Der Yachttraum von Jörg - Teil2
mit einer türkischen Gulet in die Welt hinaus?



Der Stapellauf gestaltet sich in Bozburun etwas anders als bei uns. Das 70 t Schiff wird über eingefettete Holzbalken auf einem Schlitten über die Straße gezogen. Wir konnten gerade noch vor dem Ins-Wasser-Gleiten stopp rufen, damit Angela ihren Champagner gegen den Bug werfen und dem Schiff immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel wünschen konnte und, was für sie am Wichtigsten war, Rasmus (den Gott des Windes) bitten, mit dem Wind sparsam umzugehen. Für die sichere Seefahrt wird hier in Bozburun, auch gegen unseren Willen, ein Schaf geschlachtet. Das Fleisch wird dann beim Festessen für alle Helfer und Freunde unter dem jetzt freien Dach serviert.

Nach knapp sieben Monaten Bauzeit schwimmt unsere Carolin und wir liegen an der Pier. Zwei Schreiner, Hakan und Jakob, halfen uns bei den restlichen Maler- und Verschönerungsarbeiten. Hier eine Verblendung, dort eine Zierleiste, zwischen den Deckenbalken weiße Farbe, damit man nicht von zu viel sichtbarem Holz erschlagen wird. Auch Angelas Kinder kommen zwischendurch und helfen, die To-Do-Liste zu verringern.



Aluminium-Masten waren mein Sonderwunsch. Sie wurden weit im Landesinneren in Denizli nach meinen Maßangaben hergestellt und erfreulicherweise passte alles nach dem Aufriggen zusammen. Der Elektriker ließ uns ziemlich hängen. Nachdem er vier Wechselschalter „zerschossen“ hatte, hatte unser Sohn Fyn ihm einen ganz einfachen Installationsplan gezeichnet. So einen Plan kannte er nicht, konnte ihn nicht lesen und war erstaunt, als Fyn die Schalter fix eingebaut hatte.Von da an stand er immer vor der Gangway, fragte, ob Fyn da wäre; wenn ja, hatte er jede Menge Ausreden, weshalb er nicht weiterarbeiten konnte, und wenn Fyn nicht da war, kam er an Bord. So haben wir unsere erste Ausfahrt mit Freunden im August noch mit unvollständiger Elektrik gemacht. Der Generator war noch nicht angeschlossen und die Maschine musste ich im Motorraum starten und stoppen.

Erst nach der Chartersaison hatte Mehmet Zeit, sich um die Zollpapiere fürs Ausklarieren zu kümmern, was wohl ein ziemlich großer bürokratischer Aufwand war. Die neuen UK Segel durften auch erst zu diesem Zeitpunkt geliefert werden, damit sie im Transitlog mit aufgeführt und ausgeführt werden konnten.

Beim ersten kleinen Törn im Herbst, bei dem auch Konstrukteur Peter dabei war, funktionierte alles bestens. Wir waren glücklich. Nicht unerwähnt bleiben darf, wie fair und seriös die Preisgestaltung für dieses Projekt war. Obwohl alle Bauteile, vor allem auch das Holz, erheblich im Preis gestiegen waren, hielt Mehmet an seinem veranschlagten Komplettpreis fest. Es wäre vermutlich gegen seinen Stolz, mehr zu verlangen. Nach dem was wir so gehört haben, ist dies nicht die Regel, und selbst die Landsleute werden gerne mal über den Tisch gezogen.

Die Sachbilanz:

Weit über 6000 Arbeitsstunden. An die 100 t Holz, Cummins Maschine 320 PS, Generator 9 kW, Feuerwehrpumpe mit Schlauch, knapp 4000 L Dieseltanks, 4 t Abwassertank, 6 t Frischwasser, überdachtes Cockpit mit Sofa und Tisch für 10 Personen, Salon mit Sofa und Tisch für 10 Personen, offene Küche mit viel Luft, fünf Gästekabinen mit eigenem Bad und große Eignerkabine, alles von Hand aus Holz gefertigt.



