Vier
Jahrzehnte Blauwassersegeln - was hat sich geändert?
Was
hat sich nicht geändert?
Fangen
wir mal damit an, was gleich geblieben ist, absolut gleich: Die offene See, die
Wellen, die Stürme, die Orkane, kurzum die Natur, an der der Mensch glücklicherweise
nichts ändern kann. "Der Mensch wird seinen Ordnungssinn hier nicht
sichtbar machen können", schrieb bildhaft der deutsche Weltumsegler
Ernst-Jügen Koch vor 40 Jahren in seinem lesenswerten Buch mit dem
bezeichnenden Titel: "Hundeleben in Herrlichkeit!" (Delius Klasing –
antiquarisch). Was sich - sehr - geändert hat, sind die Menschen und ihre
Sichtweise auf die Yachties. Früher waren sie, vor allem auf den abgelegenen
Inseln, meist gern gesehene Besucher, heute gelten Sie als Geschäftspartner
für Marinas und anliegende Restaurants und Geschäfte - im besten Fall - ,
oder, schlimmer, als Opfer, die sich leicht ausnehmen lassen. "Sitting
Ducks", leichte Opfer, hat sie ein australischer Mechaniker
betitelt.
20
Zentimeter überm Wasser jahrelang ein Hundeleben
Wer
also heute bei 7 Windstärken auf seinem 50-Fuß-Katamaran gemütlich im Cockpit
am Frühstückstisch bei 7 Windstärken sitzt, mit Orangensaft im Glas,
weichgekochten Eiern aus dem Kühlschrank, streichfähige Butter sowieso, während
der Steuerautomat trotz der nachlaufenden hohen See brav den Kurs nach Barbados
hält, der möge sich vorstellen, wie es damals vor vier Jahrzehnten war,
als der Hamburger Handelsverteter
Koch in gleicher Situation im triefenden Ölzeug seine etwas über neun Meter
lange KAIROS 20 Zentimeter über dem Wasser mit der Pinne lenkte und das Frühstück
darin bestand, dass die schlaftrunkene Elga ihm ein Stück Käse aus dem
Niedergang reichte. Denn die Kochs (Foto) mussten meistens Ruder gehen. Es sei
denn, sie waren wieder und endlich auf reinem Vorwindkurs, wo sie ihre
Passatsegel einsetzen konnten, die das Schiff einigermaßen auf Kurs hielten.
Selbststeueranlagen
kamen gerade erst auf. Colonel Hasler hatte wohl die erste voll funktionsfähige
entworfen, auch der deutsche John Adams bastelte sich selbst eine zusammen, die
übrigens - weiterentwickelt - heute als Windpilot aus der gleichnamigen
Edelschmiede kommt. Auch Nick Franklin mit seiner Aries war schon da.
Viel
schneller sind unsere Yachten nicht geworden - trotz gigantischer Preise
Weltumsegelungen
von heute kann man kaum noch mit den Langfahrttörns von damals vergleichen.
Rekordfahrten um die Welt erst recht nicht, das nur nebenbei. Tabarly hat mit
seiner Pen Duick III plus professioneller Mannschaft ein fast
unglaubliches Rekordetmal von 330 Seemeilen aufgestellt, heute nähert man sich
der 1000er-Grenze.
Doch
das ist - fast - gleich geblieben: Die Geschwindigkeit von reinen
Fahrtenschiffen. Eric Hiscock, der Senior unter den Blauwasserseglern, hat
seinen Reiseplanungen ein Soll von 100 Meilen zugrunde gelegt und da würde er
auch heute nicht ganz danebenliegen, Vielleicht um 20 Prozent drüber. Reine
Fahrtenschiffe machen selten 200 Meilen am Tag, und das war auch damals die
Grenze. 157 Seemeilen hat die WANDERER III von Hiscock meiner Erinnerung
nach erreicht, 169 hat vor 40 Jahren unsere THALASSA (Foto) mit ihren 10
Meter 30 gemacht und 15 Jahre später THALASSA II, ein behäbiges
15-Meter- Stahlschiff, 196 Seemeilen. Bei der THALASSA, einem fast 15
Meter langen Katamaran, waren wir auch mit Etmalen von 150 Meilen ganz
zufrieden.
