Eine bedeutende Fahrtenseglerin ist im abgelaufenen Jahr von uns gegangen. Getroffen hab ich viele der ganz Großen in dieser Szene. Bernard Moitessier, der
grandiose Ozeanpoet, Eric Tabarly, der französische Segel-Nationalheld, Jean Bluche, der spitzbübische Blauwasserpionier, Marcel
Bardiaux mit seinen
vierhunderttausend Seemeilen auf seinem 90-jährigen Buckel und schließlich die englischen Fahrtensegler-Majestäten Susan und Eric Hiscock. Aber ich glaube, keinen bin ich so nahe gekommen wie den Kochs, Elga und Ernstjürgen. Hamburger gelten ja gemeinhin als unnahbar und steif, jedenfalls vom Süden der Republik aus betrachtet. Ein Vorurteil. Elga und Ernstjürgen haben Karla und mich
eines Besseren belehrt.
Aber jetzt erst mal der Reihe nach: Das erste Mal, dass wir den Namen der beiden gehört haben, war im Fernsehen, damals noch Schwarz-Weiß. Die Bilder hab ich heute noch im Kopf, denn wir waren bereits vom Segelvirus befallen und hatten eine richtige Hochseeyacht - für den Chiemsee, das bayerische Meer - geordert. Da imponierte es uns mächtig, dass die Tagesschau (ja, die gab es 1967 schon) um 20 Uhr die Sendung mit der sensationellen Nachricht eröffnete, dass ein deutsches Ehepaar namens Koch um die Welt gesegelt und nunmehr von einer ganzen Flotte von weiteren Yachten in den Heimathafen geleitet worden sei.

Zwischenzeitlich wird es wohl an die 100 deutsche Weltumsegelyachten geben, aber die stählerne
KAIROS mit ihren neun Metern Länge und ihrer Besatzung waren etwas ganz
Besonderes. Es ist ein wenig wie mit Kolumbus. Den ersten kennt die ganze Welt, den zweiten niemand. Die Kochs waren in erster Linie richtungweisend. Ein sehr seriöses, bürgerliches Ehepaar aus Hamburg hat als erstes in Deutschland bewiesen, dass man mit engem Budget (Elga, die so gerne Konzertpianistin geworden wäre, musste ihren geliebten Flügel zu Geld machen) auf einem kleinen Schiffchen um die bis dahin den Seglern hierzulande völlig unbekannte Welt segeln kann. Dass sie mit Schlepplog, Kompass und Sextant, mit Papierkarte ohne Sender und Satellitentelefon, ohne vorgegebenen Fahrplan oder feststehende Route und mangels Selbststeueranlage mit immerwährenden Nachtwachen um die Welt segeln mussten, das wird heute meist vergessen, wie hier eintreffende Mails mit der Selbstverständlichkeit einer "Demnächst-beginnt-unsere-Weltumsegelung-Botschaft " zeigen. Es gab damals,
vor genau einem halben Jahrhundert, keine ARC mit ein paar hundert Teilnehmern, die sich auf den Kanaren zum "Absprung" versammelten, sondern weniger als eine Handvoll Bötchen, die sich gemeinsam für das ganz große Abenteuer einer Atlantiküberquerung vorbereiteten. Das war ein Lossegeln in einen unbekannten Teil der Welt. Und auf den Papierseekarten gab es auch beim Weg über den großen Teich noch eine Reihe von Vigias (von anderen Schiffen beobachtete verdächtige grüne Flecken), bei denen nicht ausgeschlossen werden konnte, dass da ein Riff lauerte.
Heute kann man sich die ganze Reiseplanung sparen, wenn man im November auf Las Palmas mit der Herde lossegelt und in Panama die Frage stellt, wo es langgeht. Vor fünfzig Jahren war das ganz anders, und von den Kochs gibt es aus der Zeit vor dem großen Törn ein Foto, wo die beiden am Boden zwischen Bücherstapeln, Windkarten und Seekartenrollen über das Material gebeugt kauern und nicht nur die Route, sondern auch den Zeitplan wegen der widrigen Jahreszeiten planen.
Wenn der Anker auf Las Palmas gehievt wurde, war das ein Abschied von Europa, von Freunden und Eltern für viel Jahre. Ein Heimfliegen mal so zwischendurch, das gab es nicht. Und Geld verdienen, so
nebenbei zum Beispiel mit Schreiben, das war erst recht nicht möglich.
Die ersten Etappen ihrer Weltumsegelung fanden noch in der YACHT, wo sonst, ihren Niederschlag, aber dann schien es dem damaligen Chefredakteur, dem großen Naturforscher und Fernsehstar Horst Stern, zu abwegig, seine Leser mit so exotischen Themen wie der Weltumsegelung eines deutschen Ehepaares zu langweilen - wie er glaubte. Koch beschreibt selbst in seinem Buch von der Weltumsegelung mit dem
famosen Titel "Hundeleben in Herrlichkeit", wie enttäuscht er war, als er unterwegs die Absage von der YACHT bekam. Das Buch erschien dann auch nicht im "Hausverlag" der YACHT, bei Delius Klasing. Erst später, als der große Erfolg dieses Titels evident war, wurde es von DK übernommen.
