Südseeträume (8) - mit SY SARITA zu den schönsten Inseln dieser Welt - Schluss.
Atomversuche
Mittags saßen wir alle trübsinnig im Cockpit, mit einer gekühlten Hinano-Bierdose in der Hand. Noch war der Kühlschrank kalt. Ratlos blickten wir uns an. Da sah ich achteraus, dass sich vom amerikanischen Schoner ein Beiboot löste. Der Mann riß am Außenborder, und dröhnend fuhr das Dingi los, keine zwanzig Meter an der SARITA vorbei. Es schoß mir durch den Kopf: „Wenn dies der Ami von damals ist, dann ist er schon mindestens zwanzig Jahre in Huahine, kennt sich aus und spricht englisch. Dann wäre er in Huahine der einzige, der uns hier weiterbringen kann, der hier alle Möglichkeiten kennt. Das muss unser Mann sein!“ Ich winkte zu ihm hinüber, er grüßte zurück und fuhr weiter. Ich winkte heftiger, er grüßte herzlicher zurück. Endlich begriff er, und das Dingi drehte auf uns zu.
Als er sich im Beiboot aufrichtete, sich an der Reling festhielt und uns allen grüßend zunickte, fiel ich gleich mit der Tür ins Haus: „Verstehst du was von Motoren?“ Seine Antwort war ein knappes „Yes“, und er sagte es so wie einer, der sich schon der Tragweite bewußt ist. „Unsere Maschine ist im Eimer!“
Gary kletterte an Bord, setzte sich zu uns ins Cockpit. Beflissen wurde ihm von jeder Seite eine Bierdose gereicht. Geduldig hörte er sich die Krankengeschichte unseres Motors an. Dann zuckte er mit den Achseln: „Vielleicht der Turbocharger? Der macht bei Yanmar gelegentlich Arger, wenn die Maschine zuviel im Leerlauf ohne Last läuft.“ Ja, dachte ich, der Turbocharger könnte es sein. Dabei hatte ich gar keine Ahnung, was an einem Turbolader kaputtgehen sollte. Aber das war halt so eine Art Strohhalm. Ich fühlte mich bestätigt in meinem Vorurteil gegen aufgeladene Dieselmotoren. Denn der eigentliche Sinn solcher Zusatzaggregate ist, dem Motor mehr Sauerstoff zuzuführen, zum Beispiel, wenn Flugzeuge mit Kolbenmotoren in großen Höhen, in sauerstoffarmer Luft, herumfliegen wollen. Ein Schiff ist immer auf Meereshöhe, also entfällt dieses Argument. Bleibt noch die Gewichtsersparnis, die bei einigen zehn Tonnen Gesamtgewicht lächerlich ist. Da sieht man, wohin man mit solchen Motoren kommt.
Gary trank sein Hinano aus und stellte klar: „Wenn ich bei euch arbeite, kostet es 20 Dollar die Stunde. Ich fange jetzt an!“ Selten habe ich einen Menschen so schuften sehen. Sechs Stunden lang, ohne eine Minute Pause, baute Gary, von Gerhard assistiert, schweißtriefend in der Höhle unter dem Niedergang den Turbolader ab, reinigte ihn und schraubte ihn wieder an. Herzklopfend drückte ich den Anlasser. Es klang genauso kläglich wie morgens, als wir schnell in unsere „Traumbucht“ motoren wollten. Gary kassierte und ging.
Wir überlegten, ob wir nicht den Versuch machen sollten, die SARITA mindestens nach Raiatea zu segeln, dort wäre eine Charterbasis von Moorings und damit vielleicht eine Reparaturmöglichkeit. Aber das eigentliche Problem war nicht das Segeln über die offene See, sondern durch das Riff in Huahine und in Raiatea zu kommen. Und die Pässe in Raiatea sind wesentlich ekelhafter als der Pass in Papeete.
Die SARITA war, ohne Rücksicht auf Kosten, für die Weltumseglung ausgerüstet worden. So war auch ein nagelneuer Ersatzanlasser an Bord, denn soviel Pferdestärken lassen sich nicht, auch mit allen Tricks der Welt, per Hand starten. Gerhard wechselte den alten Anlasser aus. Ha, das klang schon anders als das Röcheln am Morgen. Kräftig zog der Anlasser die Maschine durch, bis, wir kannten den Sound jetzt schon, das Orgeln in ein müdes Grunzen überging. Ende!
Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, erschien Gary und arbeitete den ganzen Tag wie ein Besessener. Allmählich verteilte sich der brave Yanmar in seinen Einzelteilen über die ganze SARITA. Der Salon glich eher einer Kfz-Werkstatt. Die SARITA konnte nur noch über die vorderen Luken aufgesucht werden, oder man stieg über schwitzende Leiber hinweg. Am Abend stellt Gary die vernichtende Diagnose: „Kaputte Zylinderkopfdichtung!“ Ich verstehe wenig von Dieselmotoren, aber das klang nicht nur schlimm, das war das Ende des Törns. Arme Renate und Peter! Da waren sie um die Welt geflogen, um 60 Meilen zu segeln. Ein Traumurlaub! Gary kassierte und ging.