Die
erste THALASSA war eines der ganz wenigen Kunststoffschiffe. Sie war
damals das größte GFK-Schiff aus deutscher Produktion und mit ihren 34 Fuß,
das ist wohl der deutlichste Unterschied gegenüber heute, auf jedem Ankerplatz
fast die größte Yacht. Worüber wir uns einig sind, ist, dass kleine Schiffe
wesentlich ungemütlicher sind als große, schon wegen des Wohnraums – und der
Schiffsbewegungen . Die damals verbreitetsten Holzschiffe schlugen sich mit dem
Problem des Teredowurms herum, der den Seglern die ungeschützten Holzplanken
unterm Hintern wegfraß. Billige Trimarane aus Sperrholz - meistens
bemannt mit lustigen Hippytypen - gab es mehr als die außerordentlich seltenen
Katamarane. Die TABOO von Wolfgang Hausner war so ein Exot, gerade 10
Meter lang (sein nächster war 17 Meter). Die 38-Fuß-Mauna Kea, mit der
die Kammlers (Foto) vor 40 Jahren um die Welt segelten, galt schon als riesige,
ja fast protzige Yacht.
Unsere
damaligen Schiffe waren Segelschiffe, keine verkappten Motorboote!
Entsprechend
mager war die Motorisierung der meisten Yachten. Wünschenswert war ein
Zweizylinder - natürlich mit der Möglichkeit, ihn per Hand anzukurbeln. Man
brauchte ihn ja normalerweise nicht. Als wir auf der Atlantiküberquerung mit THALASSA
in ein Flautenloch mitten im großen Teich gerieten, ist es uns nicht im Traum
eingefallen, die Maschine zu benutzen. Eine ganze Woche verharrten wir auf der
Stelle, und erst nach 35 Tagen kamen wir in Barbados an. Und waren dabei nicht
einmal die langsamsten von dem halben Dutzend Yachten, die in jenem Jahr auf den
Kanaren gestartet waren
Die
heutige Seuche: Rallies
Heute
sind es weit mehr als ein halbes Tausend, die sich zur Atlantiküberquerung
aufmachen, zum Teil in einer jener unsäglichen Rally, wie diese Institution heißt,
welche die Yachten herdenweise über den Atlantik, oder gar um die Welt treibt.
Das Paradoxe hierbei: Die meisten Segler sind ja Menschen, die nach
Unabhängigkeit, Freiheit oder Romantik streben. Ist dies das
(unangebrachte) Bedürfnis nach (Schein-) Sicherheit oder das Unvermögen, eine
Ozeanüberquerung ohne fremde Hilfe zu unternehmen? Letzteres glaube ich
manchmal, zwischen den Zeilen dieser tollen Segler herauszuhören. Es sei jedoch
zugegeben, dass mancher von ihnen doch noch ein durchaus passabler Segler
geworden ist.
GPS
hat die Langfahrtwelt verändert - Mitdenken nicht mehr nötig
Sicher
hat sich am meisten in der Ausrüstung getan. Damals war derjenige schon glücklich
(und reich), der neben dem (Kunststoff-)Sextanten eine präzise gehende Uhr besaß.
Denn auch Radioempfänger, um Zeitzeichen vom Sender WWV oder WWVH zu bekommen,
galten als fast unbezahlbarer Luxus. Der Kompass, eine Schlepplogge und - wenn
es ganz hochkam - ein Echolot waren das Optimum an Navi-Ausrüstung. Und
trotzdem ereignete sich nur ganz selten eine Strandung, und wenn, dann lag es
zum Beispiel daran, dass Einhandsegler (Moitessier) den Landfall schlicht
verpennt hatte. Man war ansonsten halt auf der Hut. Wer nicht gut im Rechnen
war, "breitelte" sich um die Welt, die Mittagsbreite reichte einem
richtigen Seemann für eine Weltumsegelung, vorausgesetzt, man war ausreichend
vorsichtig. Das Ehepaar Koch hat sich zum Beispiel verkniffen, in den Tuamotus
eine Insel anzulaufen - zu riskant!
Schaltet
mal heute den mutigen Langfahrtseglern das GPS weg.
Was dann?
Petroleum
ersetzte die Elektrik
Radar?
Sender? Die gabs aus zwei Gründen nicht: Einerseits waren die klobigen Geräte
nur für eine Reichweite von ca 30 Meilen gut, andererseits waren sie
unbezahlbar, und außerdem gab es nie genügend Strom. Ein funktionierender Kühlschrank?
Fehlanzeige. Watermaker? Was ist das, nie gehört. Petroleum musste nicht nur
den Ofen, sondern auch die Lampen befeuern – ja, auch die Positionslampen! Gemütlich
war es auf den Ankerplätzen trotzdem, oder gerade deshalb.
