Zweitanker


Das mobile Ankergeschirr:

 

Wenn man als Fahrtensegler, mehr noch als Blauwassersegler unterwegs ist, wird Ankern zum täglichen Brot. Und es ist manchmal schon erstaunlich, was man gerade beim Ankern Abenteuerliches erleben kann. Damit meine ich nicht nur Chartercrews, denen oftmals die Existenz des geliehenen Schiffes ziemlich egal ist, sondern man kann das auch bei Menschen erleben, die ein halbes Leben auf ihre Yacht hingearbeitet haben. Wie sonst ist es zu verstehen, dass da eine Yacht auf den Ankerplatz motort, die Maschine stoppt und achtlos die Kette mit dem Anker öffnet, der dann irgendwie auf den Ankergrund rasselt?

Wenn auf überfüllten Ankerplätzen dann der Wind dreht oder unerwartet auffrischt, ist dann richtig was los. Die Vorschiffe sind plötzlich bevölkert, die Maschinen werden gestartet und manche Besatzung steht mit Bootshaken bewaffnet auf dem Vorschiff und wartet der Dinge, die da kommen werden - meist in Gestalt einer breitseits treibenden Yacht mit senkrecht nach unten hängenden Ankerkette. "Der Anker hat nicht gehalten!" Großes Erstaunen, dass sowas passieren kann.

Doch sowas kann immer passieren, da kann man den Anker noch so energisch mit Maschine "volle zurück" in den Grund fahren. Schließlich sieht man ja nicht, dass der Anker mit der Flunkenspitze so gerade eben noch an einem Felskrat hängt oder sich hinter einem Stein verhakt hat - ein Scheinlösung, solange der Wind nicht dreht und der Zug der Kette ein paar dreißig Grad anders angreift.

Eine sehr weitgehende (keine absolute, aber immer noch die beste) Sicherheit vor solcher Unbill ist das Ausbringen eines Zweitankers. Nur, die Yacht muss entsprechend ausgerüstet dafür sein. In meinen Augen ist der "Zweitanker" nicht so eine Art Reserveanker, sondern ein vollwertiges Ankergeschirr, das sich aber dafür eignen muss, mit dem Beiboot(!) ausgebracht zu werden. Nur dann kann der Anker nämlich genau da positioniert werden, wo man ihn aus wetter- oder strömungstaktischen  Gründen haben will.

Daraus ergibt sich schon, dass das "zweite", nennen wir es mal das "mobile" Ankergeschirr keine Kette haben darf. Wer einmal versucht hat, mit dem Beiboot einen Anker an einer Kette auszubringen, weiß, von was ich rede. Hat man sich gerade mal zwei oder drei Meter mit dem Beiboot von der Yacht entfernt, dann zieht einen die schwere Kette unbarmherzig zum Mutterschiff zurück.

Nein, das mobile Ankergeschirr darf keine Kette am Anker, ja, nicht einmal einen Kettenvorlauf haben, sondern muss mit einer starken Trosse (je nach Schiffsgröße 16 oder 22 mm) ausgestattet sein. Nur so ist gewährleistet, dass man den Anker auf volle Trossenlänge, also auf höchste Sicherheit ausfahren kann. Der Anker gehört also ins Beiboot und auf dem Vorschiff steht eine Person, die dafür sorgt, dass die Trosse ohne Kinken dem Zug des Beibootes nachgibt. Die Ruderei wird noch dadurch erleichtert, dass der Helfer auf dem Vorschiff die zu rudernde Richtung anzeigt.

Freilich, es ginge auch, mit dem Außenborder auszufahren. Doch das ist viel schwieriger als das Rudern, wie sicher jeder von uns schon einmal festgestellt hat, der glaubte, den einfacheren Weg zum Ausfahren gefunden zu haben. Denn man muss einerseits das Gas bedienen, andererseits mit dem Motor die Richtung halten und außerdem die Trosse kontrolliert ausgeben. Und zwar so, dass die Trosse nicht in die Schraube kommt. Gerade bei Starkwind ist das Ausbringen per Ruder zwar Knochenarbeit, dafür aber überhaupt erst möglich.

Wohin den Anker positionieren?

Diese entscheidende Frage beantwortet die Funktionsweise des mobilen Ankers. Wer nämlich glaubt, dass man mit 2 Anker den Zug der Yacht auf diese verteilen kann, also sich praktisch doppelte Haltekraft einhandelt, der liegt daneben. Erstens würde das voraussetzen, dass der Wind ständig genau aus ein und derselben Richtung, und zweitens, dass die Yacht sich genau in die Richtung des Windes legt. Beides kommt in der Praxis nur für Sekunden lang vor. Der Wind wird immer fortlaufend - nicht viel, aber immerhin - die Richtung wechseln und die Yacht wird fortlaufend etwas schwojen, bis der Wind breitseits aufkommt und das Schiff wieder ungefähr(!) in die Windrichtung zwingt. Das aber hat die Folge, dass es in der Praxis unmöglich  ist, die beiden Anker so zu positionieren, dass sie gleichermaßen tragen.

Als guter Kompromiss hat sich in der Praxis bewährt, den mobilen Anker so auszubringen, dass die Trosse mit der Kette des Hauptankers einen Winkel von annähernd 30 Grad bildet.

