otter Pool«, den tiefen Fjord »Fondeadero Brumas Patagonia« tuckern wir in einigen friedlichen Tagen meist unter Motor bis zur »Caleta Refugio«, einer wildromantischen Bucht an der rauen Küste der »Isla Wellington«. Märchenhafte Plätze allesamt, umstanden von hohen Felswänden, umwabert von Nebelschwaden und dem Rauschen von Wasserfällen. Meist regnet es in Strömen, was ganz ok ist, schon wegen der neunmalvermaledeiten Gnitzen. Ein alter Song von Nick Cave geht mir (M) tagelang nicht aus dem Kopf: »…and the rain pissed down upon me and washed me all away.« Cave war damals um die 30, und auf dem Höhepunkt seines Schaffens, so wie Neil Young nur ein paar Jahre vorher: »It’s better to burn out, than to fade away. My, my, hey, hey.« Ist es so, das jenseits der 30 ein langsames Dämmern beginnt, bis das Licht irgendwann aus ist? Und: »Das Licht das doppelt so hell brennt, brennt eben nur halb so lange,« ein altes Filmzitat aus »Blade Runner«… Haben wir vielleicht nicht hell genug gebrannt?

Treibeis und Delphine im »Estero Amalia«.




Treibeis aus dem »Estero Amalia«. (Ein Film von B+M).


Irgendwann beginnen die Tage einander zu gleichen. Morgentee, dann Merinoschichten, Faserpelz, Ölzeug, Stiefel und Handschuhe aufrödeln, Motor an und hinaus in die tropfnassen Kanäle, die archaisch daliegen, graue und grüne Felswände mit weißen Wasserfallbärten unter tiefhängenden Regenwolken oder im Morgennebel. Zur Orientierung konsultieren wir im Zweifelsfall »The holy Bible«. Hin und wieder treffen wir auf eine andere Yacht, aber unsere Wege trennen sich meist bald wieder. Jeder von uns hat hier einen anderen, einen eigenen Rhythmus. Manch einer macht seine Meilen vormittags, ein anderer kreuzt in kurzen Schlägen gegenan, bis die Arme brennen (und die Segel verschlissen sind). Wieder anderen stinkt die Kälte, der Regen und die Gnitzen so sehr, das sie so viele Meilen in den Tag packt wie nur irgend möglich. Wir liegen da, wie wir glauben, irgendwo im kraftsparenden goldenen Schnitt. Eines Morgens verlassen wir bei strahlendem Sonnenschein die gemütliche »Caleta Apalá«, wo eine große, tobende Horde von verspielten Delphine wohnt, um die letzten Meilen nach »Puerto Edén« in Angriff zu nehmen.

Bei Tagesanbruch in Patagonien.




Delphine am Bug!(Ein Film von B+M).
 


»Puerto Edén«, ein kleiner Aussenposten der Zivilisation, ungefähr auf halber Strecke zwischen »Puerto Williams« und »Valdivia« gelegen, ein wichtiges Zwischenziel in dieser feuchten Wildnis. Wikipedia weiß dazu folgendes: »Villa Puerto Edén has an extremely wet subpolar oceanic climate, and is widely reputed to be the place in the world with the highest frequency of rainfall, though according to Guinness World Records the highest frequency of rain in a year occurred at Bahia Felix (oder auch »Caleta Wodsworth« genannt, sicher einer der schönsten Ankerplätze der Welt), a little further south, with only eighteen rainless days in the whole of 1916.« Na denn.

VERA in »Puerto Edén«.




Pelztier in »Puerto Edén« - Stinkefuß und Beinumschmeichler. (Ein Film von B+M)):



Als gegen Mittag unser Anker vor dem 170 Seelen Dorf fällt, ist der Himmel stahlblau, die Luft warm und die Bucht spiegelglatt. An Land eine Gruppe von hölzernen Häusern, Stegen und Fischerbooten, gelb, rot, weiß oder irgendetwas dazwischen. Es riecht nach Grillfeuern, Räucherfisch und blühenden Fuchsien. Aus einem Ghettoblaster treiben südamerikanische Balladen über das Wasser. Es ist nett hier. Die Dänen haben ein gutes Wort dafür: »Hyggelig«. Mit dem Dinghy besuchen wir die schon seit ein paar Tagen hier liegenden Holländer von der EASTERN STREAM und ziehen rasch die nötigen Erkundigungen ein. Zwei »Supermärkte« in zwei roten Häuschen führen nichts wesentliches. Gemüse und Obst nur am Sonntag Abend, wenn die Fähre aus »Puerto Montt« kommt, einklarieren dort drüben beim Armada Anleger, nix Internet. Landgang: Ein guter Holzsteg verbindet alle Häuser im Dorf, was schlammmäßig unbedingt Sinn macht. Auf dem Steg findet sich einiges pelziges Getier, zumeist sehr entspannte »Canidae« oder »Felidae«. Man scheint sich zu kennen und faulenzt zusammen in der Sonne. Wir beschließen ein wenig zu bleiben. In den nächsten Tagen soll es heftig aus Nord wehen. Und: Am Sonntag kommt die Fähre, hoffentlich mit frischem Obst. Tanken brauchen wir nicht. Der Dieselvorrat ist dank unserer bisher verhaltenen Fahrweise noch zur Hälfte vorhanden, und reicht von hier aus sicher bis in’s gelobte Land: »Isla Chiloé«, dort, wo wohlhabende Chilenen ihren Sommerurlaub verbringen. Unsere schwedischen Freunde von der CLARY schrieben in der letzten Woche von dort und vom ausgiebigen »basking and bathing«. Das klingt verführerisch. Leider liegen zwischen hier und »Chiloé« noch über 400 Seemeilen durch nasskalte Wildnis, und dazu der stürmische »Golfo de Penas«, der schon so vielen Seefahrern zum Verhängnis wurde. Wir werden es also ruhig angehen lassen.

Karte: Von der Straße des Magellan nach Puerto Edén.




Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA / Puerto Edén / Isla Wellington / Chile

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