Alles ist genau so, wie wir uns das vorgestellt haben, und wir würden auch beim nächsten Schiff kaum was ändern. Nach wie vor sind wir vom handwerklichen Geschick und der Arbeitsweise der Bootsbauer beeindruckt. Beim Bau des eigenen Schiffes von Anfang an dabei zu sein war für uns ein unbeschreibliches Erlebnis.

Wie aber bewährt sich so eine türkische Gulet auf dem Atlantik? Dazu muss man sagen, dass unsere Gulet nicht ganz typisch ist, denn sie hat einen etwas moderneren Riss. Aber die Bauweise als Langkieler mit relativ wenig Tiefgang ist genau so wie die einer herkömmlichen Gulet. Vor unserer Abreise haben uns die Einheimischen gewarnt: so ein Schiff ist nur für die Küste geeignet, fahre bloß nicht auf die offene See und schon gar nicht in die großen Wellen des Atlantiks. Aber die Stabilitätsberechnungen unseres Konstrukteurs gaben mir die Sicherheit, mit unserer Reise in die Karibik keinerlei Risiko einzugehen. Da unser neues Schiff noch keine Testfahrt hinter sich hatte, sind wir ab Mai 2019 nur langsam über die griechischen Inseln Richtung Westen gesegelt. Falls irgend etwas nicht richtig funktionieren würde, wie z.B. Motor, Kühlschrank oder was auch immer, hätten wir schnell umdrehen können, um einen Reparaturstopp in der Türkei einzulegen.



Den ersten etwas kräftigeren Wind bekamen wir zwischen Mallorca und Spanien. Es war inzwischen November und der Nordwestwind blies stetig über 30 kn und die Welle war ganz schön steil und hoch. Da denkst du am Anfang bei jeder Welle, hoffentlich halten alle Terminals an den Wanten, hoffentlich habe ich das Vorstag stark genug gewählt, hoffentlich läuft bei den hohen Wellen kein Wasser in den Auspuffkrümmer und zurück in den Motor, hoffentlich halten die Hauskaltkühlschränke so viel Krängung aus. Zwei Tage später war zwar das ganze Schiff mit einer Salzkruste überzogen, aber nichts ist kaputt gegangen - große Erleichterung bei mir. Nicht viel später, vor Mare Menor, sind wir unter Vollzeug in eine kleine Front gekommen mit knapp 50 kn. Da hat es uns mal kurz ziemlich auf die Seite gelegt, und das Schiff drehte sich langsam in den Wind, so dass wir schnell Groß und Besan bergen konnten. Unter dem kleinen Vorsegel haben wir dann bei diesem Wind immerhin 10 kn Fahrt gemacht.

Auch diesen Test bestand unsere ‚Carolin‘ ohne Schaden, so dass mein Vertrauen immer größer wurde. Ende November mussten wir ein paar Tage in Gibraltar warten, da zu heftiger Westwind herrschte, um weiter zu segeln. Daher mussten wir die geplanten Stopps in Marokko streichen und direkt zu den Kanaren segeln. Bis auf die hohe Dünung aus West war es eine entspannte Reise, mit großen Strecken unter Spinnaker. Von Fuerteventura bis Gran Canaria hatten wir die unangenehmste Schaukelei der ganzen Strecke. Vermutlich waren Wellenlänge und Richtung besonders unglücklich. Jogi meinte, wenn das so über den ganzen Atlantik geht, dann überlege ich mir, ob ich mir das antun soll.

Und auf der nächsten Etappe zu den Kapverden war es kaum besser. Der N-Wind mit durchgehend um die 28 kn war nicht das Problem. Wir konnten keinen Kurs finden, bei dem die Welle genau von achtern kam trotz ausgebaumter Genua und vollem Groß. Von irgendeinem Sturmtief weiter westlich hatten wir eine Kreuzsee, und so schaukelte es wieder tüchtig. In diesen fünf Tagen hätten wir nur zu gerne mit einem Katamaran getauscht!

Es war zum Glück eine schnelle Reise mit Etmalen bis 180 sm, und obwohl wir drei Tage nach unserer Planung in Las Palmas ausliefen, konnten wir unseren Konstrukteur Peter pünktlich eineinhalb Stunden vor seinem gebuchten Abflug in Mindelo abliefern. Aber das nur, weil es eine Stunde Zeitverschiebung gab, die wir nicht eingeplant hatten.

