Halbgötter in Uniform

Von Bobby Schenk

Die "guten alten Zeiten"

Vorbei sind die Zeiten, in denen die Offiziellen mit einem Sack voll Bananen, Brotfrüchten, Papayas und Pampelmusen an Bord kamen - so wie einst auf der Thalassa in Fatu Hiva/Marquesas-Inseln. Obwohl, nette Empfangskomitees, die mit Ruderboot ankommen und mühsam die Reling übersteigen mit einem freundlichen "Welcome" auf den Lippen, die gibt es heute noch. Aber - leider - die Regel ist das nicht.

Eindrucksvoll war damals, in den siebziger Jahren, die Einklarierung im Mittelmeer - Jugoslawien: Hafenkapitän in weißer Uniform kommt an Bord und erklärt, sichtlich besorgt, mit Campari-Soda in der Hand die Gefahren der Bora. Bis ein Motorboot (Gin-Palast-Typ) in den engen Hafen düst und einen meterhohen Schwell vom Zaum bricht. Ein Blick auf die vormals schneeweiße Uniform, und schon war der Einwanderungsmensch brüllend aus der Kajüte verschwunden. Das wars dann auch mit den Formalitäten.

Und in Alicante geht ein freundlicher Polizist an der Pier spazieren - mit einem winzigen Notizbuch, in das er mit spitzem Bleistift die Namen der vor ihm liegenden Yachten einträgt. Das wars, Punkt!

In Motril, ebenfalls Spanien, kommt für die Einklarierung ein richtig netter Polizist mit Moped vorbei, der sich unseren letzten Törn bis in alle Einzelheiten erzählen lässt und beim Abschied fragt, ob er uns zu sich nach Hause zum Abendessen einladen darf. Abends steht er dann mit Kleinwagen auf der Pier und fährt uns - sechzig Kilometer weit - zu seinem kleinen, aber schmucken Häuschen im Inland, wo seine Frau schon eine riesige Paella vorbereitet hat.

Alles in allem war seinerzeit die "Einklarierung" kein besonderes Thema.

Berüchtigt:Ozeanweit bekannte Sadisten lauerten auf Blauwassersegler

Selten wurden Yachtsleute nach mühsamen Überfahrten schlecht behandelt. Ausnahmen gab es aber auch schon damals. So war der Immigration Officer C.G. auf den Solomon-Inseln über die ganze Südsee hinweg bekannt, denn gnadenlos kassierte er ab, auch für sogenannte Leuchtfeuergebühren, was unrechtmäßig war, denn solche gab es auf seiner Insel nicht. Und die Älteren werden sich an den Immigration Officer in Antigua in Westindien erinnern, der so unbeliebt war, dass er des Nachts von unbekannt gebliebenen Yachties körperlich "behandelt" wurde, was ihm gar nicht gut bekommen ist.

Dass damals die Segler auf den Galapagos-Inseln schikaniert und finanziell erleichtert wurden, war dank der Hefterl der SSCA (Seven Seas Cruising Association) Allgemeingut an Einklarierungsinformationen. Denn der ecuadorianische Militärkommandant, abgeordnet, besser gesagt: strafversetzt, kassierte willkürlich Hafengeld, um seinen Sold gewaltig aufzubessern, obwohl bereits in Panama für teure Dollars ein Permit für die wegen ihres grandiosen Tierlebens berühmte Inselgruppe bezahlt werden musste. Dieses erklärte er regelmäßig für ungültig und schimpfte auf seine Kollegen in Panama, wie korrupt die doch seien.

