Das
segelnde Klassenzimmer
- die Weltumsegelung der
Kiwitt (5)
Der harte Weg
ins Mittelmeer
Wir hatten die Nacht vor der Schleuse auf der Scheitelhaltung des Canal de la Marne à la Saône verbracht. Als sich der morgendliche Nebel langsam lichtete und die Sonne einen weiteren traumhaften Tag ankündigte, sprang die Lampe vor der ersten Schleuse um kurz nach neun endlich auf grün und wir durften einfahren. Nach über 100 handbetriebenen Schleusen war dies seit langem die erste Automatikschleuse und somit für uns fast schon langweilig. Es war die erste auf einer langen Reise, die uns abwärts zum Mittelmeer führen sollte. Runter war einfacher als hoch, nicht nur, weil abwärts schleusen sowieso gemächlicher ist als aufwärts, sondern vor allem auch, weil dieser Teil des Kanals „erst“ 1907 fertiggestellt wurde und aufgrund der moderneren Technik weniger, dafür aber tiefere Schleusen hat. Wir kamen also gut voran und erreichten nach knapp 2 Tagen die Saône. Die Schleusen wurden weniger und wir fuhren wieder durch eine idyllische Flusslandschaft. An einem Samstagabend erreichten wir Lyon und machten mitten in der Stadt neben einem Boot mit fünf jungen Schweden fest, die auch in die Karibik segeln wollten. Die ersten Frachtsegler, die wir auf der Reise trafen. Sie waren mit einem 9,5m Boot unterwegs, das unter Deck fast nur aus Kojen bestand. Sie erzählten uns von ihrer Odyssee des Schiffstransports, weil im Canal de l’Est zu wenig Wasser war. Ob sie es bis in die Karibik geschafft haben, weiß ich nicht, da sie recht gemächlich unterwegs waren und wir sie nicht wiedergetroffen haben.
Ohne Mast und
ohne Motor im engen Kanal
Am Sonntag machten Malte und ich uns dann auf den weiteren Weg Richtung Mittelmeer. Da wir nur noch recht wenig Diesel hatten, wollten wir in Lyon tanken, doch wir mussten feststellen, dass dort sonntags alle Bootstankstellen geschlossen waren. In der Hoffnung unterwegs noch eine Möglichkeit zu finden, fuhren wir weiter zur nächsten Tankstelle, aber auch hier hatten wir kein Glück. Wie im Film fing es auch noch an zu regnen, der erste unserer Reise. Es regnete nicht einfach, der Himmel öffnete alle Schleusen und es hörte gar nicht mehr auf. Mit schwindenden Dieselreserven tuckerten wir also die Rhone im strömenden Regen runter, alle Reservekanister waren geleert und es kam wie es kommen musste, plötzlich stotterte der Motor und lief unregelmäßig, weil er Luft gezogen hatte. Ich sprang unter Deck, riss den Motorraum auf, drehte während des Laufens die Entlüftungsschraube auf und ließ die Luft ab, bis er wieder sauber lief. Malte steuerte währenddessen schon das Ufer an. Wir befanden uns glücklicherweise gerade vor einem Ort, an dem ein Anleger war und konnten an einem Berufsschiff festmachen. Nachdem die
Kiwitt gut vertäut war, banden wir das Klapprad los, schnappten uns 2 Reservekanister, banden sie ans Rad und machten uns zu Fuß auf die Suche nach einer Tankstelle. Nach einer knappen Dreiviertelstunde Suchen in strömenden Regen (ich weiß, das hört sich nach einem schlechten Filmklischee an, aber wir waren nach
zehn Minuten bis auf die Haut nass) konnten wir unsere Kanister auffüllen. Die Dame in der Tankstelle konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als sie uns zwei begossene Pudel mit Klapprad und Kanistern um die Ecke kommen sah...