Es muss hier nochmals erwähnt werden, dass uns nicht daran liegt, möglichst schnell von einem Ort zum nächsten zu kommen. Dennoch erwies es sich als sinnvoll, das Schiff in guter Fahrt zu halten, denn dadurch erhöht sich die die Formstabilität erheblich. Ein zusätzliches Abbremsen der Schaukelbewegung ergab sich auch, wenn der große Spinnaker gesetzt war.

Seit Mindelo waren wir zu zehnt, und ich muss sagen, es hätte keine schönere Reise geben können. Es war immer tolle Stimmung mit Gourmet-Essen, frisch gefangenem Fisch, Sportprogramm, Geschichtsvorträgen, Sundowner mit Softdiscomusik und manchmal auch Shantysingen. Der Wind war eher flau, einen Tag lang war die See sogar spiegelglatt, nur die letzten beiden Tage blies es bis 30 kn. Nach drei Wochen durchfuhren wir einen wunderschönen Regenbogen kurz vor dem Ankerplatz auf Barbados. Das Schiff war komplett vom Salz befreit, und die Berufstätigen erreichten ihre Flüge zurück in die Heimat.

In den drei Wochen über den Atlantik mussten wir auf nichts verzichten. In den Kühlschränken ist so viel Platz, dass sie bei der Abreise nicht einmal ganz gefüllt waren, und von den 6 t Wasser war noch eine übrig, so dass der Wassermacher nicht mal arbeiten musste. Natürlich gab es jeden Morgen frisches Brot und schwäbische Seelen. Der einzige Schaden, den wir hatten, war ein abgeknickter Spibaum, der geschweißt und orthopädisch korrekt geschient wurde.

Auf Martinique hat uns dann Corona die Weiterreise blockiert. Sechs Wochen dicht vor dem leeren Sandstrand vom Club Med - war super erholsam. Wie froh waren Angela und ich, dass wir allen Komfort wie zuhause hatten, durch unseren großen Abwassertank von 4 t auch nichts in die Bucht entleeren mussten und regelmäßig (unerlaubt) Besuch von Freunden von benachbarten Booten erhielten.



Vom Nachbarkatamaran kam uns Peter aus Österreich zu Hilfe, als unser Motor nicht starten wollte. Die genaue Ursache dafür fand Peter zwar erst viel später heraus, als er zufällig sah, wie beim Startvorgang Funken aus dem Anlasser sprühten, weil in dem Keramikteil ein großer Sprung war. Doch Peter fand, dass in puncto Absicherung so einiges nachzuholen sei und, da er sowieso zurück ins Mittelmeer wolle, man diese Verbesserungen auf dem Weg erledigen könne. Das war ein grandioser Glücksfall; Peter verliebte sich in den hölzernen Rumpf der Gulet und verbrachte viele Stunden im Maschinenraum und in unserer Werkstatt. Als wir zurück in der Türkei waren, war die Elektrik komplett umgebaut, erneuert und mehrfach abgesichert. Er baute sogar ein neues Schaltpaneel, neue Schalt- und Sicherungskästen, alle Zuführungen zu den Amaturen wurden erneuert und wasserdicht verpackt, es gab Batteriebalancer usw. Was gibt es für glückliche Zufälle, oder gibt es keine Zufälle?



Wie geplant legten wir Ende Mai ab, leider ohne die Virgin Islands und Puerto Rico gesehen zu haben. Wie üblicherweise empfohlen, machten wir erst einen langen Schlag Richtung Norden, und dann kreuzten wir immer auf dem Schlag, der uns näher ans Ziel führte. Einen Tag verbummelten wir auch komplett bei Flaute, aber im Kalmengürtel kommt doch immer wieder eine kleine Brise aus verschiedenen Richtungen. Es war herrliches Segeln, mithilfe des täglichen Wetterberichts (predict wind über Satellit) kann man ja auch die Schläge im Hinblick auf die Richtung der nächsten günstigen Winddrehung schon vorherplanen. Nur die letzten zwei Tage vor den Azoren hatten wir Böen bis 30 kn, sonst waren wir außer einer mehrstündigen Gewitterfront immer im angenehmen Windbereich. Und ich muss sagen, seglerisch war der Kurs nach Osten der schönere und abwechlungsreichere. Zwar liegt das Schiff hoch am Wind etwas schief, aber dafür schaukelt es nicht. Die Stampfbewegungen sind bei unserem Schiff mit seinen 70 t sehr sanft, und wenn wir nicht sehr hart an den Wind gehen, dann läuft unsere Carolin auch ganz gut.


