
In
den Wind gesprochen (72):
Die Südsee wartet...(72)
Das wird mit Corona auch passieren. So wie die "Schwarze Grippe", die Pest, die Cholera oder wie die jeweilige Büchse der Pandora heißt, irgendwann verschwunden sind, so wird auch Corona enden. Jetzt ist Optimismus angesagt! Die Aussicht für uns Langfahrtsegler, in naher Zukunft wieder ein Leben an Bord führen zu können, ist doch allzu verlockend. Ein freies Leben wie vor nicht allzu langer Zeit, als wir den Anker liften und die Bordfrau fragen konnten: "Wohin schickt uns der Wind heute?"
Erst gestern meinte - wieder einmal - ein erfahrener Segler, dass es sich nicht mehr lohne, in die oder der Südsee zu segeln, weil die ja so sehr mit Seglern überlaufen, ja geradezu verdorben sei. Die Einheimischen (er sagte, um es deutlich auszudrücken die "Eingeborenen", aber das ist ein anderes Thema) würden nicht mehr wie früher die Segler mit Geschenken von Obst oder Perlenketten empfangen, sondern sie würden Dollars erwarten. Sicher, das gab es immer schon auf gewissen Inseln, im Übrigen auch anderswo. Da wurden Lippenstifte gegen Papayas oder Bananen, Rum gegen Brotfrüchte oder 22er-Munition gegen frisch geschossenes Ziegenfleisch getauscht. Und jetzt, da die Insulaner auch regelmäßig einen kleinen "Super"-Markt neben der kleinen Kirche haben, unter chinesischer Leitung versteht sich, ja, da erwarten sie halt, wie wir alle, wenn wir die Lohntüte in Empfang nehmen, Cash. Also dort US-Dollars.
„Man hätte eben vor 20 Jahren kommen sollen.“ Diesen Satz haben wir schon vor 50 Jahren nicht nur einmal gehört. Ein Vorgänger von uns, der phantastische Südsee-Romantiker Jack London auf seinem Törn von der Westküste der USA nach Bora-Bora ebenfalls. Und das war nach der Jahrhundertwende, nein, nicht ins 21., sondern ins 20.Jahrhundert.
Was auffällt: Dass die Südsee oder irgendein anderes Revier auf dem Globus überlaufen sei, dieser Einwand, kommt meist von jenen, die gar nicht dort waren, die den Sprung in den Pazifik nicht geschafft haben, sondern in der Karibik hängengeblieben sind. Das scheint das Problem mit den zu hoch hängenden Trauben zu sein. Dabei ist ja überhaupt nichts gegen einen Törn nach Westindien oder die "klassische Atlantikrunde" einzuwenden. Im Gegenteil, beides ist immer noch eine grandiose Leistung, vielleicht nicht das eigentliche Segeln, aber die ganze Unternehmung, das Freinehmen, das Finanzieren, das Durchhalten.
Doch auch auffällig: Wenn wir die über hundert Interviews mit ebenso vielen Weltumsegler-Crews auf dieser Webseite durchblättern (siehe hier! ), findet sich nicht eine einzige Bemerkung, dass die Überbelegung der Ankerplätze in der Südsee oder sonst wo hinterm Horizont Irgendjemanden von diesen prächtigen Seeleuten missfallen hätte.
In der Corona-Krise wurden weltweit viele, ja die meisten Langfahrtsegler zwangsweise mit dem strengsten Lockdown an bestimmten Ankerplätzen konfrontiert. So wurden automatisch Hotspots für Langfahrtyachten geschaffen. Aber die Krise wird enden, und dann lösen sich auch diese Sammelpunkte von Yachten wieder auf.
Klar, es wird auch nach Corona "Hotspots" für Weltumsegel-Yachten geben. Die Langfahrtszene ist halt gewachsen, weil viele dieses paradiesische Leben wählten. Man wird in Tahiti die berühmte Waterfront vergeblich suchen, man wird dort nicht mehr frei ankern dürfen, wie es noch vor kurzem möglich war. Und die Menschen dort werden mitunter abweisend auf die Fremden reagieren. Aber ist es bei uns im zivilisierten Deutschland vielleicht anders? Schließlich muß man bedenken, dass Papeete eine Großstadt ist mit allen Vorteilen, was die Verproviantierung oder den eventuellen Arztbesuch angeht. Abseits davon wird man die eine oder andere Insel in den Tuamotus finden - es gibt an die 70, die einen Pass haben und somit zum Landen geeignet sind - wo sich die Einheimischen wie früher über jeden Besucher freuen, natürlich zumal dann, wenn er etwas mitbringt, halt ein Gastgeschenk in jeder Form, meinetwegen auch Dollars oder eine andere Währung.
