In den Wind gesprochen (56):

Sind Fahrtensegler zu langsam?

Ich glaubte, ich hätte mich verlesen. Da rast der Franzose François Gabart auf dem Maxi-Tri Macif um die Welt und erzielt ein Etmal von 851 Seemeilen - einhand wohlgemerkt -  siehe hier.

Zur Erinnerung: Etmal ist die Strecke, die jemand innerhalb der Zeitspanne vom (Schiffs-)Mittag zum nächsten (Schiffs-)Mittag zurücklegt. Dass diese Zeitspanne für die Macif ein bisschen weniger als 24 Stunden ist, weil sich Gabart auf Ostkurs befindet, wollen wir mal außer Acht lassen. Was uns Fahrtensegler viel mehr interessiert, ist die Durchschnittsgeschwindigkeit in Knoten. Wie jeder Leser weiß, freuen wir uns auf unserer eigenen schmucken und geliebten Yacht oder auch im Charterurlaub ja schon riesig, wenn auf dem Speedo vorneweg eine "6" oder gar noch mehr zu lesen ist. Nachfrage bei Google: Was für einen Durchschnittsgeschwindigkeit pro Stunde ergeben 851 Seemeilen  durch 24 Stunden? Antwort "35 Knoten" - die Dezimalstellen können wir wegen des Ostkurses sogar noch unter den Tisch fallen lassen. Das bedeutet, dass der Tri wohl auch gelegentlich die 40-Knoten-Marke kratzt oder überschreitet.

Um solche Geschwindigkeiten auf dem Wasser mal plastisch darzustellen, ein paar Vergleichszahlen: Gängige Gin-Paläste, das sind diese typischen Millionärsyachten, wie sie in Monte Carlo oder in sonstigen Häfen im Med zuhauf herumliegen, bewegen sich bei Full Speed deutlich langsamer als mit 30 Knoten, wenn sie schon mal ausnahmsweise auf spiegelglatter See von Hafen zu Hafen unterwegs sind. Wohlgemerkt - getrieben von hunderten oder gar tausenden Pferde-Stärken aus den beiden riesigen Dieselmotoren.

Das Blaue Band, eine imaginäre Krönung für die schnellste Ozean-Passage gewann mal die RMS QUEEN MARY mit einem Mittel von 30,14 Knoten, wobei sie diesen Schnitt, den sie ca 200 Tausend PS verdankte, nur drei Tage halten musste.

Aber bleiben wir im sportlichen Bereich: Die kleinen Motorboote mit drei bis vierhundert PS-starken Benzinmotoren, die beim Wasserskifahren Weltmeister im Springen fast hundert Meter weit schleudern, rennen höchstens mit 56 km/h, was gerade mal so dreißig Knoten sind - in der Spitze.  Das reicht leicht auch zum Barfußlaufen auf dem Wasser.

Bei reinen Segelschiffen sind die rückblickenden Vergleiche mit dem Geschoß Macif von Gabart noch dramatischer:  Die Preußen, einer der berühmtesten P-Liner, ein deutsches Fünfmast-Vollschiff der Reederei F. Laeisz war das größte je gebaute Segelschiff. Wie wir alle wissen, gilt auf dem Wasser für Verdränger (wie es nicht nur die Preussen, sondern praktisch alle Schiffe waren), der Spruch "Länge läuft". Das beste Etmal im kurzen Leben der 133 Meter langen Preussen war "nur" 426 Seemeilen, nicht mal 18 Knoten im Schnitt.

Beim ersten Whitbread-Race 1973, dem Vorläufer des heutigen Volvo-Race, fuhr die Siegerin SAYULA II, eine Serienyacht vom Typ Swan 65  einen Schnitt von mickrigen 7,78 Knoten (14,4 km/h). Dabei waren aber im Gegensatz zur Ein-Mann-Firma Macif fast ein Dutzend kräftige Männer am Werkeln. Damalige Sieger waren  auch die beiden holländischen FLYER (Foto), eigentlich ebenfalls Fahrtenschiffe, die größere diente nach der Rennkarriere sogar einem netten Ehepaar als gemütliches "swimming home" auf den Ozeanen. Und das Etmal der 1997/98 siegreichen EF Language lag bei gerade mal 11,15 Knoten (20,6 km/h), ein Unterschied, welcher danach im Schrifttum als "Welten" bezeichnet worden ist.

Und dann rast die Macif über die Ozeane mit über 35 Knoten (im Schnitt!). Es ist fast peinlich derartige Geschwindigkeiten beim Vergleich mit den 851-Etmal des mit einem Mann besetzten Trimarans Macif auch nur zu erwähnen.

Trotzdem, blicken wir weiteren Fakten ins Gesicht: In den siebziger Jahren war der Franzose Eric Tabarly der große Seeheld. Mit seiner 17-Meter-Aluminiumyacht PenDuick III (Fotos von einem Treffen in Tahiti) und 8 Mann Besatzung und viel Hightec (siehe Fotos) erreichte er einmal das sagenhafte Etmal von 330 Seemeilen.