Am nächsten Morgen, noch bevor Gary erschienen war, griff ich nach einer Flasche Wasser, füllte den Reservekanister mit einem Öl-Benzin-Gemisch und verstaute ihn im Schlauchboot. Dann fuhren Carla, Peter, Renate und ich los, um die Bucht zu besuchen, wo einen das „typische Südseegefühl“ überfallen soll. Aber es ist ein Unterschied, ob man mit einer großen Yacht oder einem kleinen Beiboot schnell mal fünf Meilen motort. Nach der halben Strecke kamen wir an einem wunderschönen Grundstück vorbei, wo ein Mann stand und uns zuwinkte. Wir ließen uns nicht zweimal bitten und zogen das Beiboot an den Strand. Der Garten gehörte zu einer kleinen, sehr hübschen Ferienanlage. Aber es war nicht ein einziger Gast da. Der Polynesier führte uns über sein Grundstück. Zweihundertfünzig Meter Wasserfront maß es. In Polynesien rechnet man die Grundstücksgrößen häufig nur nach der Länge am Wasser, denn das Land dahinter wurde früher als wertlos angesehen und somit auch nicht gerechnet. Es gehörte einfach zu den Metern am Wasser, gleichgültig wie weit das Land dahinter zum Berggipfel gereicht hatte. Der Mann kam gleich zur Sache. Wir könnten das ganze Grundstück mit den Häusern kaufen. Für eineinhalb Millionen Dollar sei es unser.
Wie einfach er sich das vorstellte. Mein Blick fiel auf eine riesige Abstellfläche, auf der ein paar Dutzend Jet-Ski-Scooter vor sich hinrosteten. Das sind jene verdammten Dinger, die auf den friedlichen Ankerplätzen den Yachtleuten durch ihr entnervendes Surren die Ruhe rauben. Wann immer so ein Motorrad auf dem Wasser in ein paar Metern Abstand vom Heck meiner Yacht vorbeirauschte, spürte ich meine Hand nach einer schweren Winschkurbel zucken, um die Raser damit zu bewerfen. So war ich nicht traurig, dass diese schrecklichen Gefährte hier dutzendweise vergammelten.
Der alte Polynesier schon: „Mein Sohn wollte hier ein Touristenzentrum aufmachen, sehen Sie, es ist der schönste Platz in Huahine für so etwas. Er nahm Kredite auf, um die Häuser, die Geräte zu finanzieren. Jetzt sind wir bankrott. Mein Sohn ist in Huahine geboren, gehört einem alten polynesischen Geschlecht an. Wir haben alles verloren. Mein Sohn ist weg, ist nach Australien, wo er in einer Fabrik arbeitet. Und das alles wegen der Atomversuche!“
„Ja, aber die finden doch seit einem Vierteljahrhundert statt, hunderte Mal?“ fragte ich nach einer Erklärung. „Nein, das war nicht das Problem, es waren die Proteste, die uns so geschadet haben. Vorher ist da nie etwas Aufregendes Passiert. Erst als schon sicher war, dass die Tests beendet würden, fiel es der Weltpresse ein, die Atomtests in Mururoa zum Thema Nummer eins zu machen. Bei den vorangegangenen hundert Atomversuchen interessierte sich kaum jemand dafür. Jetzt aber kamen aus aller Welt Journalisten und Politiker, auch aus Deutschland, vor allem aber aus Japan, segelten ein bißchen vor Mururoa hin und her, funkten entrüstete Berichte nach Hause, weinten auch gelegentlich in die Fernsehkameras und setzten sich wieder in den Jet, der sie nach ein paar Tagen nach Hause brachte.
Die Tests wurden programmgemäß zu Ende geführt, und der Tourismus war kaputt. Denn nunmehr war bis in die letzten Winkel der Welt gedrungen, dass Mururoa bald auseinanderfalle, dass das Meer radioaktiv verseucht sei. Vor allem in Japan und Deutschland hatten die Berichte verheerende Folgen: Früher waren die Hotels ausgebucht mit japanischen Pärchen, die hier ihre Traumflitterwochen verbrachten. Jetzt glaubt jede japanische Braut, sie würde mißgestaltete Kinder zur Welt bringen, wenn sie in den polynesischen Gewässern schwimmen würde. Eure Politiker und Journalisten haben der Öffentlichkeit demonstriert, was für hohe moralische Maßstäbe sie haben und uns dabei ruiniert!“ Ich sah die Tränen in den Augen dieses gebrochenen Mannes und konnte ihm nichts erwidern.
Die Medien! Ich musste daran denken, wie manche Journalisten glauben, sich ein Bild von örtlichen Gegebenheiten machen zu können, wenn sie für ein paar Stunden mal schnell mit dem Flieger vorbeischauen. Da stellen sie gerade in Polynesien fest, dass 20000 Einwohner von Papeete in Slums leben, was mir völlig neu ist, denn ich kenne in Tahiti, in Französisch-Polynesien, keine Slums. Freilich leben Polynesier in einfachen Hütten, dem Klima, das keine Kälte kennt, angemessen. Das deutsche Reihenhaus wäre dort so lächerlich wie eine Hütte aus Bananenstauden in Berlin. Vor die Wahl gestellt, würde ich in Tahiti lieber in einem solchen „Slum“ leben als in einer Plattensiedlung im reichen Deutschland.
