in den Wind gesprochen (82)

Abhauen aus Deutschland

Lieber Herr Schenk,
Ich habe Ihre gesamte Seite gelesen. Neben unfassbar vielen wichtigen Informationen, die ich daraus ziehen konnte, fehlt mir eine Einschätzung, die Sie, mit ca 25 Jahren mehr Lebenserfahrung wie ich, geben könnten. Aktuell bewegen wir uns nicht auf dem Wasser, sondern an Land auf stürmische Zeiten zu. Ich persönlich gehe davon aus, dass viele von uns noch sehr glücklich sein könnten, ein Boot zu haben und dieses hoffentlich auch langfahrtfähig zu halten.

Meine Frage ist:
Wohin, mit Frau und zwei kleinen Kindern? Wie würden Sie die nächsten 2 Jahre planen, bis Klarheit herrscht, wie es hier weitergeht? Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass man hier für einige Zeit weg muss. Was ist Ihre Einschätzung, wo man sich sicher aufhalten kann, auch bezüglich der Mentalität/Kriminalität/ Krisensicherheit?
Geld ist für mich nicht entscheidend, sondern eher die Frage, nach einem ruhigen Platz, wo ich meine Familie in Sicherheit wissen kann.
Herzliche Grüße

von Anonymus (der Besucher hat um Vertraulichkeit gebeten)

Eine Katastrophe nach der anderen...

Corona, Krieg, Inflation, kalte Dusche oder Waschlappen, Versagen der Politik auf der ganzen Linie - da liegt es nahe, zu stöhnen: "Ich hab die Nase voll!".

Das tun viele hierzulande! Und weil das Mail ja persönlich an mich gerichtet war, gehe ich mal davon aus, dass da ein Segler spricht, dass auch eine hochseetüchtige Yacht als Fluchtinstrument in Reichweite ist. Und damit sind wir angesprochen!

Um das mal festzustellen: Jede hochseetüchtige Yacht eignet sich dazu, auf große Fahrt zu gehen, ja, um die Welt zu segeln, wie meine über hundert Weltumsegelgäste (hier sind alle Interviews zu finden!) bewiesen haben. Deshalb sind wir Yachtsegler wohl die freiesten Menschen, die man sich vorstellen kann.

Aber woher kommt es dann, dass viele, ja fast alle Auswanderungsprojekte schief gehen, wie manche TV-Formate mit unglaublich hohen Einschaltquoten immer wieder beweisen?

Zunächst einmal: Rein mechanisch sind wir als Blauwassersegler tatsächlich die freiesten Menschen auf der Welt. Der Camper ist erd- und elektrizitätsgebunden und wird sich schwer tun, mit seinem Wohnwagen zur nächsten Insel zu kommen. Der Flieger ist auf Landepisten und Benzin angewiesen, was es auf manchen abgelegenen Inseln gar nicht gibt. Und der Wanderer kann, theoretisch, die ganze Welt besiedeln, nur bedarf es hierzu einiger Generationen.

Also nix wie Familie aufs Schiff und Leinen los?

Langsam! Wir können viel aus der jüngsten Vergangenheit lernen. Die Coronakrise hat brutal und eindrucksvoll bewiesen, dass es mit der Freiheit auf unseren Yachten so weit her nicht ist. Da gab es Länder, die unbarmherzig die Yachties innerhalb weniger Tage rausgeschmissen haben, und zwar mit und ohne Yachten. Da haben einige Länder, nicht nur China, sondern auch zum Beispiel Australien, zugemacht, so dass man die eigene Yacht nicht mal mehr aufsuchen konnte. "Zauberhafte" Inseln haben die Abfahrt von Yachten verhindert. Aus machen Gebieten, zum Beispiel Westindien, sind deutsche Yachten nur noch per organisierter Kolonnenseglei nach Hause gekommen. Plötzlich wars also vorbei mit der viel beschriebenen freien Welt für Blauwassersegler, der großen "Freiheit hinterm Horizont", wie der schöne Titel eines Buches lautet.

Teufel an die Wand? Man höre heute die täglichen Nachrichten!

Gut, Corona wird mal vorbeigehen. Hoffen wir! Aber wie schaut es mit dem drohenden Weltkrieg aus, der im Moment, Ende 2022, ja nicht so weit entfernt scheint. Ist schon lange her, aber in Südafrika hat man es damals zu Zeiten des Burenkriegs vorgemacht: Bei Beginn des Krieges fingen die Engländer alle Ausländer und potentiellen Feinde ein und steckten sie in "Concentration Camps" (so wortwörtlich!), wo sie dann bis Kriegsende bleiben mussten.

Das könnte auch manchen Yachtsleuten passieren, wenn sie zur Unzeit am falschen Ankerplatz sind. Auch ist es vorstellbar, dass Yachten mit Schwarzrotgold am Heck als unterstützende Nation für Kriegsparteien ausserhalb der EU mancherorts nicht so gern gesehen sind. Allerdings, umflaggen ist nicht nur Steuerflüchtlingen möglich. Das geht mancherorts für Yachten nicht allzu problematisch und die Schiffspapiere wie Führerschein etc sind auch noch leichter zu bekommen als hier.