Noch früher: Gar nicht so trostlos bei diesen Vergleichen schnitten die "rasend schnellen"   die Klipper des 19.Jahrhunderts. Im Dezember 1854 ersegelte die 259 Fuß lange Champion of the Seas ein "Etmal von atemberaubenden 465 Seemeilen (19,4 Knoten)"  wie der Chronist vermerkte. Bei solchen Vergleichen sollte auch die deutsche Yacht  Illbruck Challenge (Sieger beim Volvo-Race) erwähnt werden, die hundertfünfzig Jahre später mit 484 Seemeilen noch schneller war, also die "Schallmauer" von 20 Knoten im Schnitt brach.

Und dann brettert diese kleine (verglichen mit den Clippern) Macif mit 851 Semeilen daher. Dabei ist deren Etmal noch nicht einmal das größte: Die französische Banque Populaire V hält wohl den Weltrekord für besegelte Boote mit 50 Meilen mehr, nämlich 908 Seemeilen. Noch vor ein paar Jahren bangte die "Segelwelt", ob denn mal eine Yacht die ominöse 80-Tageszeit für eine Weltumsegelung unterschreiten könne. Heute werden allmählich "40 Tage" angepeilt.

Die Ingenieursleistung mit modernen Materialen, viel Elektronik und großzügigen Regeln, welche letztlich so eine Entwicklung erst möglich machen, ist bewundernswert. Der Schritt von unseren sechs, sieben Knoten zu den erwähnten 35 ist schlicht gigantisch, ein dialektischer Sprung, der in dieser Dimension erschlagend ist. Blicken wir mal auf die jedermann wohl bekannte Formel1 für Automobile! Während unsere eigenen Autos vielleicht mal die 200-Kmh-Grenze kratzen, fahren die F1-Wagen schon mal auf der Geraden 350 kmh (Monza). Aber hätten wir in der Formel1 die gleichen Entwicklungssprünge  wie bei der Ozeansegelei, dann würden Formel1-Autos nicht wie heute dahinschleichen, sondern mit Schallgeschwindigkeit der nächsten Kurve entgegenfliegen.

Ja, wenn es nur um die Geschwindigkeit ginge: "Mein Gott, was waren meine Yachten, selbst der Katamaran für ein Gelumpe?" Gegen dieses ungute Gefühl wehre ich mich mit der Frage: "Sind die Raser, die Foiler gar, und logischerweise auch die Kiter, die sich auf Brettern und einem Drachen aus "Spinackertuch" durchs Wasser "segeln" lassen, noch Segelschiffe, die Bezeichnung "Yacht" für den 30-Meter-Trimaran Macif kommt bei mir ohnehin nicht in Frage?"

Man könnte es natürlich auch so raffiniert machen, wie die Leute von der der renommierten amerikanische Seven Seas Cruising Association, die vor Jahren den gerade aufkommenden Mehrrumpfbooten die Bezeichnung "Yacht" verwehrten, weil die angeblich keine Segelschiffe waren: Sie haben gar Katamaran-Eignern mit dieser Begründung den Zutritt zu ihrem Verein verwehrt. Heute freilich ist ihnen die damalige Einstellung immer noch peinlich. 

Niemand wird bestreiten, dass die heutigen Carbon-Geschosse einer anderen Welt angehören als unsere gemächlichen Fahrtenyachten. Für uns ist das Segeln ja nur ein Teil des Vergnügens. Wie verschieden ist doch diese Welt von der der Fahrtensegler, die einen sind auf dem Wasser, um zu siegen, die anderen wollen nur die Küste hinter dem Horizont kennen lernen! Und Suchen nach besonders hartem Wetter steht ja in der traditionellen Seemannschaft eher an letzter Stelle.

Zudem: Meine Yacht  ist nicht nur Fortbewegungsmittel, sondern auch Wohnraum sowieso, Lebensmittelpunkt, Mikrokosmos. Und ich gebe es zu, Mitteilungen, Meldungen oder Artikel  zu derartigen Veranstaltungen oder zu einer der gefühlt tausend Weltmeisterschaften von  Regattaklassen langweilen, ja stören mich, weil ich immer wieder auf die Unvollkommenheit meiner Yachten hingewiesen werde. Und dabei, damit man mir nicht nachsagt, ich würde nicht mit der Zeit gehen, ein Bekenntnis: Ich bin Fan von Formel1-Autorennen.

Nun könnte man fragen: "Warum regt er sich auf, wenn ihm diese Rennszene auf dem Wasser nicht gefällt?" Suum Cuique?

Wenn ich mir bestimmte Segelzeitungen, auch deren Online-Auftritt zu Gemüte führe, dann möchte ich auch - Name ist Versprechen - über meine Welt der Fahrtensegelei lesen und nicht Dutzende Meldungen über (oft misslungene) Rekordversuche oder Neubauten oder Crashs von Meeresrasern oder Personalien aus Renn-Syndikaten konsumieren müssen. Statt dass der Platz für Döntjes aus meiner Welt oder technisch fundierte Artikel für Fahrtensegler (das ist die überwiegende Leserzahl) genutzt wird.

Sicher in den Wind gesprochen...

Bobby Schenk

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