Das segelnde Klassenzimmer

 - die Weltumsegelung der Kiwitt (9)

Der große Teich

Wasser Wasser Wasser. Wer sich fragt, warum die Erde der blaue Planet heißt, der wird hier schlauer. Um uns herum, über und unter uns war es einfach nur blau. Die einzige Abwechslung zu diesem Blau bot die Kiwitt mit ihren 8 Metern, die angesichts dieser Weite noch kleiner wirkte. Seit der Abfahrt von den Kapverden waren einige Tage vergangen und mit einer Ausnahme in der ersten Nacht hatten wir kein Schiff gesehen. Der Wind war beständig und kräftig und trieb uns immer weiter Richtung Westen. Wie viele Tage? Das konnte ich auf Überfahrten nie sagen, die Tage gleichen sich so, dass man schnell den Überblick verliert. Da half nur ein Blick in den großen Übersegler und das Zählen der Kreuzchen, die wir jeden Mittag dort eintrugen. Kreuzchen für Kreuzchen in einem Abstand, der erschreckend klein ist, wenn man sich das Format dieser Karte anschaut. Und trotzdem war es einer der Höhepunkte des Tages, weil man wieder ein Stück geschafft hatte. Wir kamen mit Etmalen von rund 120 sm gut voran, aber angesichts der fast 2000 sm Distanz von Sao Nicolau nach Barbados war das nicht viel. Nun, wir hatten mit rund 20 Tagen für die Strecke gerechnet und bis dahin waren wir ganz gut unterwegs.

Mitten über das Meer? Weit weg vom Land? Das hat mich meine Oma immer gefragt. Jetzt entfernten wir uns mit jedem Moment weiter vom Land. Unsere Welt bestand nur aus Meer, Himmel und der Kiwitt. Schlimm fand ich den Gedanken nie, der Rhythmus wird langsam, man hat viel Zeit nachzudenken und zu träumen. Ich hab immer viel gelesen und wenn mir langweilig war, mal ein Brot oder einen Kuchen gebacken. Wenn man mal zu gar nichts Lust hat, fängt man eben schon morgens an, darüber nachzudenken, was man mittags zu essen macht. So bekommt man den Tag auch rum. Der größte Teil von solch langen Strecken geht so vorüber, aber irgendwann packte mich dann auch immer mal der Seekoller, mitten im nirgendwo. Da wird man dann von heute auf morgen der See überdrüssig, man hat keine Lust mehr, zu lesen und kann nicht mehr stillsitzen. Man will sich bewegen, etwas tun, aber auf 8m Länge ist das schwierig und der Mast war aufgrund des Seeganges nur äußerst selten zum Klettern geeignet. Diese Tage sind schwierig und wenn man dann nichts findet, an dem man sich auslassen kann, wird man rappelig. Ich hab mitten auf dem Atlantik angefangen die reparierten Stellen am Mastfuß sauber beizuschleifen, zu spachteln und zu streichen. Das hört sich nicht nach Bewegung an, aber auf dem Deck eines unter zwei ausgebaumten Vorsegeln dahingeigenden kleinen Segelschiffes ist das eine echte Herausforderung. An diesem Abend hatte ich richtig Muskelkater in den Armen. Und als dann am nächsten Tag alles gestrichen war, war auch der Seekoller überwunden.

Die Genua macht sich selbstständig

Für eine andere Art von Abwechslung sorgen dann kleinere und größere Probleme. So knallte es eines Tages und die ausgebaumte Genua begann zu flattern. Nach einem aufgeregten Satz an Deck entdeckte ich, dass der Spinnakerbaum aussah wie ein V und seinen Zweck, die Genua auszubaumen, nun eher unzureichend erfüllte. Ich wusste sofort was los war. Ein paar Tage zuvor war mir die Vorschot ausgerauscht und der Baum war dabei gegen das Vorstag geschlagen. Die kleine Delle, die er sich dabei zugezogen hatte, war der entscheidende Schwachpunkt. Der Wind wurde kräftiger, der Druck höher und irgendwann gefiel ihm die V-Form besser und er klappte zusammen.

Juhu, der Tag ist gerettet! Langeweile kommt heute nicht auf. Was tun? Ist da die Frage. Ohne Baum weiterzufahren war wenig vielversprechend, da die Genua ständig einfiel. Aber ein Ersatzrohr war nicht vorhanden. So beschloss ich ihn kurzerhand zu schienen. Aber wo waren die Holzlatten, die ich mitgenommen hatte? Na klar. Wo wohl?! in der großen Backskiste und zwar ganz unten… Und so räumte ich sie wieder einmal komplett aus. Mit dem gefundenen Material und viel Leine war nach zwei Stunden die, wenn auch etwas monströse aber doch recht stabile, provisorische Reparatur erledigt. Das klobige Teil konnte wieder eingehängt werden und es kam ein Teil mehr auf die Liste der noch zu besorgenden Dinge.