Nach gut eineinhalb Stunden Zwangspause konnten wir uns dann – mit 40 Liter Diesel versorgt – erst einmal wieder auf den Weg machen. Der Rest der Fahrt Richtung Süden verlief recht ereignislos. Die Schleusenabstände wurden immer größer, genau wie die Schleusen selbst. Die tiefste war ein Schacht von 22m. Das ist schon eine ganz schöne Höhe, wenn man unten angekommen ist. Am letzten Abend unserer Flussfahrt wäre uns dann fast noch ein kleines Desaster passiert. Wir waren bereits im Rhonedelta auf der Petit Rhone unterwegs, weit und breit keine Möglichkeit festzumachen und es wurde schon dunkel. Wir entschieden uns kurz hinter einer alten Bandbrücke außerhalb des Fahrwassers zu ankern. Das Wasser war nicht tief, knapp 1,40 und uns erschien der Platz gut geschützt. Geschützt war er, aber leider fiel der Wasserstand bis zum nächsten Morgen um knapp 20cm und als wir losfahren wollten stellten wir fest, dass wir in einer Senke lagen, die rundherum zu flach für die
Kiwitt war. Nach einigen Versuchen und Aufsetzen mit dem Stahlkeil sprang ich kurzer Hand ins brusthohe Wasser und suchte nach der tiefsten Stelle. Unter Vollgas und indem ich das Schiff vorne ein bisschen hochstemmte, schafften wir es über eine eigentlich zu flache Stelle und kamen wieder in tiefes Wasser. Da der Mast ja gelegt war, wären wir ganz schön aufgeschmissen gewesen so kurz vor dem großen Ziel.
Kurz hinter unserem Ankerplatz erreichten wir dann die letzte Schleuse unserer Fahrt durch die Kanäle. Ein netter Schleusenwärter kam zu uns und wollte unsere Permit für die Kanäle sehen, bevor er uns schleuste. Schleusen war eigentlich zu viel gesagt, denn er hat eigentlich nur das eine Tor geschlossen und das andere geöffnet, der Wasserstandunterschied war nur ein paar Zentimeter. In Hochstimmung, da ja jetzt quasi das freie Mittelmeer vor uns lag, fuhren wir in den Kanal, der parallel zur Mittelmeerküste bis zum Canal du Midi verläuft. Am frühen Vormittag konnten wir einen großen Steinturm ausmachen, der genau vor uns über dem Kanal zu schweben schien. Als wir uns langsam näherten, konnte man auch irgendwann die alte Stadtmauer von Aigues-Mortes sehen. Doch nicht nur die alten Gemäuer verdienten meine Aufmerksamkeit. Zwei winkende Personen am Kanalrand waren in diesem Moment noch viel interessanter: Bernhard und Heike. Heike war ja nach Montpellier geflogen und Bernhard hatte sie am vorhergehenden Abend abgeholt. Voller Freude legten wir an und begrüßten uns erst mal. Zur Feier des Tages, schließlich war hiermit auch die erste Etappe geschafft, köpften wir erst mal eine Flasche Sekt. Anschließend wurden direkt die nächsten Schritte besprochen.
Aus dem
Motorkreuzer Kiwitt wird wieder ein Segelschiff
Da sich die Abfahrt ja mehrfach verschoben hatte, war es mittlerweile schon so spät, dass die Sommerferien fast vorbei waren und Bernhard musste am nächsten Montag schon wieder in der Schule sein. Es gab also keine Zeit zu verlieren, wenn Bernhard nochmal ein Stück mit seiner
Kiwitt segeln wollte. Als er vor 20 Jahren die Reise gemacht hatte, hatte er den Mast an einer Kanalbrücke hochgezogen. Die Geschichte kannte ich und wollte es aus Kostengründen genauso machen. Also wurde die Brücke erst einmal besichtigt und dabei kamen mir die ersten Zweifel. Ich hatte mir immer eine hohe Brücke vorgestellt, an der man den Mast wie an einem Kran hochziehen konnte, aber die Brücke in Aigues-Mortes reichte kaum 5m über das Wasser. Trotzdem entschlossen wir uns es zu versuchen.
 Am Nachmittag fingen wir also an den Mast an Land zu montieren. Es mussten noch ein paar Ausbesserungen gemacht werden, die wir vor der Abfahrt nicht mehr geschafft hatten. Außerdem musste ein Teil der Befestigung der Achterstagen ausgetauscht werden, aber dafür hatten wir auch alles dabei. Die tausend Kleinigkeiten, die zu tun waren, hielten natürlich wieder lange auf, aber bis zum späten Nachmittag hatten wir alles erledigt. Die
Kiwitt hat einen Mastfuß, da Bernhard sie ursprünglich mal mit einer Mastlegevorrichtung versorgen wollte. Aufgrund des 11m langen Mastes ist das aber auf einem nur 8m langen Boot sehr schwierig. Dieser Mastfuß kam uns beim Aufrichten an der Brücke allerdings zur Hilfe. Wir trugen den Mast also wieder auf die
Kiwitt, steckten den Bolzen durch den Mastfuß montierten die Oberwanten und die Achterstage vor. Dann schlugen wir noch zwei lange Tampen knapp oberhalb der Saling an, um von der Brücke aus mit zwei Mann ziehen zu können. Nachdem alles vorbereitet und mehrfach kontrolliert war, schmissen wir den Motor an und fuhren Richtung Brücke los. Die Kaimauer unterhalb der Brücke war natürlich auf beiden Seiten mit Booten belegt. Wir machten also in zweiter Reihe fest. Auf den dort liegenden kleinen Kanalbooten fanden sich auch schnell einige Schaulustige, die unser Treiben neugierig beobachteten. Malte und ich gingen auf die Brücke und ließen ein kleines Seil herunter, um die zwei Tampen hochzuziehen. Bernhard hob den Mast von unten ein wenig an und wir zogen oben. Mit vereinten Kräften (der Mast der
Kiwitt ist ziemlich schwer) schafften wir das erste Stück, danach wurde es merklich leichter. Als der Mast stand, schraubte Heike die Vorstagen fest und Bernhard spannte die Oberwanten ein wenig. Nach höchstens 20 Minuten war der Zauber vorbei und wir legten mit stehendem Mast ab, um uns einen freien Anleger zu suchen. An diesem Abend schauten wir uns noch in Aigues-Mortes um und tranken gemütlich ein Bier in einem Straßencafé. Spät wurde es nicht, da wir alle ziemlich geschafft waren.