Besonders gut kann ich mich an einen Artikel aus der Zeitschrift für geographische Schöngeister GEO erinnern, wo ein Reporter unter der Überschrift „Polynesien - Stiefkind der französischen Zivilisation“ darüber jammert, dass die Franzosen Polynesien nicht mit einer „nennenswerten, Arbeitsplätze schaffenden Industrie“ (GEO 6/90, Seite 145) ausgestattet hätten. Da möchte ich den gleichen Schreiberling mal erleben, wenn an der Traumlagune von Huahine ein Auto- oder Chemiewerk für zehntausend Arbeitnehmer entstehen würde - mit benachbarter hochgeschossiger Arbeitersiedlung und Riesen-Abwasserrohren ins Meer, so wie an Rhein und Ruhr.
Wir motorten weiter und erreichten nach einer weiteren Stunde den Platz, von dem ich Renate und Peter vorgeschwärmt hatte. Offensichtlich hatte sich in den letzten Jahren herumgesprochen, wie wunderschön dieser Ankerplatz ist, denn es war dort ein kleines Hotel mit Steg und Restaurant entstanden. Wenn in Polynesien von einem „Hotel“ die Rede ist, dann sind damit meist eingeschossige Holzbauten mit ein paar Bungalows gemeint. Hotelpaläste wie an den spanischen Küsten sucht man in Polynesien vergeblich. Das garantiert schon eine geniale Bauvorschrift: „Kein Gebäude darf die Palmen überragen!“
Vor dem kleinen gemütlichen Restaurant mit Badesteg lagen zwei oder drei Yachten. Das Wasser war glasklar, und so konnte man beim Maitai den Fischen zusehen, wie sie um die Korallenköpfe herumschwammen. Sogar den Zitronen-Pufferfisch glaubten wir wiederzutreffen. Das „Hotel“ mit den wenigen Gästen hatte den Charakter dieses Platzes nicht verändert. Warum sollten sich da nicht ein paar Menschen mehr an der Natur erfreuen?
Auf der Rückfahrt streikte ein paar Mal der Außenborder, was uns nicht besonders beunruhigte. Hätte er endgültig geschwiegen, hätten wir halt das Beiboot auf die Uferstraße getragen und wären per Anhalter nach Fare zurückgefahren. In Polynesien hält jedes Auto, wenn auf der Straße jemand winkt. Carla hatte einmal als Anhalterin dem Fahrer bedeutet, dass sie Deutsche sei. Seine Augen leuchteten: „Deutsche sind tolle Leute!“ Er machte eine Bewegung, als ob er mit einer Maschinenpistole schießen würde und sagte lachend: „Bum Bum!“ Das waren die Früchte von billigen Filmen über die Nazizeit! Aber haben wir nicht auch merkwürdige Vorurteile Amerikanern gegenüber, wenn wir zuviel Wildwestfilme gesehen haben?
Als wir am späten Nachmittag auf die SARITA zurückkamen, verabschiedete sich Gary gerade. Der Yanmar war fast nicht mehr zu erkennen, war sozusagen atomisiert. Zu erkennen war nur noch der Motorblock, umgeben von Hunderten Maschinenteilen stand er armselig unter dem Cockpitboden. Die Frage, ob er wieder ginge, erübrigte sich somit.
Pünktlich um neun Uhr morgens am nächsten Tag erschien Gary wieder mit einer Selbstverständlichkeit, als ob er bereits fester Angestellter auf der SARITA wäre. Angesichts des Trümmerfeldes im Salon hatte keiner mehr die Hoffnung, dass dieser Motor wieder einmal wie früher dastehen würde, an ein Funktionieren war sowieso nicht zu denken. Birgit wurde gelegentlich losgeschickt, um von den anderen Yachten etwas auszuleihen, mal eine Zange, ein ander Mal besonders feines Schleifpapier für die Ventile. Wann immer wir mit dem Beiboot durch das Ankerfeld motorten, spürten wir die mitleidigen Blicke der Yachties im Bücken. Am späten Nachmittag des vierten „Yanmar-Tages“ dann die ruhige Stimme Garys: Jetzt starte mal!“
Das hatten wir schon: Die Maschine orgelte und orgelte - nichts. Entlüften, Startknopf drücken, entlüften, Startknopf drücken und dann eine Zündung. Sie war kaum zu hören gewesen, aber jeder im Schiff hatte sie wahrgenommen. Der Motor hatte ein einziges Mal gezündet, und es gab keinen Grund, warum er das nicht öfter tun sollte. Entlüften, starten!
Dann einmal, zweimal ein Sonderton im Orgeln, dann wieder, und schließlich waren das Anlassergeräusch und das Ventilgeratter gleich laut. Der Anlasser schwieg, der Motor lief, hustete, lief weiter. Ein Wunder! Nur für Gary nicht. Als ob es die selbstverständlichste Sache der Welt war, wischte er sich mit einem Tuch das 01 von den Fingern und erhöhte die Drehzahl. Er sprang nach oben ins Cockpit, legte den Rückwärtsgang ein, drehte bis auf zweitausend Umdrehungen, und der Motor starb nicht ab. Der Motor war so gutgelaunt wie zuletzt in europäischen Gewässern. Gary setzte sich auf die Backskiste und schrie über den offenen Motor hinweg: „Can I have a beer?“
Er meinte, dies sei ein besonders „interessanter Fall“ gewesen, denn nichts habe erkennen lassen, dass die Auslaßventile nicht mehr richtig gearbeitet hätten. Sie seien verkokelt gewesen. Die Maschine sei zu häufig und zu lange ohne Last gelaufen, wie dies beim Batterieladen oder Betreiben der Tiefkühlanlage vor Anker eben vorkomme. Im übrigen hätte er mit Maschinen wenig zu tun. Halt das Übliche, was man lerne, wenn viele Yachten durchkämen.
