Das segelnde Klassenzimmer

 - die Weltumsegelung der Kiwitt(2)

 

Dank Bernhards Unterstützung war ich meinem großen Ziel also einen riesigen Schritt näher gekommen.

Aber erst einmal zum Boot: Die Kiwitt ist ein Sperrholzschiff, eine Boheme la Grande, 8,10m lang und 2,98m breit. Bernhard hat sie 1980 als Ausbauschale gekauft und binnen 4 Jahren fertiggestellt, um dann von 1984 bis 1986 mit ihr nach Neuseeland zu segeln, wo er sie mangels Zeit wieder nach Deutschland verschiffen musste. Sie ist ein Backdecker und hat dadurch unter Deck mehr Platz als alle anderen Schiffe dieser Größenordnung, die ich bisher gesehen habe. Sie ist ausgestattet mit einer Spüle plus Kochgelegenheit in Form eines Gaskochers (ohne Ofen) und hat eine Chemietoilette sowie ein eigenes Wachbecken in der Doppelkoje des Vorschiffs. Das Wasser kommt aus 2 flexiblen Tanks und wird über Fußpumpen gefördert. Es gab auch ein Echolot und ein UKW, beides hat  sehr schnell den Geist aufgegeben, und 2 Pinnenpiloten, die die Reise ebenfalls beide nicht überlebt haben. Als Ersatz diente eine sehr alte Windfahne. Die Kiwitt besitzt weder Kühlschrank noch Gefriertruhe, genauso wenig einen Kurzwellenempfänger, ein Rollreff oder eine elektrische Ankerwinde (auch die mechanische lag den größten Teil der Reise in der Backskiste, weil sie schrecklich korrodiert war). Für den Flautenfall ist sie mit einem für die Bootsgröße ganz ordentlichen 15 PS Motor mit immerhin 80l Tank ausgestattet.

Dies alles mag sich vielleicht nicht nach den besten Voraussetzungen für eine Reise um die Welt anhören, doch immerhin hatte sie ihre Seetüchtigkeit ja bereits bei einer halben Weltumsegelung (übrigens noch ohne GPS) unter Beweis gestellt. 

Parallel zu den unzähligen Stellungnahmen bezüglich der Reise widmete ich mich mit Bernhard den wirklich wichtigen Dingen: Wir machten die Kiwitt fit für unseren Sommertörn. Ein rottes Stück Holz im Vorsteven musste ausgetauscht, der ganze Rumpf und das Deck abgeschliffen und gestrichen und tausend kleine Dinge erledigt werden, die an einem Boot immer wieder anfallen. Bernhard wusste schon damals, was mir im Laufe der Zeit auch immer bewusster wurde: „Ein Boot macht so viel Ärger und Arbeit wie ein Haus und ein Auto zusammen“.

Nach einigen Wochen des Schleifens und Streichens war es dann endlich soweit: Eines Morgens fuhren wir mit den letzten Einkäufen zur Kiwitt, warfen den Motor an und machten uns über den See in die Ijssel flussabwärts auf den Weg Richtung Kampen, wo der Mast gestellt wurde. Einen Tag später konnte ich meine ersten Segelerfahrungen mit der Kiwitt machen. Ich war aufgeregt und begeistert, ein (für mich) so großes Schiff zu führen. Nach Jahren endlich mal wieder zu segeln und diesmal, wohin ich wollte, gab mir schon bei dieser kleinen Reise das Gefühl der grenzenlosen Freiheit. Schnell stellte ich fest, dass ich das Schiff sehr gut handhaben konnte, und mit Bernhard an meiner Seite, den ich intensiv mit Fragen löcherte, hatte ich wenig Bedenken, etwas falsch zu machen. Freilich, ein Regattasegler bin ich nicht geworden, aber den Anspruch hatte ich auch nie. Mir ging und geht es mehr darum, sicher zu segeln und zu wissen, was in brenzligen Situationen zu tun ist und wie ich mich bei schlechtem Wetter und Sturm zu verhalten habe.

Nach zwei Wochen verließ mich Bernhard, um mit seiner Frau Urlaub zu machen. Ich kreuzte also ein wenig allein durchs Ijsselmeer, bevor mich zwei Arbeitskollegen ein paar Tage begleiteten. An einem Wochenende bekam ich auch noch Besuch von einem Teil meiner Familie. Mein Vater und meine Schwester kamen vorbei, und wir fuhren an einem recht windigen Tag (jedenfalls kam mir das damals so vor) ein Stück raus. Auch den beiden hat es gefallen, und sie fühlten sich in meiner Obhut sehr sicher.

Als Bernhard wieder da war, haben wir uns auf den Weg nach Vlieland gemacht. Der Versuch, von dort nach Helgoland zu segeln, scheiterte jedoch aufgrund des O-Windes, der immer weiter Richtung NO drehte. Also sind wir zurück und haben im Wattenmeer ein wenig Inselhopping gemacht. Irgendwann war der Sommer dann vorbei und es ging wieder nach Lathum. 