Advent auf See - ohne Weihnachtsstimmung 

Den zweiten und dritten Advent verbrachten wir auf See. So richtig Vorweihnachtsstimmung wollte bei den milden Temperaturen nicht aufkommen und vor der Überfahrt hatte ich nicht darüber nachgedacht, dass man ja einen Adventskranz gebrauchen könnte. Na ja, Tannengrün war auf den Kapverden eher nicht zu bekommen, da hätte man sich mit Palmwedeln behelfen müssen. Also bastelten wir uns spontan einen Adventskranz, sehr provisorisch, aber immerhin. Ohne Tannengrün auf einem großen Topfdeckel, mit vier Kerzen und ein wenig Deko. Er sah nicht besonders weihnachtlich aus, aber der Geruch der mit Nelken gespickten Orange (die eine, die ich opfern durfte) erinnerte da schon mehr an Weihnachten.


Land in Sicht - stimmt das GPS?

Irgendwann war es dann soweit. Die Kreuzchen wurden immer mehr und das 18. war dann genau zwischen dem 17. und Barbados. Noch ein Tag… wenn der Wind nicht einschläft… wenn das GPS nicht falsch anzeigt.. wenn wir nicht havarieren…wenn, wenn, wenn. Als der Morgen kam, stand ich das erste Mal an diesem Tag am Bug und spähte in die Dämmerung. Über Nacht konnte man am Horizont voraus schon einen verräterischer Schein sehen. Aber ich konnte noch nichts erkennen. Die Stimmung von Heike und mir war schon die letzten zwei Tage immer weiter gestiegen und heute war die Spannung riesengroß. Wir verbrachten den ganzen frühen Vormittag auf dem Vordeck und starrten ins Blau hinein bis… ja, bis sich eine Kontur, nein es war eher ein Schatten, im Dunst abzeichnete der kräftiger war als die, die wir uns schon den ganzen Morgen eingebildet hatten. Da war sie, die ersehnte Insel: Barbados. Jedenfalls war das unsere Vermutung, denn wirklich erkennen konnten wir noch nichts. Das hat schon was Geheimnisvolles, wenn nach so vielen Tagen ohne festen Orientierungspunkt das Land plötzlich an der richtigen Stelle auftaucht. Ich suchte die Gastlandflagge heraus und zog diese zusammen mit der Quarantäneflagge zur Saling hoch. Danach brütete ich über der Detailkarte von Barbados und versuchte eine Landmarke ausfindig zu machen. Langsam wurde die Insel immer klarer und ich konnte markante Punkte erkennen. Am Nachmittag des 22.12. rundeten wir den Südzipfel von Barbados und segelten in großem Bogen zum Deepwater Harbour. Vorbei an der langen, weiten Bucht von Bridgetown und an den vielen dort ankernden Jachten, da wir erst im Hafen offiziell einklarieren wollten. Plötzlich entdeckte ich ein kleines Segelschiff, das vom Hafen Richtung Bucht fuhr und nach einem Blick durchs Fernglas erkannte ich die Futschikato. Sofort nahmen wir Kurs auf um Irene und Georg zu begrüßen. Die beiden hatten gerade einklariert und waren nur ein paar Stunden vor uns angekommen. Die Freude war riesengroß, aber erst mussten wir die Behörden aufsuchen.

Nachdem wir unser erstes Anlegemanöver seit knapp zwei Monaten gemeistert hatten, hatten wir nach 19 Tagen auf See wieder festen Boden unter den Füßen. Die Einklarierung in Barbados ging sehr zügig und professionell von statten und wir mussten nur eine Viertelstunde auf den Quarantänebeamten warten. Immigration und Zoll waren sofort zur Stelle, so dass nach einer knappen Stunde alles erledigt war und wir in die Carlisle Bay motorten. Dort warfen wir neben der Futschikato knapp 30m vom Strand entfernt unseren Anker ins glasklare Wasser. Es war so klar, dass ich ihn ganz deutlich in 8m Tiefe im Sand liegen sehen konnte.

An diesem Tag machten wir nicht mehr viel. Wir schwammen noch an den Strand, machten unterwegs einen Stopp auf der Futschikato und freuten uns über unser Wiedersehen. Georg und Irene war es während der Überfahrt von den Kanaren aus nicht so gut ergangen. Ihnen war ein Ruderbeschlag gebrochen, so dass sie das Ruder abmontieren mussten. Glücklicherweise konnten sie das Ruder der Windsteuerung als Notruder nutzen, allerdings nur, wenn sie es von Hand steuerten. Das bedeutete, dass sie sehr unbequem auf dem Heck des kleinen Schiffes (Shark 24) sitzend Tag und Nacht rudergehen mussten. Die beiden waren überglücklich, davon erlöst zu sein. Wachegehen ist eine Sache, aber ständig Ruderzugehen – und das noch so unbequem – eine ganz andere.