Beim nächsten Bier wurde Gary gesprächiger. Er erzählte, dass er in den Staaten Ingenieur mit einem interessanten Beruf gewesen sei. Er habe Städte unter Wasser geplant, eine Idee, von der man damals geglaubt hatte, sie würde die Platzprobleme der Menschheit eines Tages lösen. Nur, als Gary mit seiner Arbeit fertig gewesen war, habe seine Unterwasserstädte niemand gewollt. So sei er mit diesem Schoner, Baujahr 1921, vor 20 Jahren nach Polynesien gekommen, habe sich in ein Mädchen von hier verliebt, sie geheiratet und mit ihr schließlich die Snackbar drüben am Strand betrieben. Zwei Kinder hätten sie bekommen, einen Jungen und ein Mädchen. Das Girl sei in Hawaii, sie wolle nicht mehr zurück. Jetzt sei er alleine mit seinem Schoner. Nein, er würde ihn nicht mehr segeln, nur jeden Tag nachschauen, dass die Pumpe ordentlich arbeitet, denn das Schiff mache viel Wasser. „So sind sie halt, die Holzschiffe!“
Ich traute mich nicht, Gary nach seiner Zukunft zu fragen. Mir fiel auf, dass er offensichtlich nicht soff. Das passte nicht in mein Bild von gescheiterten Aussteigern in der Südsee. Wahrscheinlich wollte er nur nicht untergehen. Wie sein alter Schoner.
Scherwinde
Gary hatte Renate und Peter den Urlaub, uns den ganzen Törn, der SARITA wahrscheinlich die Weltumseglung gerettet. Gleich am nächsten Tag segelten wir das kurze Stück nach Raiatea rüber. Es blies mit dreißig Knoten. Alle Pässe von Raiatea sind bestens betonnt. Es ist dort kein Kunststück, durch einen Pass zu segeln, wenn man sich nur auf der von den Baken am Berg vorgegebenen Linie hält. Die Pässe sind weit weniger gefährlich als die Riffdurchbrüche in den Tuamotus. Trotzdem kann es vorkommen, dass ein Pass, wenn stürmischer Wind gegen den Strom steht, unpassierbar wird. Aber das ist schon von weitem zu sehen.
In der weiträumigen Lagune zogen wir die Raudaschl-Genua zur Hälfte auf und rauschten mit fast acht Knoten von Tonne zu Tonne. Als wir am Flugplatz von Raiatea vobeikamen, nahm ich das Glas und konnte den Windsack am Ende der Bahn gut erkennen. Seine Richtung stimmte mit unserer Windrichtung an Bord nicht überein. Offensichtlich bekam der Windsack an der Landebahn gerade den Wind ab, der um die andere Seite des Berges herumblies. „Scherwinde“ nennt man das in der Fliegersprache, das habe ich genau in Raiatea vor 15 Jahren gelernt, und das hätte mich und drei meiner Passagiere auch beinahe das Leben gekostet. Diese Geschichte hatte ich bis jetzt für mich behalten, denn ich schneide darin nicht gerade als Held ab, und auch meine damaligen Passagiere haben die Geschichte dankenswerterweise totgeschwiegen:
Wir lagen damals am Maeva Beach-Hotel zusammen mit der deutschen Weltumsegleryacht PUSTEBLUME vor Anker. Meine Flugscheinprüfung hatte ich ein paar Tage zuvor bestanden, und so suchte ich (wegen der hohen Kosten) „Opfer“, die mit mir in der Inselwelt Polynesiens herumfliegen würden. Um ein Haar wären aus meinen Passagieren echte Opfer geworden. Heide von der PUSTEBLUME und zwei Freunde, die gerade aus Deutschland angekommen waren, überredete ich zu einem Rundflug durch die Gesellschaftsinseln.
Der Flug ließ sich prächtig an. Wir hatten die beiden Tanks in den Tragflächen randvoll gefüllt und sicher auch deshalb mit vier Personen an Bord etwas Übergewicht, was aber bei der riesigen Landebahn Tahitis kein Problem war. Langsam hob die einmotorige „Piper Arrow“ ab und schraubte sich in den blauen, wolkenlosen Himmel hinein. Das Wetter war bestens, nur der Wind war böig, wie wir auch an den weißen Schaumkronen unter uns erkennen konnten. Bald hatte ich Bora Bora erreicht und drehte nach Raiatea ab, um dort zum Mittagessen zu landen. Der Fluglotse gab mir den Gegenwind auf der Landebahn mit dreißig Knoten durch, was für ein Flugzeug kein Problem ist, wenn der Wind parallel zur Bahn bläst. Beim Landen wird das Flugzeug so langsam, dass es unmittelbar nach dem Aufsetzen so wenig Geschwindigkeit durch die Luft (!) hat, dass es aufhört zu fliegen. Bei Gegenwind kann man dann sogar „langsamer“ landen, die Landestrecke verkürzt sich erheblich.