Endlich
Salzwasser - für die spätere Weltumseglerin Heike, ganz was Neues!
Der nächste Tag sollte unser erster Seetag werden, aber zuvor mussten noch ein paar Kleinigkeiten erledigt werden. Zum Beispiel hatten wir vergessen, die Windex aufzustecken, was aber glücklicherweise kein großes Problem darstellte, da die
Kiwitt ja über Maststufen verfügt und man so sehr unkompliziert in den Mast kommt (übrigens ein Vorzug der später noch einen größeren Schaden verhindern sollte).
Da es sehr windig war, beschlossen wir kurz vor Mittag die paar Kilometer nach Le Grau-du-Roi mit Bernhards Wohnmobil zu fahren und uns erst einmal umzuschauen. Dazu kam, dass dort zu dem Zeitpunkt Festspiele waren und die Einwohner eine Art Ritterturnier auf dem Wasser veranstalteten. Hierzu wurde der Kanal dann immer mal wieder gesperrt und wir wollten uns informieren, wann eine Durchfahrt möglich war. Die Veranstaltung war in vollem Gange und wir beobachteten das Schauspiel eine Weile. Es rudern immer zwei Mannschaften mit je einem Boot aufeinander zu, am Heck der Boote ist eine Plattform angebracht, auf der eine Person mit einer langen Lanze steht. Mit dieser versucht er, den anderen ins Wasser zu stoßen. Wirklich viel Geduld beim Anschauen des Spektakels hatten wir nicht. Wir wollten alle so schnell wie möglich aufs Mittelmeer. Also wanderten wir weiter bis zur Mole. Der Wind hatte ein wenig nachgelassen, auch wenn es noch gute 4 bis 5 Windstärken waren. Eigentlich ein bisschen viel für unseren ersten Seetag, aber da er mehr oder weniger ablandig war, war das Wasser relativ ruhig. So beschlossen wir zurück zu fahren und die
Kiwitt klar zu machen. Eine gute Stunde später befanden wir uns vor der Klappbrücke in Le Grau-du-Roi und warteten auf die Durchfahrt. Nachdem sich die Brücke geöffnet hatte, fuhren wir durch den Hafen und raus in die Bucht. Als wir freies Wassere erreichten setzten wir die Segel, der kräftige Wind füllte sie und wir konnten den Motor abschalten – das erste Mal seit einem knappen Jahr. Ein tolles Gefühl. Endlich wieder Ruhe und vom Wind getrieben über das Wasser gleiten, noch dazu bei strahlendem Sonnenschein. Kein Wunder, dass wir uns spontan entschieden bis nach Sète weiter zu segeln. Eigentlich wollten wir zurück nach Aigues-Mortes, zu Bernhards Wohnmobil. Doch er verschob den Abschied noch ein wenig und wählte den Rückweg mit der Bahn. Wir waren alle glücklich: unsere erste Seestrecke, Bernhard segelte noch ein Stück mit seiner
Kiwitt und für Heike war es überhaupt das erste Mal mit einem kleinem Segelboot auf dem Meer...
Ein hartes Stück Arbeit
war es, um aus den engen Schleusenkammern aufs offene Meer zu kommen. Das Tor
zur Welt öffnet sich, es ist nicht mehr weit zum großen Teich. Wie fühlt sich
Segelanfängerin Heike? Davom im nächsten Teil. Hier gehts zur Fortsetzung!

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