Und den schwächsten Punkt bei dieser Problematik hab ich noch gar nicht erwähnt. Als wir vor vielen Jahren mit anderen Yachties auf Las Palmas zusammengesessen sind und über das bevorstehende Atlantikabenteuer gesprochen haben, meinte der Skipper der SERVABO, was ich nicht vergessen habe: "Herr Schmitt, der über den Atlantik segelt, wird in Barbados auch als Herr Schmitt ankommen!"

Oder wie schon die Römer wwussten: "Caelum, non animum mutant, qui trans mare currunt." (Wer über See geht, ändert den Horizont, nicht den Charakter.)

Das haben wir auch in unserer eigenen Person festgestellt. In Moorea, nach Hiscock die "schönste Insel der Welt", wo wir immerhin vier Jahre lang im eigenen Haus oder auf der THALASSA lebten, sehnten wir uns noch immer, auf eine eine süffige "Mass im Augustiner-Biergarten in München". Aus dieser Zeit stammt übrigens auch ein verlockender Plan eines älteren deutschen Geschäftsmannes - jedenfalls glaubten viele Inselsüchtige aus Deutschland daran: Es wird eine Insel neben Bora Bora gekauft, wohin dann deutsche Aussiedler ziehen können. Dort findet man zum wahren Leben zurück, und gelebt wird vom Ertrag aus Muschelsammeln, Fischen und Kokosnüssen. Aus dieser in vielen Medien angepriesenen Geschichte ist selbstverständlich nichts geworden, und wohin die eingezahlten hohen Geldbeträge gegangen sind, weiß ich nicht.

Wohin?

Aber gibt es denn nicht irgendwo das Plätzchen, wohin man flüchten kann, wenns keine Corona und keine Inflation gibt und kein Krieg in Aussicht ist. Heute wirds doch noch ein paar Orte geben, wo man leben, ja sogar die Yacht registrieren kann. Und ein paar Inselchen gibts sicher noch, vielleicht in Indonesien oder in den Perlas oder auf den Solomos oder auf Papua Neuguinea oder in Fiji, wo lokal die staatliche Macht praktisch nicht existiert oder erst gar nicht ausgeübt wird, und wo man von Fischen, Kokos-Krabben und -Nüssen leben könnte. Aber Einkaufen ist dann auch Fehlanzeige, Schule für die Kinder sowieso und der Doktor sind Vater und Mutter. Erstrebenswert?

Nicht verschweigen will ich: Manche habens geschaft, so, wie die ersten europäischen Siedler auf Galapagos, die Brüder Angermeyer, oder der Deutsche Erwin Cristian, er hat in Bora Boora bezaubernde Bücher und Fotos von der faszinierenden dortigen Landschaft und vom Tauchen geschrieben. Auch der bekannte deutsche Weltumsegler Peter Kammler, bestens beschrieben in Beates Buch "Komm, wir segeln um die Welt", der heute, ein halbes Jahrhundert später, als erfolgreicher Farmer in Neuseeland lebt.

Die meisten derartigen Unternehmungen jedoch gehen schief. Einer der Hauptgründe: man ist und bleibt Ausländer. Der oben erwähnte Herr Schmitt wird mindestens 10 Jahre brauchen, bis aus ihm ein "Mister Schmitt" wird.

Von sehr vielen angelaufenen Plätzen waren Carla und ich so begeistert, dass wir spontan sagten: "Hier bleiben wir!". In Moorea, der laut Hiscock "schönsten Insel der Welt", machten wir dann Ernst und kauften ein Grundstück, vom Meer bis zur Bergspitze rauf, wo wir vier Jahre lang segelten, tauchten und lebten. Bis uns die Heimat (ist dieser Ausdruck heute noch politisch korrekt?) mit ihrem Ruf "eine Mass im Augustiner-Biergarten" heimsegeln ließ.

Das war jetzt ziemlich in den Wind gesprochen, oder?

Bobby Schenk

Nachfolgender Leserbrief (siehe unten) passt sehr gut zu dieser Thematik!



Sehr geehrter Herr Schenk,

Vielen Dank für Ihren Artikel "Abhauen aus Deutschland" und die Aufzählung diverser Punkte und Überlegungen, welche ein potentieller Weltumsegler, Auswanderer o.ä. berücksichtigen sollte.

Ich selbst habe den grössten Teil meines Lebens in diversen Ländern außerhalb Europas verbracht - erst aus beruflichen Gründen meines Vaters, anschliessend aus eigenen beruflichen Gründen.

Nahezu alle "expats" sind früher oder später in die Heimat zurückgekehrt - sei es um den Kindern einen vernünftigen Schulaufschluss zu ermöglichen, weil die Eltern gepflegt werden müssen oder weil man sich (wie Sie so treffend beschrieben haben) nach der Mass im Augustiner-Biergarten sehnt.

Einigen wenigen ist die Rückkehr jedoch nicht gelungen, weil ihnen hierfür die finanziellen Mittel fehl(t)en.

Daher lautete bereits in den 70ern der Rat meines Vaters: "Immer das offene Rückflugticket in der Tasche haben!"

Dieser Rat hat auch heute noch seine Gültigkeit.

Viele Grüsse aus Dubai,

J. T.

zur Home-Page

Page by Bobby Schenk
E-Mail: mail@bobbyschenk.de
URL of this Page is: https://www.bobbyschenk.de/n004/inwi82.html

Impressum und Datenschutzerklärung