Der Landeanflug passte bestens. Als aber das Hauptfahrwerk sachte die Betonpiste berührte und ich den Gashebel bis zum Anschlag zurückzog, wurde der Flieger wie von Geisterhand hochgehoben, und ich fand mich plötzlich mit langsamster Geschwindigkeit mehrere Meter über der Piste wieder.
All das war kein besonderes Problem, denn damit umzugehen lernt man bei der Schulung. „Never push!“, hatte mir mein französischer Fluglehrer für die Landung eingebleut, und so zog ich mir das Steuerhorn in den Bauch und schob ein wenig Gas nach, um das Sinken etwas zu verlangsamen. Aber das gleiche Spiel wiederholte sich jetzt nicht nur einmal, sondern mehrere Male. Ich konnte förmlich spüren, wie in meinen Passagieren hinter mir die Angst aufstieg.
„Das wird nichts“, sagte ich mir und schob den Gashebel bis zum Anschlag durch. „Ich starte durch und fliege nach Faaa zurück!“ funkte ich dem Fluglotsen zu. Ich begann zu grübeln, was da los war. Heute, tausend Flugstunden später, weiß ich die Antwort. Vor allem wußte ich, und das gilt auch für das Segeln, dass ein Fehler meist aus
einem anderen resultiert. Niemals führt ein Fehler allein zum Unglück, den einen verzeiht das Schicksal immer!
Damals schien mir alles unerklärlich: Nein, ich hatte nicht zu hart aufgesetzt, ich hatte die Piste nur geküßt. Vielleicht war etwas mit dem Fahrgestell nicht in Ordnung? Ja, das musste es wohl gewesen sein. Jedenfalls war meine Entscheidung, nach Tahiti umzukehren, richtig. Denn dort hatten wir eine 60 Meter breite Landebahn, da konnte nicht viel Passieren, wenn ich den Flieger hinschmiß. Ich erklärte das alles meinen Passagieren. Heide nahm das Ganze bewundernswert gelassen auf. Ihre Nachbarin dagegen schlug mit leichtem Zittern in der Stimme vor, auf dem Wasser notzulanden.
Ich erzählte nicht lange von meiner Ausbildung, wo mir eingetrichtert worden war, dass sich das buckligste Stück Land, selbst Wald, besser als das Meer für eine Notlandung eigne. Denn wenn schon nicht die betonharten Wellen für einen Überschlag sorgen würden, würde die Maschine spätestens dann stolpern, wenn das Fahrgestell ins Wasser tauchte. Und falls das Kunststück doch gelänge, die Maschine flach ins Wasser zu bringen, würde sie schon nach ein paar Sekunden absaufen, ohne Rücksicht darauf, ob noch Passagiere drin sind.
Bald hatte ich Funkkontakt mit Tahiti aufgenommen. Ich gab meine Vermutung durch, dass das Fahrgestell nicht in Ordnung sei. Tahiti antwortete mir, dass der Fluglotse in Raiatea nichts besonderes am Fahrgestell bemerkt hätte. Ich solle mal kommen, sie würden schon alles vorbereiten. Vor mir tauchte eine Insel auf, das war sicher Moorea, Tahiti dahinter war noch im Dunst. Die Stimmung im Flugzeug war gedrückt. Jetzt waren wir schon über drei Stunden in der Luft, und das Schlimmste stand uns noch bevor, vielleicht eine Notlandung. Verdammt, wann kommt denn Tahiti in Sicht? Und überhaupt, Moorea ist doch viel gebirgiger? Da bemerkte ich meinen Irrtum. Statt auf Moorea war ich eine halbe Stunde auf Maiao zugeflogen: „Heute läuft schon alles schief!“
Immer ungeduldiger fragten die Fluglotsen vom Tower in Papeete nach mir. Den Fehler mit Maiao behielt ich für mich, denn das war doch zu blamabel. In Tahiti gab es kein Radar, und so konnten sie meinen Flugweg nicht verfolgen. Jetzt bloß keinen Fehler mehr machen! Ich checkte meine Navigation, jetzt passte alles. Ich schaltete vom rechten Tank auf den linken und machte in meinen Aufzeichnungen den Dreißig-Minuten-Haken für den Tankcheck.
Der Riesenplatz von Papeete tauchte vor uns auf. Wir hatten immer noch 50 Knoten Gegenwind. Ich konnte die rote Feuerwehr am Pistenrand sehen. Der Fluglotse riet mir, noch eine Runde am Turm vorbeizufliegen. Sie würden das Fahrgestell nochmals checken. Über dem Platz war der Wind böig wie selten. Als ich am Tower vorbeiflog, hatte ich Mühe, die Maschine eben zu halten, so bockig war es. In der engen Kurve um den Tower konnte ich kaum die dreihundert Fuß Höhe halten. Aus dem Tower heraus entdeckten sie nichts am Fahrgestell.