Keine
Liegegebühren
Marinas
oder Yachthäfen waren extrem selten: Panama, Tahiti und Kapstadt. Das war es
schon - rund um die Welt. Man lebte auf Ankerplätzen, und das Verkehrsmittel
war das Beiboot. Wir besaßen eins, das gerade mal 19 Kilo wog und 200
Mark gekostet hatte (Foto). Es war ideal. Sicher, einen Außenborder hätte es
nicht getragen, aber an so einen Luxus dachte sowieso niemand. Mit einer Hand
konnte ich das Beiboot aufs Deck legen. Heute hab ich ein Beiboot mit der
sechsfachen Kapazität, benötige das Klüverfall, um es an Bord zu hieven, und
die Nautik-Sportsleute im Internet spötteln: "Huch, wie kibbelig!".
Nein, ein Carib mit 20-PS-Aussenborder, einen halben Zentner schwer und ein paar
tausend Euro teuer, sollte es schon sein.
Liegegebühren
und umständliche Einklarierungen gab es in der Regel nicht. Und wenn Du eine
Waffe an Bord gehabt hast, bist Du vom Polizisten gebeten worden, die nicht an
Land zu bringen. Wir fürchteten keine Razzien, denn Drogen gab es noch nicht
auf Yachten.
Nautische
Unterlagen aus den letzten Jahrhunderten wiesen den Weg.
Die
Routen um die Welt mussten mühsam aus nautischen Unterlagen (Ocean Passages
for the World) zusammengestellt werden und nicht nach dem Inhaltsverzeichnis
aus einem der tausend Weltumseglerbücher. Die Pilot Charts beantworteten die
Frage nach den Hurricanezeiten und nicht das Internet. Oder ein Blauwasserseminar
Schneckenpost
Der
schmerzhafteste Unterschied zu damals: Die Korrespondenz "nach draußen".
Postämter gab es auf jeder kleinen Insel, aber die Post kam mit entsprechender
Zeitverzögerung, denn das Versorgungsschiff ließ sich nur alle sechs Wochen
sehen. Als ich mir nach den Marquesas Inseln einen neuen Brenner für den
Petroleumofen schicken lassen wollte, landete dieser drei Monate später in
Laurenzo Marques (Mozambique). Dafür war Feiertag, wenn man die Post nach vier
Wochen auf See abgeholt, sich es im Cockpit gemütlich gemacht hatte und genüsslich
Couvert für Couvert öffnete, zuerst die mit den weniger angenehmen Absendern,
dann - wie geht es den Liebsten?
Die
schädlichste Formel: "Ein Dollar pro Tag"
Oder
man wartete auf Geld, denn ganz ohne ging es auch damals nicht. Wolfgang Hausner
hat damals die Formel propagiert: "Ein Dollar pro Tag!" Die hat für
diesen Lebenskünstler auch funktioniert. Aber wie viele hat sie verführt,
auszusteigen, ohne zu bedenken, dass nicht jeder ein Hausner ist?
Andere waren aus ähnlichem Holz geschnitzt wie der knorrige Österreicher. Man
könnte auch jetzt noch sehr preiswert an Bord leben, wenn man sich die damals
übliche Bescheidenheit auferlegte: kein Restaurant, keine Schiffsversicherung,
keine Krankenversicherung, keine Heimflüge, kein neues Notebook, kein neues
Segel, kein Verstellpropeller - und so fort. Aber, wer kann das heute noch?
Hockt
heute die Jugend hinterm Ofen und wartet auf die Rente?
Den
größten Unterschied zu damals stellen die Crews dar. Während sich früher die
Gespräche bei gemeinsamen Grillparties am Strand sich um das neue (größere)
Schiff drehten, werden heute Kinder und Enkel durchgehechelt. Vor vier
Jahrzehnten waren fast ausschließlich junge Leute unterwegs, maximal 40 Jahre
alt, heute sind es überwiegend Rentner und Ruheständler. Einesteils
Leute, die über eine Rundumversorgung verfügen (mit regelmäßigen Flügen
nach Hause), andernteils aber auch Alte, die alles ins Boot gesteckt haben und
nicht mehr raus können aus ihrem selbstgewählten Gefängnis ohne jede
medizinische Versorgung.
Gelegentlich
stelle ich mir die Frage, ob es in einem modernen Altersheim nicht vergnüglicher
zugeht. Denn nach wie vor ist jeder damit beschäftigt, sein Schiff in Schuss zu
halten, was meistens einer Lebensaufgabe gleichkommt. Und das hatten sich viele
nach einem erfüllten Berufsleben ganz anders vorgestellt. Immer wieder zitiere
ich hier den Spruch eines reichen , von Reparaturen geplagten Yachtbesitzers:
"Wir sind doch nichts besseres als unsere eigenen Hausmeister!"
Wer
es noch authentischer nachlesen möchte: Ich hab eine Gruppe von erfolgreichen
Weltumseglern für die YACHT mit dem Titel Globetrotter
unter Segel interviewt.
Das war vor ziemlich genau vier Jahrzehnten.
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