Unsere Dieseltanks hatten wir auf Trinidad zuletzt gefüllt, und wir nutzten so selten unsere Maschine, dass wir in Gibraltar nur wenig nachtanken mussten, obwohl hier der Liter nur 50 Cent kostete.

Alles an Bord hat sich prima bewährt, meine Bedenken, dass das Dinghi nicht hoch genug hängt und durch eine Welle voll Wasser schlagen könnte, haben sich glücklicherweise nicht bewahrheitet, auch waren die Davits stark genug, um das 400 kg Beiboot zu tragen. Am festen Dach musste ich allerdings kreuzweise ein paar Wanten einziehen, da es bei der Schaukelei doch angefangen hat, sich seitlich zu bewegen. Auf diesem Dach ist ja auch die Schot des Besans befestigt.

Erfreulich gut hat sich der einfache Autopilot am Steuerrad von Raymarine bewährt, der eigentlich nur für Yachten bis 12 t empfohlen ist. Wir konnten ihn auch vom Tablet aus bedienen, so dass der Wachhabende nicht mal vom Sofa aufstehen musste, um den Kurs zu ändern. So war denn auch der Titel des Fotobuches, das mir unsere Mitsegler nach der Reise schenkten: "Auf der Couch über den Atlantik."

Das Resümee:

Nachteile unserer Gulet sind:

- schlechte Kreuzeigenschaften, vor allem bei Seegang

- bedingt durch die hohe Cockpitlage ist man den Schaukelbewegungen verstärkt ausgesetzt

- hohe Seitenwindanfälligkeit bei Manövern

- Rückwärtsfahren sehr schwierig

Vorteile:

- gute Zugängigkeit aller verbauten Teile wie Motor, Getriebe, Wellenabdichtung, Tanks, elektrische Kabel, Wasser und Abwasserleitungen, Ruderhydraulik, einfach alles.

- sehr viel Stauraum und Platz, 4 t Abwasser, 6 t Frischwasser, 3,5 t Diesel, 5 große Gasflaschen, 5 Gästekabinen mit Bad, sehr geräumige Eignerkabine, extra Werkstattraum mit Platz für Ersatzteile, genügend überdachte Schlafmöglichkeiten an Deck, festes Sonnendach über dem Cockpit.

- Komfort wie zuhause: Waschmaschine, Bügeleisen und -brett, Speiseeismaschine, Brotbackautomat ....

Nachwort Bobby Schenk:

Nun möchten Sie natürlich wissen, was dieses Riesenschiff (aus meiner Sicht) gekostet hat. Wie hoch schätzen Sie den Preis für diese ganz offensichtlich hochseetüchtige Segelyacht? Was müssen wir auf dem Markt für eine 22.5 Meter lange Hochseeyacht blechen?

Bedenkt man, dass heute schon für eine 15 Meter lange Yacht schätzungsweise rund eine Million Euro hingelegt werden muß, dann mag man den Anschaffungspreis für eine 22 Meter lange Hochsee-Yacht eigentlich gar nicht wissen, denn die ist für uns Privatleute schlicht out of range. Bei Oyster, Hallberg Rassy, Amel etc. braucht man sich danach gar nicht zu erkundigen. So eine hölzerne rustikale Gulet allerdings, auch wenn sie noch so gut gebaut ist, sollte sich in etwas niedrigeren Sphären bewegen.

Also, hier die Auflösung: unglaubliche 275.000 Euro für die 22,5 m lange Gulet. Und das - wenngleich ohne Segel und Navigationsausrüstung - ist ja wohl unschlagbar!




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