Dann der Endanflug: Es war ein gutes Gefühl, jetzt nach über vier Stunden endlich die 60 Meter breite Landebahn vor sich zu haben, der wir uns wegen des starken Gegenwindes langsam näherten. Ich wußte, ich würde meine Passagiere heil runterbringen. Dessen war ich mir auch noch sicher, als es in der Maschine ziemlich leise wurde. Ich schob den Gashebel, der bereits auf Leerlauf gestanden hatte, voll nach vorne, aber es tat sich nichts mehr. Der Motor stand. Die Bahn war noch nicht unter uns, doch die Maschine schwebte im richtigen Winkel auf die Stelle, wo die Bahn gerade eben begann. Im überschwenglichen Gefühl, es geschafft zu haben, gab ich noch über Funk durch: „Engine Failure!“
Das hätte ich nicht tun sollen. Denn wenige Sekunden nach dem Aufsetzen waren mehrere Fahrzeuge neben und vor der Maschine, und man bat mich höflich, aber bestimmt, die Maschine zu verlassen. Sie sollte untersucht werden. Jetzt erst wurde mir klar, was ich angestellt hatte. Ich hatte einmal vergessen, den Tank umzuschalten und in der Aufregung ausgerechnet einen Tank leergeflogen. Die Tanks wurden später exakt ausgemessen, und man stellte fest, dass im „aktiven“ Tank gerade noch soviel Benzin war, dass es in eine Colaflasche gePasst hätte. Eigentlich hätte die sogenannte „nicht ausfliegbare Treibstoffmenge“ ein Vielfaches betragen müssen, nur die bockige Luft hatte den Sprit immer wieder in die Leitungen geschüttelt, so dass ich mit diesem Tank die Landebahn von Tahiti erreicht hatte und nicht ein paar hundert Meter zuvor ins Meer gestürzt war - mit tödlichem Ende für alle Passagiere.
Nur der Tatsache, dass im anderen Tank die vorgeschriebenen fünfundvierzig Minuten Reserve noch enthalten waren, hatte meine Fluglizenz gerettet. Und die merkwürdigen Landeversuche in Raiatea? Eine spätere Auswertung der Windmessungen in Raiatea hatten ergeben, dass genau zu dieser Zeit ungewöhnlich starke Scherwinde, also das Aufeinandertreffen von mehreren Winden mit unterschiedlichen Richtungen, geherrscht hatten.
BoraBora -Treffpunkt für Weltumsegler
Das Riff von Raiatea ist ungewöhnlich. Denn es umschließt gleich zwei Inseln, Raiatea und Tahaa. Unser Ziel war Tahaa, denn eine ganz bestimmte Bucht war auf unserer ersten Weltumseglung das Highlight, später auch in unseren Lichtbildervorträgen, schlechthin gewesen. Wann immer wir damals nach unserem Traumplatz gefragt wurden, nannten wir diese Bucht in Tahaa. Wolfgang Hausner hatte ich einst davon so vorgeschwärmt, dass er von Bora Bora eigens zurückgesegelt war, um diesen Platz und seine Menschen zu besuchen.
Als wir um die Huk segelten, erkannte ich die Bucht wieder. Nichts hatte sich verändert, kein Hotel war am Strand, nur dort am Ende, wo früher ein paar Hütten einer polynesischen Familie standen, war jetzt ein kleines Haus aus Beton. Die Bucht lag ungefähr eine Meile vom Riff entfernt, und es mündeten einige Süßwasserbäche. In diesen Buchten ist das Wasser bei weitem nicht so klar wie am Riff draußen.
Von früher wußte ich, dass die Bucht zwar riesengroß erscheint, dass aber tatsächlich sehr wenig Platz zum Ankern und Schwojen zur Verfügung stand. Ohne Seekarte oder ohne Ortskenntnisse war es dort nicht möglich zu ankern, denn Tiefen von dreißig und einem Meter wechselten in kurzen Abständen. Nach langem Suchen mit Karte, Augen und Echolot fanden wir endlich einen Platz, der uns sicher erschien. Zwar war vom starken Wind hier drinnen hinter den Bergen nichts mehr zu spüren, doch fürchteten wir nächtliche Fallböen. Wenn dann in der Dunkelheit der Anker nicht halten würde, säße man in der Falle, denn in der Nacht wäre man zur Tatenlosigkeit verurteilt.
Von unseren früheren Bekannten war niemand mehr da. In dem Haus, in dem der deutsche Fremdenlegionär mit seiner Vahine gelebt hatte, wohnte offensichtlich jemand anders. Jedenfalls ließ sich niemand blicken. Das kleine Betonhaus auf der anderen Seite der Bucht entpuppte sich als Boutique. Kurzum: Es war nichts los, nur die herrlich grünen Berge und darunter Palmen, nichts als Palmen, bildeten eine sehenswerte Kulisse. Das mag für einige Ruhetage gut sein, aber uns fehlten die Menschen, die liebenswerten Polynesier. Ich konnte die Zweifel in Renates Gesicht erkennen, als ich ihr vorschwärmte, wie schön das hier früher gewesen sei. Auch Carla und ich hatten nichts dagegen, dass wir am nächsten Morgen schon wieder die Anker lichteten. Verlorenes Paradies? Besser gesagt: Wir hatten das Paradies verloren.