Am nächsten Morgen gingen wir an Land und schauten uns das bunte Treiben an. Was tut man als Erstes nach einer Atlantiküberquerung? Nun ja, man sucht ein Internetcafe und setzt ein Lebenszeichen nach Hause ab. Das war dann auch schnell gefunden und nachdem die ersten Mails geschrieben waren stellten wir fest, dass man auch relativ günstig nach Deutschland telefonieren konnte. Wir beschlossen morgen, am Heiligen Abend, wiederzukommen und zu Hause anzurufen.

Rumseliger Heiliger Abend unter Palmen

Den Rest des Tages verbrachten wir mit Erkundungen von Bridgetown und machten uns auf die Suche nach dem Trans-Ocean-Stützpunkt, da Heike Post erwartete. Naturgemäß stellt sich eine solche Suche nie ganz einfach dar und so bekamen wir auch hier zehn völlig unterschiedliche Wegbeschreibungen von zehn verschiedenen Personen... Die Ziele waren über die halbe Insel verstreut. Irgendwann stellte sich dann raus, dass der erste Befragte (der sich aber nicht ganz sicher war) Recht hatte und es nur zehn Minuten zu Fuß entfernt war. In der Chelsea Road angekommen, stellte sich dann die Frage, welches Haus das richtige war, da es in Barbados offensichtlich keine Hausnummern gibt. Wir gingen die Straße mehrfach auf und ab bis ich feststellte, dass dieser zusätzliche Name in der Adresse, der uns immer sonderbar vorkam, der Name des Hauses war. Wie es schien, hatte jedes Haus in der Straße einen Namen. Nach dieser Erkenntnis war dann alles ganz einfach und kurz darauf begrüßte uns Jens, der hiesige Stüzpunktleiter. Er bot uns etwas zu trinken an und erzählte uns ein bisschen von Barbados. Natürlich versorgte er uns auch mit den für Segler immer so wichtigen Informationen: Wo kann man gut einkaufen, wo gibt es sauberes Wasser, wo bekommt man Diesel, was ist sehenswert und was ist das beste Fortbewegungsmittel. Auch die Post für Heike war angekommen. Jens gab uns noch ein paar Früchte aus seinem Garten mit. Die Frucht, die uns als Golden Apple vorgestellt wurde, war uns neu. Sie war recht hart, schmeckte aber angenehm, wenn auch mit nichts, was ich kannte, vergleichbar. Zum Abschied gab er uns noch einen kleinen Zweig von seinem importierten Tannenbaum mit, damit es an Bord wenigstens ein bisschen weihnachtlich roch. So ausgestattet machten wir uns auf den Rückweg zur Kiwitt.

Am Heiligen Abend fuhren wir mit Georg und Irene mittags an Land und suchten einen Supermarkt auf um ein paar Lebensmittel und eine Flasche Barbados Rum einzukaufen. Anschließend machten wir uns alle zusammen auf den Weg zum Internetcafe um zu Hause anzurufen. So richtige Weihnachtsstimmung kam bei über 30 Grad nicht auf und als wir dann bei bestem Wetter und strahlendem Sonnenschein am Internetcafe ankamen, konnten wir uns überhaupt nicht vorstellen, dass zu Hause, wo es ja schon 5 Stunden später war, gerade alle vor dem Weihnachtsbaum mit brennenden Kerzen sitzen sollten. Zu Hause freuten sich alle riesig über meinen Anruf und ich habe bestimmt 20 Minuten telefoniert. Anschließend ging es reihum. Georg war mit dem Besitzer des Internetcafes ins Gespräch gekommen. Als Georg und ich beschlossen spontan eine kleine Weihnachtsparty zu starten und die Flasche Rum auspackten war er sofort dabei. Er verschwand kurz und kam mit einem Becher Eis und drei Gläsern aus der benachbarten Bar zurück. Heike und Irene telefonierten und telefonierten, so dass wir die Gelegenheit hatten ein paar Gläser Rum auf Eis (Cola hatten wir keine) zu leeren und als sie endlich fertig waren, war die Laune von uns dreien prächtig. 
Zurück an unseren Dingis verabredeten wir uns zu einem gemütlichen Abend in der Kneipe. Aber es kam anders. Wir fuhren an Bord zurück und machten uns ein schönes Weihnachtsessen. Anschließend überkam Heike und mich die Müdigkeit und wir dösten auf den Cockpitbänken ein. Das Lustige dabei war, dass es Georg und Irene ganz genauso erging... Heiligabend einmal anders - hier gehts zur Fortsetzung!