Zurück in der Heimat habe ich mich auf Jobsuche begeben, da mir ja noch ein paar Jahre Sparen bevorstanden. Ich wurde fündig und drehte von nun an jeden Cent zweimal um. Im Laufe des Winters kam ich zu dem Ergebnis, dass ich, wenn ich so weiter machte, schon in der Lage sein sollte, 12 000 Euro binnen eines Jahres zu sparen. Diese Summe sollte nach meiner Rechnung reichen, um damit um die Welt zu kommen. Oder doch Sponsoren? Wie sieht es damit aus? Wenn man sich heutige Reisen in den Medien anschaut, scheint es ja fast üblich zu sein, sich Reisen zum Privatvergnügen von anderen finanzieren zu lassen. Um es kurz zu machen: Ich hatte keine Sponsoren! Abgesehen von Bernhard, der mir ja die Kiwitt geliehen hatte. Klar hätte man damit Geld verdienen oder sparen können, wenn man welche bekommen hätte, aber ich hatte keine Lust auf die Verpflichtung, meine Reise präsentieren zu müssen, bei Entscheidungen zu berücksichtigen, was gut oder schlecht ankommt. Ich wollte die Welt auf meine Art kennen lernen und erleben.

Jetzt stellte sich nur noch die Frage, machst du das allein oder nimmst du jemanden mit? Dass ich keine richtige Lust hatte, alleine zu fahren, war mir schnell klar. Doch wen mitnehmen? In meinem direkten Umfeld gab es, außer Malte, für den der Zeitpunkt nicht passte, niemanden, der sich vorstellen konnte, solch eine Reise zu unternehmen. Was macht der junge, moderne Mensch von heute da? Bevor er alleine um die Welt segelt, surft er erst einmal durchs Internet. Ein Versuch war es auf jeden Fall wert. Also habe ich in verschiedenen Reiseforen inseriert und meine Pläne geschildert. Die meisten Kontakte habe ich übrigens nicht über Segel-, sondern über Backpackerforen bekommen, in denen sich anscheinend mehr junge Leute tummeln, die zu einer längeren Reise bereit sind. 

Das Ergebnis war überraschend positiv. Ich bekam schnell einen Berg E-Mails, und es entstanden einige Kontakte. Manche waren einfach nur neugierig und andere zeigten echtes Interesse. Einer schrieb mich zum Beispiel an, weil er mit einem Faltboot über den Atlantik wollte und noch einen Kumpanen suchte. Dieser Plan war dann jedoch selbst mir ein bisschen zu abenteuerlich. Außerdem hatte ich ja schon eine kleine Yacht, und die erschien mir deutlich bequemer.

Nach und nach trennte sich die Spreu vom Weizen und eine Unbekannte namens Heike zeigte das größte Interesse. Also haben wir telefoniert und kurzerhand einen Termin ausgemacht, um uns mal zu treffen und vielleicht auch – trotz der schon kalten Jahreszeit – Segeln zu gehen. Ein paar Wochen später machte sich Heike auf den Weg (immerhin kam sie aus der Gegend von Mannheim), und ich nahm sie auf dem Bahnhof von Kleve (am unteren Niederrhein) in Empfang. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden – soweit man das von so einem „Blind Date“ sagen kann.

Samstagmorgen begutachtete Heike zum ersten Mal ihr potenzielles Zuhause für die nächsten Jahre, und wir brachen gleich zur Jungfernfahrt auf. Es war schon recht frisch, für Ende November ja nicht ungewöhnlich, aber wir verbrachten trotzdem die Nacht auf dem Wasser, um eine erste  Prise des Bootslebens mitzubekommen. Es gab viel zu erzählen, da für Heike alles Neuland war. Sie hatte noch nie selber gesegelt und auch sonst eher wenig mit Booten am Hut gehabt. Später hat sie einmal erzählt, dass sie an diesem Samstagmorgen schon einen Schrecken bekommen hat, weil die Kiwitt doch recht klein aussah. Aber einen wirklichen Vergleich hatte sie ja (Gott sei Dank?!) nicht.

Am nächsten Tag stand ein gemeinsamer Besuch bei Bernhard auf dem Programm, der auch Heike viel von seinem Wissen weitergeben konnte. Im Ganzen waren Bernhard und ich wohl so überzeugend, dass sie sich einige Wochen später, kurz vor Weihnachten, für die gemeinsame Weltreise entschied. Ihr Plan sah vor, erst einmal bis in die Karibik mitzusegeln und dort zu entscheiden, ob die Weiterreise auf dem Boot oder die Heimreise per Flieger angetreten werden sollte.

Wir haben uns insgesamt viermal vor der Reise getroffen. Einmal auch in Heikes Heimat. Hier stand an, was ich in meinem eigenen Familien- und Freundeskreis bereits hinter mir hatte: unzählige Fragen beantworten, Zweifel beseitigen, Vorurteile aufklären und Bedenken aus dem Weg räumen. Am Ende hatte ich zumindest das Gefühl, dass alle ein wenig erleichtert, wenn auch nicht vollends überzeugt waren.