Wahrscheinlich ist der kantige Berg von Bora Bora eine der berühmtesten Silhouetten der Welt. Kaum hatten wir die Bucht in Tahaa verlassen, war der markante Felskoloß vor uns, und wir verloren ihn den ganzen Tag nicht mehr aus den Augen. Nur rund 25 Seemeilen waren nach Bora Bora zu segeln, hart am Wind. Alles Passte, die Sonne schien, und mit dem Wind von 20 Knoten konnten wir Bora Bora gerade anlegen. Alle Segel hatten wir aufgezogen. Es war schon erstaunlich, wie gut die Raudaschl-Segel standen, waren sie immerhin schon mehr als um die halbe Welt gesegelt. Mein Clubkamerad im Yacht Club Austria Hubert Raudaschl ist aber nicht nur ein Meister-Segelmacher, sondern vor allem ein Meistersegler, was ich doch für die Nicht-Regattasegler unter den Lesern erwähnen möchte. Er hat mehrere Weltmeisterschaften und olympische Medaillen gewonnen. Vor allem aber ist er einer der Größten in der Sportgeschichte der Menschheit. Er hat nämlich als einziger Mensch (!) an zehn olympischen Spielen teilgenommen, ein Rekord, der wahrscheinlich nie mehr gebrochen werden wird.
Es ist ein großer Unterschied zwischen dem Regattasegeln und dem Blauwassersegeln. Ich will ganz ehrlich sein: Ich habe nur wenig Ahnung, wie man ein Schiff richtig schnell macht. Dafür weiß ich vieles über Navigation und Überlebenstaktiken im Sturm, was für einen Regattasegler, vor allem einen Jollensegler, nicht so wichtig ist. Vor kurzem hatte ich das Vergnügen, mit Hubert Raudaschl bei einer Hochseeregatta mitsegeln zu dürfen. Ich habe mir einige Tricks gemerkt und werde wohl in Zukunft mit meinen Yachten schneller sein. Nullkommazwei bis nullkommadrei Knoten oder so!
Jetzt pendelte der Speedometer der SARITA fast bis an die zehn Knoten heran. Peter saß am Ruder, und er freute sich, mit den Wellen tanzen zu dürfen. Gerhard machte ein langes Gesicht und jammerte, dass wir ihm alles kaputtmachten. Schließlich würde er von Bora Bora weiter nach Westen segeln. Das war uns aber egal, denn einer Hochseeyacht wie der SARITA darf sportliches Segeln nichts ausmachen. Sie war nach einem nicht sehr modernen Riss gebaut, aber gerade dieser Umstand macht sie zu einem der besten Segelschiffe, die ich kenne. Einerseits strahlen ihre ruhigen Schiffsbewegungen viel Sicherheit aus, andererseits ist sie kinderleicht auf Kurs zu halten. Sie ist kein rassiges Rennpferd, aber auch kein gemächlicher Ackergaul. Sie zeigt gelegentlich zweistellige Geschwindigkeiten, ohne dass man das Gefühl hat, gleich würde das Rigg davonfliegen. Wenn wir später wieder auf Weltumseglung gehen, dann werden wir uns einer Yacht vom Schlage der SARITA anvertrauen.
Vom Pass aus segelten wir direkt auf den Yacht Club von Bora Bora (Photo) zu. Die Gestade der Weltmeere sind gespickt mit Yachtclubs. Ist man im Binnenland aufgewachsen, wundert man sich, was sich da so alles „Yachtclub“ nennt: Im früheren, höchst vornehmen Real Club Nautico in Las Palmas auf den Kanaren beispielsweise sind von den paar tausend Mitgliedern höchstens ein Dutzend schon einmal auf einer Yacht gewesen. Sie schauen meist von den Liegestühlen am herrlichen Pool ihren Jüngsten zu, wie die im Opti im schmutzigen Hafenbecken die Runden drehen. Das Zentrum im Royal Suva Yachtclub in Fiji hingegen war nicht etwa die Startlinie, sondern die Bar, die wegen des billigen Rums den meisten Zulauf hatte. Anders im Royal Cape Yacht Club in Kapstadt! Dort steht die Hochseesegelei ganz an erster Stelle, schließlich muss jeder Extremsegler, der es auf die stürmischen Kaps abgesehen hat, an Kapstadt vorbei. Dann gibt es die ganz verschlafenen Yachtclubs: In Vila, Neue Hebriden, heute Vanuatu, bestand einst der „Yachtclub“ aus einer kleinen Hütte am Ufer mit einem summenden Kühlschrank (welch ein Luxus für den Weltumsegler) und einer Tasse fürs Biergeld. Als später Geld und Bierbestand nicht mehr zusammenpassten, wurde dieser „Yachtclub“ geschlossen. Schade! Der „Yachtclub Bora Bora“ ist ein wenig von jener Sorte.
Dieser Yachtclub macht auch gar kein Hehl daraus, dass er kein Verein in unserem Sinne ist. Er hat keinen Vorstand, keine Generalversammlung, keine Satzung und schon gar keinen Bootsbestand. Auf dem Schild, das weit in die Lagune von Bora Bora grüßt, steht dementsprechend drauf: „Yachtclub Bar Hotel Restaurant“. Trotzdem hat er einiges zu bieten, auf was andere Clubs stolz wären. Zum Beispiel seine Gästebücher, die wie Schätze gehütet werden. Wenige Gäste schaffen es, sie ausgehändigt zu bekommen. Viele Yachten aus den früheren Tagen der Blauwassersegelei sind darin verewigt, die damals unbekannt, heute Berühmtheiten sind.