Klar, dass man heute in Bora-Bora die Ursprünglichkeit wie sie Jack London beschreibt , bei weitem nicht mehr findet. Klar auch, dass man, wenn man Pech hat, auf unfreundliche Einheimische oder auch Europäer, die dort seit vielen Jahren leben, trifft. Viele dieser Hotspots wird man nicht ganz vermeiden können, und sei es auch nur wegen des Behördenkrams. Aber: eine recht abgelegene Insel in den Tuamotus haben wir zweimal besucht, beim zweiten Mal, 20 Jahre später, waren die Tahitianer dort unverändert gastfreundlich und liebenswürdig. Nach wie vor steht einem auch heute eine wunderschöne Welt offen - siehe nochmals die hundert Interviews mit den Weltumseglern. Man könnte nunmehr einwenden, dass das "früher" (wann ist früher?) eben anders war.
Um beim Beispiel zu bleiben: "Früher" wurden die Tuamotus mangels GPS von Weltumseglern selten angelaufen. Meist war man froh, wenn man durch dieses atollbedeckte und deshalb sehr gefährliche Gebiet heil durchgekommen war. Und Inseln mit generell, zurückhaltend ausgedrückt, „unfreundlichen“ Menschen hat es immer schon gegeben. Vor über zweihundert Jahren hat der exzellente Seeman Captain Bligh auf seinem 4000-Seemeilen-Gewalt-Nonstop-Törn in einem Beiboot der Bounty nach Timor seine vor Hunger und Durst schmachtenden Leute in Australien nicht an Land gelassen aus Angst vor Menschenfressern - siehe 3.Band der auch heute sehr lesenswerten Bounty-Trilogie. Und in der Neuzeit wurde ein junger Besucher einer kleinen Insel in den Andamanen umgebracht, der die Leute nur mal eben so besuchen wollte.
Jetzt kommt das ABER, das immer schon, auch zu Jack Londons Zeiten, gegolten hat. Man muss nach solch schönen Plätzen suchen. Man sollte nicht nur die üblichen Reiseführer nach attraktiven Zielen durchforsten, sondern, das Internet macht es ja so einfach, sich auch unter Langfahrtseglern, auch aus den USA, umzuhören. Dank GPS ist es heute problemlos möglich, auch die entlegensten Dörfer an der Küste zu finden, wo Sie noch wie ein König empfangen werden - garantiert! In Indonesien haben wir gleich ein Dutzend solcher Dörfer besucht. In Südostasien waren wir an zauberhaften Plätzen, obgleich die "überlaufen" waren - von Einheimischen - an einem dieser Plätze blieben wir für Jahre hängen!
Klar, dass man dazu die "berühmte Barfußroute" (ein verharmlosender, auch abwertender Ausdruck, der einfach nicht stimmt!) verlassen, seine eigenen Wege gehen muss. Dass dies mit den modischen "Rallies" nicht möglich ist, leuchtet ein. Nicht nur aus diesem Grund haben viele Segler, darunter ich, mit diesen betreuten Segel-Unternehmungen nichts am Hut. Das gilt auch dann, wenn vollmundig versprochen wird, das „Ursprüngliche" genießen zu können. Das sind dann die 5-Sterne-Hotels, wo am Abend auf der Terrasse eine lokale Tanzgruppe die nörgelnden Gäste zu unterhalten versucht. Wer von uns wartet, bis die Karawane weitergezogen ist, um den nunmehr verlassenen Platz zu besuchen, braucht sich nicht zu wundern, dass die dortigen Einheimischen von ihm nicht angetan sind, weil der gewohnt große Umsatz nunmehr ausbleibt. Das zeigen sie meistens auch.
Wer bis hierher mitgelesen hat, wird meinen Worten wahrscheinlich zustimmen, aber jetzt kommt der Haken: Ohne genügend Zeit geht die Suche nach der Trauminsel nicht. Ich spreche hier nicht von Wochen, sondern, wenn man das Beste will, von Jahren.
Als wir in die Langfahrtszene eintauchten, war es durchaus üblich, dass die meist zukünftigen Weltumsegler ihren großen Törn "open end" planten. Oft hörten wir als Zeitbegrenzung: "… solange es Spaß macht". Törns um den Globus in Etappen oder in besonders kurzer Zeit waren die ganz seltenen Ausnahmen. Ein schwedisches Ehepaar ist damals in weniger als zwei Jahren um die Welt gesegelt, das war sehr lange Zeit so etwas wie Weltrekord. Da kämen heute die Veranstalter manch betreuter Weltumsegelung nicht auf ihre Kosten.
Den Einwurf kenne ich: „Sie sind gut, woher soll ich die Zeit nehmen? Wie soll ich meine Weltumsegelung durchziehen, mein Sabbatical reicht da nicht. “Guter Mann, es ist nicht mein Problem, wenn Du keine Zeit hast!" Aber was Anderes stört mich, es ist der Ausdruck "meine" Weltumsegelung. Das hört sich so an, als müsse der Segler einmal im Leben um die Welt, so, wie der Gläubige, der einmal im Leben nach Mekka muss, damit er sich nachher "Hadsch" nennen darf. Auch so kann man sich schon vor einer geplanten Umrundung des Globus unter Druck setzen.
Mein Rat für einen gelungenen und glücklichen Törn ins Segel-Mekka: Wer wenig Zeit hat, soll sich Zeit oder die ganze Unternehmung lassen!
Auch das wird wohl in den Wind gesprochen sein, oder?
Bobby Schenk
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