Die Einklarierung und Aufenthaltsgenehmigung auf den Chagos-Inseln, der Hauptinsel Diego Garcia, war für uns die schmerzhafteste. Die Inseln waren und sind britisch. Dem Schein nach, denn Diego Garcia ist der gemietete Platz für die riesige amerikanische Südseeflotte mit ein paar tausend Sailors drauf. Übrigens auch heute noch. Um den Schein zu wahren, wehte aber noch der British Ensign. Der Oberkommandant der ganzen Inselgruppe war ein älterer Herr, der einzige Engländer, der uns freundlich einen Anker-Platz in der hintersten Ecke der riesigen Lagune anwies mit der Order, dass - der vielen Sailors wegen - Karla zu ihrem Schutz nicht von Bord gehen darf. Er erzählte uns, dass das nächste Versorgungsschiff mit den von uns so sehr begehrten neuen Briefen aus der Heimat in vier Tagen kommen würde. Und genehmigte uns einen Aufenthalt von drei Tagen. Unseren durchaus maßvoll vorgetragenen Protest wies er höflich (man kann auch sagen "böse zynisch") mit einem Lächeln zurück.

Die guten Behörden auf den Neuen Hebriden

Am skurrilsten war die Einklarierung auf den Neuen Hebriden (heute Vanuatu). Denn das war ein Condominium, das heisst eine Art Gemeinschaftsregierung von Frankreich und England. Behörden, Schulen, Sprache - alles gab es doppelt. Wer sich mal schon Gedanken über die sehr spezifischen Wesensunterschiede von Franzosen und Engländern gemacht hat, kann sich kaum vorstellen, dass das gut gehen kann. Aber die Geschichte lehrt das Gegenteil. Alles funktionierte bestens und zum Wohlergehen der einheimischen Insulaner. So auch die ganz normale Einklarierung, bis auf die Tatsache, dass wir zweimal die Prozedur und zweimal den Papierkrieg durchmachen mussten. Mit Ausnahme der gemeinsamen Barkasse zum Besuch der Yacht gab es nichts Verbindendes zwischen den englischen und den französischen Abordnungen. Also waren an Bord der kleinen THALASSA getrennte Zollbeamte, getrennte Ärzte, getrennte Zöllner sowie zwei Dolmetscher für französisch und Englisch. Nebenbei: Die Neuen Hebriden habe ich in angenehmster Erinnerung.

Ein herzlicher Empfang durch Offizielle war früher die Regel, brachten doch Yachten neue Stories, Geld und üblicherweise auch die sonst so streng limitierten Alkoholika mit. Die local people freuten sich schlicht über einen Besuch von Menschen, seltene Gäste, die von weither gekommen waren. Wir haben einige Plätze besucht, wo sich niemand an ein früheres Segelschiff erinnern konnte.



Immer schon waren aber die Behörden die mächtigsten Institutionen für die ankommenden Segler, denn sie allein hatten es in der Hand, ob man die Insel betreten durfte oder nicht; sie waren sozusagen Halbgötter für die Segler.

Heute umso mehr. Aber das früher meist vorhandene Wohlwollen den Fremden gegenüber ist heute gewichen.

Haben sich die Segler geändert oder nur die Gesetze?

Nein. Es ist schlicht die Mehrzahl der Yachten, die in den Hafen oder auf den Ankerplatz nach langer Überfahrt einfahren. Während es zu Beginn der Fahrtensegler-Epoche vielleicht mal fünf Yachten pro Jahr waren, die nach 3000 Meilen Überfahrt müde in den Marquesas-Inseln einliefen, kommen jetzt ein paar Hundert in der gleichen Zeit an. Vom Atlantik auf der Passatroute in die Karibik möchte ich hier gar nicht reden. In den "guten, alten Zeiten", aus heutiger Sicht, waren es eine Handvoll Segelyachten, die Antigua, Barbados , St. Lucia zur Weihnachtszeit anliefen, heute ist die Anzahl vierstellig. Eine Yacht ist in den vom Heimatland abgelegenen Gegenden keine Sensation mehr. Und das Einklarieren ist für die lokalen Behörden kein Vergnügen mehr, sondern reine Arbeit, die gelegentlich halt noch einen kleinen Nebenverdienst einbringen kann. Darüber hinaus haben sich auch die Themen bei der Einklarierung geändert: Waffen und Drogen. Nach Waffen wurde damals meist erst gar nicht gefragt und Drogen existierten nicht, jedenfalls unter Yachties. Eine Durchsuchung durch den amerikanischen Zoll auf hoher See, der heute gelegentlich Yachten widerfährt, gab es damals nicht.