Der mobile Anker gewährt deshalb doppelte Sicherheit, weil die Möglichkeit des Ausbrechens eines Ankers eben nicht gleich zum Wegtreiben der Yacht führt. Der mobile Anker ist also sozusagen eine zweite Verteidigungslinie. Ich hab schon erlebt, wie der "Hauptanker" angefangen hat zu schlieren, während der mobile Anker die Yacht zwei Tage bei Starkwind sicher gehalten hat. Daraus folgt aber auch, dass der "Zweitanker" annähernd genauso stark sein sollte, wie der Hauptanker. Dies zum Unterschied zu einem Warpanker, der nur die Aufgabe hätte, die Yacht in einer bestimmten Richtung zum Hauptanker zu legen, wenn es darauf zum Beispiel bei Strom, Dünung oder aus Platzgründen ankommt.

Das Problem beim Ausbringen des schweren mobilen Ankers  ist also nicht, das Gewicht auszurudern (die Trosse übt ja kaum Zug aus, wenn sie flott nachgegeben wird), sondern den Anker ins Beiboot zu bekommen. Denn immerhin dürften, nehmen wir mal an, 30 Kilogramm Anker für zarte Bordfrauenhände schon zuviel sein, um sie über die Reling zu wuchten oder so eben mal aus der Backskiste zu holen. Praktisch, wenn man seine Yacht entsprechend ausrüsten kann, sodass der Anker vom Beiboot aus durch einfaches Herablassen übernommen werden kann - siehe Foto!

Klar, ein zweiter Anker bringt auch Probleme mit sich. Wenn bei gutem Wetter die Yacht ein paar Kreise schwojt, dann verdrehen sich - logisch - Kette des Hauptankers und die Trosse des mobilen Ankers. Diesen Wuling aufzulösen ist jedoch ein Kinderspiel, wenn die Trosse bis zum Ende ausgefahren wurde. Ein paar Törns mit dem Tampen um die Kette, und schon ist das Problem gelöst. Noch leichter geht es, wenn die Ankertrosse aus schwimmendem Material besteht, weil sich die Kette nicht bei Flaute oder schralenden Winden auf die Trosse legen kann.

Vor zwei Anker zu liegen hat nebenbei auf überfüllten Ankerplätzen den Vorteil, dass der Schwojkreis erheblich eingeschränkt ist, genaugenommen nur noch ein Ellipsoid ist und die Yacht somit viel weniger Ankerplatz beansprucht.

Einen scheinbaren Nachteil hat der zweite Anker. Heißt es im Notfall, zum Beispiel bei überraschender Wetterverschlechterung "Ankerauf!", dann ist es nicht möglich, in der Eile beide Anker einzuholen. In diesem Falle wird man die Trosse - gesichert durch eine Boje - über Bord geben, um den mobilen Anker nach Wetterbesserung einzusammeln.

Bei einem geordneten Ankerauf-Manöver dagegen ist es der mit Abstand leichteste Weg, erstmal mit dem Beiboot den mobilen Anker zu holen. Meist wird es möglich sein, sogar den Anker mit Beiboothilfe auszubrechen, indem man die Trosse über das Beiboot zieht, bis sie kurzstag steht. Durch Gewichtsverlagerung ist es in den meisten Fällen möglich, die Auftriebskraft des Beibootes (nicht die Hände, die sind zu schwach!)so einzusetzen, dass es den Anker ausbricht. Hilfreich ist in diesem Fall auch, wenn der Anker mit einer Trippleine ausgestattet ist, also einer Leine, die, mit einer Boje gesichert, in Flunkennähe des Ankers ansetzt, und das Ausbrechen des Ankers erheblich erleichtert. Im übrigen hat sie auch noch den Vorteil auf überfüllten Ankerplätzen, dass die Position des Ankers für Neuankömmlinge auf dem Ankerplatz gut ersichtlich ist. Dort trauen sich dann auch die "kühnsten" Ankergeher nicht zu ankern, weil sie ja immer mit der Möglichkeit rechnen müssen, die Trippleine in die Schraube zu bekommen.

Ist der mobile Anker frei, kann anschließend die Person auf dem Schiff die Trosse mit dem Beiboot und dem ins Wasser hängenden Anker Hand über Hand einholen. Wenn dann das mobile Ankergeschirr aufklariert ist, kann dann das eigentlich Ankerauf-Manöver - wie gewohnt - beginnen.

Der Einsatz eines mobilen Ankers ist also unbedingt anderen, oft in praxisfernen Lehrbüchern beschriebenen Manövern, wie Vermuren und Verkatten vorzuziehen. Im übrigen habe ich weder bei mir selbst noch jemals bei anderen  diese veralterten Manöver überhaupt gesehen.

Für mich aber das Wichtigste beim Einsatz eines mobilen Ankers: Es ist kinderleicht, bei gutem Wetter einen zweiten Anker per Beiboot auszubringen (nachdem ja das Beiboot ohnehin klargemacht werden muss).  Ein kleiner Preis für die doppelte Sicherheit! Ungleich schwieriger aber wird es, im "Notfall", also erst dann den mobilen Anker auszubringen, wenn der Wind schon deftig zugenommen hat. Dann geht es ohne nasse Klamotten nicht mehr ab und man wird Schwierigkeiten haben, den Anker gegen den Starkwind auszurudern. Und das ganze natürlich bei stockfinsterer Nacht!

Warum also nicht gleich bei jedem Ankermanöver den zweiten Anker ausrudern? Man schläft besser, wenn es später draußen pfeift. Jedes Mal, wenn ich mir den mobilen Anker ersparen wollte, fand ich mich nächstens nass, frierend und fluchend im Beiboot wieder, um gegen den Wind anzukämpfen. Es ist auch ein beruhigendes Gefühl, sich bei Wetterverschlechterung trösten zu können: "Mehr kann ich für die Sicherheit meines Schiffes nicht mehr tun!" Und sich zum Weiterschlafen umzudrehen...  

Dieses Thema wurde auch in den Büchern FAHRTENSEGELN und  HAFENMANÖVER behandelt.

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