Das erste Treffen mit den Kochs, die damals die strahlenden Segelhelden in Deutschland waren, hat uns tief beeindruckt. Wir lernten ein berühmtes Paar kennen und dessen natürliche Bescheidenheit bewundern. Eine Weltumsegelung war unser Traum. Wir hatten alles gelesen, was es damals an schmaler deutschsprachiger Literatur gegeben hat, und waren doch bei vielen Dingen, vor allem wegen der Ausrüstung und der Route, höchst unsicher. Und so war ich so vermessen, den großen Kochs einen Brief, Internet gab es ja noch lange nicht, zu schreiben. Wir würden gerne nach Hamburg kommen, und schüchtern anfragen, ob es denn zu einer ganz kurzen Unterhaltung reiche. "Ja, wann kommt Ihr denn an?", und schon standen die beiden Segelhelden in aller Herrgott´s Früh am Bahnsteig, vorm Schlafwagen; und wir konnten unser Glück kaum fassen. Ihre Wohnung war noch nicht richtig bezogen, so saßen wir alle auf dem Boden und wälzten die Logbücher der beiden. Einen ganzen Tag lang nahmen sie sich Zeit, um tausend Anfängerfragen geduldig zu beantworten. Die berühmten Kochs!
Das nächste Treffen fand dann schon auf den Kanarischen Inseln in Pasito Blanco statt. Die Kochs waren mit ihrer neuen Feltzyacht
KAIROS (16 Meter lang) und wir mit unserer 15-Meter langen THALASSAII (ebenfalls Stahl) unterwegs. Viel Zeit, 15 Jahre, war vergangen. Bei der neuen
KAIROS hatte Ernstjürgen alle seine Ideen verwirklicht, die auf den Erfahrungen seiner Weltumsegelung basierten. Und die waren (wie die der allermeisten
Weltumsegler): "Alles, was kaputtgehen kann, geht auch kaputt".
Während man beim Rigg der neuen KAIROS gerade noch sagen konnte, es entsprach dem Stand der Technik (trotz bescheidener Ausstattung, wie es den Kochs zu
Gesicht stand), sprachen Insider vom "Winschenpark", das waren gerade mal vier handbetriebene Zweigangwinschlein, nicht selbstholend, um den Mast herum. Und die Segel hingen an Stagreitern. Aber konsequent, im Sinne von Ernstjürgen, war die Inneneinrichtung: Ein starker Diesel, o.k., aber schon ein gewaltiger Dieselgenerator allein für die Selbststeueranlage - alles sollte autark sein. Große Wassertanks fehlten,
denn "Wasserkanister können kaputt gehen, und wenn, kann man an „jeder Ecke neue Kanister kaufen“. Gut, damit lässt sich´s gerade noch leben, aber dass man auf der Toilette kein elektrisches Licht vorfand, war dann doch überraschend, obgleich Elga stattdessen mit Streichhölzern
in einer Untertasse und Petroleumlampe vorgesorgt hatte. Ja, bescheiden in jeder Hinsicht waren die Kochs, und besonders Elga zögerte nicht, das auch von anderen energisch zu erwarten. Karla jammerte darüber: "Wenn ich mit Elga im Supermarkt bin und nach etwas greifen möchte, kann es schon passieren, dass Elga mich am Ärmel zieht: "Halt, da drüben sind die Tomaten billiger!"
Ein unvergessliches Erlebnis und ein großes Geschenk war ein Abend mit meinen Mitseglern bei uns an Bord mit den eingeladenen Kochs. Sie hatten einen Dia-Projektor, angeschlossen am Landstrom, mitgebracht und hielten, ganz für uns privat, ihren Lichtbildervortrag von der berühmten Weltumsegelung.
In den nächsten Tagen segelten wir die THALASSA II zusammen mit unseren Freunden in 19 Tagen über den Atlantik, die Kochs brauchten zu zweit mit ihrem Riesenschiff gerade mal einen Tag
länger. Elga in Barbados vorwurfsvoll: "Muss das sein, dass Ihr schneller seid als wir?" War Spaß. Aber ein Ausspruch von Elga hat sich mir eingeprägt, weil er auch heute noch Gültigkeit besitzt: "Eine Atlantiküberquerung ist eine große Leistung!"
Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, dass für die Kochs die Reise nicht mehr lange weitergehen sollte, ohne Passage durch den Panama-Kanal. Da kamen wohl mehrere Faktoren zusammen, dass die
KAIROS Westindien nicht mehr verlassen sollte. Ernstjürgen litt, das beschreibt er selbst in den nachfolgenden Büchern, an Anfällen einer Trigeminus-Neuralgie, was nach Ärztemeinung ziemlich
schmerzhaft und belastend sein soll. Ein weiterer Grund für den Abbruch der Weltreise (ich glaube schon, dass eine solche geplant war, auch wenn man so etwas schon aus Aberglauben nicht ausspricht) war wohl der Umstand, dass sich die Kochs zu lange in Marinas mit all ihren zwischenmenschlichen, oft zermürbenden Problemchen, aufgehalten haben. Was gar nicht so selten zur Ermüdung im Segeln und damit zur Aufgabe von ehrgeizigen Segelplänen führt. Aber das ist jetzt meine persönliche Meinung. Tatsache ist, dass die
KAIROS plötzlich zum Verkauf angeboten wurde. Nahe den USA mit den komfortverwöhnten Seglern aus der neuen
Welt eine spartanisch ausgerüstete Segelyacht aus Eisen - fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Schließlich brach der Kaufwille von Interessenten spätestens dann zusammen, wenn sie mit Wasserkanistern und den Zündhölzern auf dem WC konfrontiert wurden. Und Ernstjürgen konnte überhaupt nicht begreifen, dass seine Philosophie von der Zuverlässigkeit einer Schiffsausrüstung
von den Amis so gar nicht akzeptiert wurde. Das führte dazu, dass er sich später weigerte, sein Schiff potentiellen Käufern überhaupt noch zu zeigen. Ein, wie er meinte, sympathisches junges Pärchen auf dem gleichen Ankerplatz wurde angeheuert, um die
KAIROS nach den USA zu segeln, wo sie verkauft werden sollte.
Das Ende der Reise ist mehr als Ironie, wenn man hierbei die Mentalität der Kochs, vor allem ihre Sparsamkeit, berücksichtigt. Das "sympathische junge Pärchen" überraschte die Kochs unmittelbar vor der Überführung in die USA mit dem Vorschlag, das Schiff selbst zu kaufen. Ich kann es den beiden Hamburgern nachempfinden, welche Befreiung sie in diesem Moment empfanden, obwohl der Kaufvertrag mit Ratenzahlungklauseln versehen werden musste. Erleichtert setzten sie sich ins Flugzeug und erreichten alsbald die kleine, vom Massentourismus unbeleckte Insel La Palma in den Kanaren, wo sie sich, sozusagen auf Vorrat oder eben für die "alten Tage", ein paar Jahre zuvor ein kleines Grundstück angelacht hatten.
Als Karla und ich einige Jahre später die beiden in ihrem schmucken Haus auf La Palma mit unserem kleinen einmotorigen Flugzeug besuchten, machten sie einen rundum zufriedenen Eindruck. Obwohl das Ende ihres Segellebens so gar nicht ihren Erwartungen entsprochen haben konnte. Ernstjürgen, der große Erzähler, berichtete abends beim Grillen mit westwärts gerichtetem Blick auf den Horizont am Ende des Meeres: Kurz nach dem Verkauf der
KAIROS erreichte die beiden seriösen Hamburger ein Brief von den "sympathischen jungen Leuten" aus Amerika, dass man sich in der Kalkulation vertan habe, dass man das Schiff nun doch nicht kaufen könne und dass man es sicherheitshalber in einem Flusslauf vor Anker deponiert habe, fertig zum Abholen "Eures Eigentums". Für jeden Segler, der endlich seine Segelyacht an den Mann gebracht hat, eine Katastrophe!
Aber das Schicksal hatte ein Einsehen mit den verdienten Kochs. Zufällig hatte gleichzeitig ein schönes Haus mit Garten und Schwimmbad sowie Blick über den Ozean nach Westen hin, also dorthin, wo immer das große
Ziel der Kochs gewesen war, zur Versteigerung angestanden. Der Erbe, ein Tierschutzverein, wollte das Haus ganz schnell zu Geld machen und die Kochs waren die einzigen Bieter und somit gerade rechtzeitig auf La Palma angekommen, um das kleine Schmuckstück für wenig Geld kaufen zu können. Mit großer Freude berichtete Ernstjürgen von diesem "Glücksfall" (wie er es nannte); und er trug es mit Gelassenheit, dass die einst schmucke Kairos irgendwo in einem Flusslauf am anderen Ende der alten Welt wahrscheinlich ihrem Ende entgegenrostete. Als Ernstjürgen mit zufriedenem Lächeln diese Geschichte zu Ende erzählt hatte, war ich voller Bewunderung für die großartigen und lebensklugen Kochs.
Mein Gott, wenn ich daran denke, wie Elga hinter jedem Besucher mit dem Feudel hergewischt hat, um jaaaa das weiße Deck nicht zu beflecken, und wie Ernstjürgen jeden Abend mit einem Farbkasten voller Pinsel, Farben und Verdünner die kleinsten punktuellen Roststellen ausgebessert hatte...
Im November 2003 verließ uns Ernstjürgen, Elga folgte ihm im vergangenen
Herbst.

Erklärung: Das Foto oben enststand bei unserem Besuch der Kochs auf La Palma. Die Zeichnungen
von Ernstjürgen wurden Koch's LOGBUCH DER KAIROS, einem Schatz,
entnommen. Es ist leider nur noch antiquarisch erhältlich. Wer sich die Mühe
macht, das Buch aufzutreiben, wird entlohnt durch präzise Wiedergabe einer
Weltumsegelung, bei der Seemannschaft an erster Stelle gestanden hat. Was man
heute von vielen Langfahrten nicht mehr sagen kann. Aber so waren sie eben. Die
Kochs!
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Page by Bobby Schenk
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