Nein, heute werden Yachten nicht mit Luftballons empfangen. Bestes Beispiel Australien: Da werden ungebetene und unerlaubt Einreisende nach der Einödinsel am Äquator Nauru eskortiert. Wo sie offensichtlich bis heute und vielleicht bis in alle Ewigkeit unter brutalen Bedingungen leben dürfen. Kann mir durchaus vorstellen, dass dort mit Yachties ähnlich verfahren würde.

Ausräuchern ist keine leere Drohung?

Das Ankommen, auch vor Corona, ist mit dem Anwachsen der Blauwasserszene viel stringenter geworden als noch vor ein paar Jahren. Lange bevor wir nach Australien segelten, schon aus Tonga, mussten wir um ein Visum per Email bei den australischen Behörden bitten, ja betteln. Und als Australien schon fast in Sicht war, kreiste ein Flugzeug über uns und funkte unseren Schiffsnamen. Nach kurzer Befragung, man könnte auch von einem "Verhör" sprechen, durften wir Richtung Australien weiterfahren. Wo wir dann von den netten Landwirtschaftsleuten willkommen geheißen wurden. Wir waren schon vorbereitet auf das, was jetzt kommen würde, konnten uns also durchaus auf die ganz ungewöhnliche Prozedur einrichten, nämlich die Yacht von allen Lebensmitteln zu befreien und penibel auf Schädlinge vom Herrn/Dame des Landwirtschaftsamtes durchsuchen zu lassen, selbst in der Bilge und unter den Bodenbretter. Wehe, es werden beispielsweise Kakerlaken gefunden, dann heißt es: "Fumigating!", also ausräuchern! Dabei wird die Yacht wortwörtlich komplett in Tücher gehüllt, ja bis zur Mastspitze - siehe Fotos. Bis dann das Gas kommt. Macht einige zigtausend Dollar. Wir kamen mit dem Schrecken davon, als einer der Beamten unter den Tisch im Salon leuchtete und aufgeregt schrie: There ist an ant!" ("da ist eine Ameise!"). Aber nach einer Untersuchung des Eindringlings in australische Hoheitsgewässer unter der Lupe erklärte man das arme Tierchen für harmlos und beendete sein Leben.



Die große Frage: Welcher Segelschein beim Blauwassersegeln?

Was man heute in Segel-Deutschland offensichtlich für besonders wichtig hält, passierte uns überall auf der Welt kein einziges Mal. Nämlich die Frage nach einem Führerschein, auf den ich gerne meinen mit so viel Geld und Mühen erworbenen Packen voll angeblich wichtiger Papiere hingeblättert hätte. Das mag auch daran liegen, dass es nicht allzu viele Länder gibt, in denen Führerscheine für Segelyachten gesetzlich vorgeschrieben sind. Und so werden halt alle Blauwassersegler gleichermaßen behandelt.

Was heute aber unbedingt vorgelegt werden muss - in vielen Ländern eben Gesetz, ist die Bestätigung über eine Haftpflichtversicherung für die Yacht (nicht zu verwechseln mit der Kasko-Versicherung, die interessiert keinen Offiziellen).

Jedes Land gestaltet die Prozedur der Einklarierung so, wie es sie für richtig hält. Und so kann man keine allgemein gültigen Empfehlungen geben, wie man sich gegenüber den in diesem Moment wichtigsten und mächtigsten Leuten verhalten soll. Doch haben wir in all den vielen verschiedenen Ländern zwei Erfahrungen gewonnen, die ich hier gerne preisgeben möchte: Wenn Du in der typischen Yachtsmann-Uniform, nämlich T-Shirt, Shorts und alten Flipflops, bei der Behörde aufkreuzt, hast Du schon verspielt. Die Offiziellen sind nun mal auch Menschen mit (manchmal zu viel) Würde.

Und ein Typ von Carla: Der Skipper sollte klein beigeben und die fein herausgeputzte Bordfrau als "Skipperin" mit den Papieren zum Einklarieren schicken. Denn die Beamten sind nicht nur Halbgötter mit kleinen Fehlern, sondern, meistens, auch Männer.


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