Na ja, dass ich in meinem Umfeld alle Erklärungen schon hinter mir hatte, ist nicht ganz richtig. Denn mein Vorhaben, mit einer mir fast noch unbekannten Internetbekanntschaft drei Jahre auf einem Schiff verbringen zu wollen, stieß bei den meisten erneut auf Unverständnis.

Woher weiß man nun, ob man die richtige Person für ein solches Projekt gefunden hat? Ich glaube, das kann man nie wissen, auch wenn man sich schon jahrelang kennt. Das Zusammenleben auf so engem Raum verlangt von allen Beteiligten ein großes Entgegenkommen und aufeinander Zugehen und vor allem die Fähigkeit, sich auch auf eine andere Person einzustellen.

Meine Standardantwort war immer wieder, dass ich es für mindestens genauso riskant hielt, eine solche Reise mit jemandem zu wagen, den man lange kennt und in den man somit ganz bestimmte Erwartungen setzt. Das Argument, dass die Person den eigenen Vorstellungen unter diesen extremen Bedingungen nicht standhalten und es somit schnell zu Enttäuschungen und Streit kommen kann, ist sicherlich auch nicht so leicht zu entkräften. Fährt man hingegen mit jemandem, den man nicht kennt, hat man auch keine Erwartungen an ihn. Trotzdem ist das Risiko, dass es nicht funktioniert, in beiden Fällen sicherlich hoch. Meine Erfahrung war positiv, aber eine Garantie ist das natürlich nicht. Was die ganze Situation sicherlich viel entspannter machte war, dass ich tatsächlich „nur“ einen Mitsegler suchte und keinen Partner fürs Leben. 

Wenn sich zwei Personen finden, die gemeinsame Interessen (reisen, was von der Welt sehen) und ein gemeinsames Ziel (die Welt umrunden) haben, dann ist das schon die halbe Miete. Wenn man dann noch ein bisschen umgänglich ist und gut miteinander auskommt, ist schon mal eine gute Grundlage gelegt. Schafft man es dann noch, seine Erwartungen anzupassen, sollte dem Erfolg nichts mehr im Wege stehen. Ich weiß, das hört sich jetzt nach dem üblichen Patentrezept an, und das ist es ja irgendwie auch.

Nun hatte ich also ein Boot und eine Begleitung. Fehlten noch die Sportbootführerscheine. Dafür eine Schule zu besuchen, ließ mein enger Sparplan nicht zu. Also lernte ich selbstständig, wälzte die Lehrbücher und konnte auch hier wieder auf Bernhards Hilfe zählen. Im Düsseldorfer Hafen, in dem auch die praktische Prüfung abgelegt wurde, machte ich eine Probefahrt mit dem Prüfungsboot. Bei der schriftlichen Prüfung fand ich mich dann unter lauter aufgeregten Erwachsenen wieder, die sich wie Schulkinder nach einem Test verhielten. Für mich war es nach Gesellen- und Abiturprüfung eben nur noch eine Prüfung mehr, obwohl wahrscheinlich für niemanden sonst so viel von dem Ergebnis abhing. Und ich habe sie beide bestanden. Erst den See- und ein paar Wochen später den Binnenschein. Bis heute sind es die einzigen Scheine, die ich besitze, und kein Mensch wollte sie während der ganzen Weltumsegelung auch nur einmal sehen.

Im Frühling holten wir die Kiwitt nach Kleve, weil es einfacher war, sie vor Ort zu reparieren. Die Klever Segelgemeinschaft hat mir freundlicherweise erlaubt, ihre Freifläche zu nutzen, nachdem die Boote aus dem Winterlager schon wieder im Wasser waren. Es folgten einige Monate des Reparierens und Überholens. Mit Bernhards und Maltes Unterstützung wurde gestrichen, neue Lüfter montiert und eine neue Sprayhood gebaut. Außerdem haben wir die Gasanlage erneuert, den Motor überholt, eine neue Bugrolle angebaut und und und.... Es gab noch 1000 Kleinigkeiten zu erledigen, denn, wie wir ja alle wissen, wird ein Boot nie fertig. Man streicht auf der To-do-Liste oben vier Dinge durch und schreibt unten fünf neue hinzu.

 
Auch wir sind nicht fertig geworden... bis heute, aber irgendwann muss man einfach losfahren…

Nach der BOOT in Düsseldorf geht es weiter. Sebastian Pieters berichtet von den Widrigkeiten beim Start zur Weltumsegelung und warum ein niedriger Wasserstand die erste Hürde bei der geplanten Weltumsegelung ist. Wenn sich schon am Anfang solche Probleme einstellen, wie wird es erst dann, wenn es ernst wird! Vielleicht ist die erste Meile die Schwierigste? Lesen Sie hier weiter!