Vor allem aber besitzt der Bora Bora Yachtclub rund ein Dutzend Bojen, an die sich die echten Yachtleute hängen dürfen, und zwar kostenlos. Wer ein „echter“ Yachtsmann ist, entschied in unserem Fall ein mürrischer Franzose, der abends im Restaurant mit bemerkenswerter Schnelligkeit als Kellner fungierte. Nach Gutdünken wies er Bojen zu oder bezeichnete sie als „belegt“. Bei dreißig Meter Wassertiefe nicht ankern zu müssen, war einiges wert. Die stärksten Ankerwinschen machen da nur noch müde und entnervend langsam „kliiick - kliiick - kliiick“ und nicht mehr „klickerdiklackerdi“. So opfert man in Bora Bora für eine starke Boje viel. Und das ist hier auch nötig, denn das mit dem „kostenlos“ ist relativ. Selbstverständlich erwartet der Kellner (das ist der, der entscheidet, wer ein „echter Yachty“ ist), dass im Yachtclub gegessen wird. Die Preise, man ahnt es schon, sind etwas über dem Landesstandard, also „sündteuer“. Dafür gibt es im Yachtclub von Bora Bora Mopeds, Waschmaschinen, Duschen, am schwarzen Brett Crew-Angebote und -Gesuche und vor allem Wasser an der „Wasserboje“ kostenlos. Kurz, alles, was der Yachty braucht.
Beim Sundowner an der Bar versuchten wir noch den YCA-Stander zwischen all den anderen farbigen Tüchern aus aller Welt (eines stammte von einer 120-Meter-Segelyacht!) unterzubringen. Das war nicht nötig, denn an der Decke hingen unsere Farben schon. Ansonsten staunten wir wieder einmal über die wenigen Yachten, die hier herumlagen. Die rund 15 Bojen des Yachtclubs waren zwar alle besetzt, doch außerhalb dieses Bojenfelds befanden sich nur noch drei Yachten. Solange wir noch in Tahiti waren, war ich etwas vorsichtig in meiner Schätzung, ob sich die Besucheryachten in der Südsee etwa vervielfacht hatten. Denn immerhin musste man damit rechnen, dass das Gros der Fahrtenyachten in Bora Bora sei, denn dort ist theoretisch Platz für tausend Schiffe. Aber jetzt sahen wir, dass auch hier nur wenige Schiffe auf den zahlreichen Ankerplätzen lagen, kaum mehr als früher. Nur größer waren die Yachten geworden.
Unter den Yachten neben dem Bojenfeld war unverkennbar eine „Suncoast“ aus der Schweiz vor Anker. Diese Stahlknickspanter aus Stavoren erfreuten sich vor 20 Jahren großer Beliebtheit, denn für wenig Geld bekamen die Segler von dieser friesischen Werft einfache, aber recht große Schiffe für vergleichsweise wenig Geld. Auch unsere THALASSA II war eine Suncoast 48 der Firma Nord Nederland und wurde einst segelfertig für sage und schreibe 208000,-DM angeboten. Vielleicht zu billig, denn inzwischen ist Nord Nederland leider pleite gegangen, ein Schicksal vieler Werften. Schiffbau ist nun mal außerordentlich lohnintensiv, und allzugerne ködern die Werften kurzsichtig die Kunden mit der Zusage, alle Extrawünsche zu erfüllen.
Peter und ich fuhren mit dem Beiboot zur Suncoast. Der Skipper Franz, gelernter Tischler, war etwas kurz angebunden und machte keinen sehr glücklichen Eindruck. Er hätte ein paar Probleme mit dem Schiff. Die Scheuerleiste sei zu reparieren. Ich wunderte mich, dass er als Holzfachmann kein Teakdeck auf dem Stahl verlegt hatte. Seine Antwort gefiel mir: „Wenn ich auf Teak rumlaufen möchte, dann zieh ich mir Teaksandalen an!“
Außerdem beklagte er sich, dass er nicht an Süßwasser herankäme. Das wunderte mich, denn Bora Bora ist eigentlich dafür berüchtigt, dass an seinem hohen Berg häufig Wolken hängenbleiben, die dann viel Wasser abregnen. Auf einem so großen Schiff musste doch die Möglichkeit bestehen, Wasser aufzufangen. Der Skipper erzählte sogar, er sei zur Gemeinde von Bora Bora gegangen und habe dort einen Antrag auf Lieferung von fünfhundert Liter Wasser gestellt - ohne Erfolg! Ich schüttelte den Kopf. Das hörte sich ja an, als ob Franz in der Südsee die Umständlichkeit europäischer Behörden suchte. Der Grund, warum wir mit unseren Schiffen über die Weltmeere segeln, ist ja eigentlich eine Flucht vor solchen Verhältnissen, wie sie im engen Deutschland oder in der Schweiz herrschen.
Das schönste Strandhotel der Welt
Kurze Zeit später begann es in Strömen zu regnen. Wann immer wir in Bora Bora lagen, hatten wir schlechtes Wetter erlebt. Wir verlegten uns vor das Hotel Bora Bora; gleich neben den berühmten Überwasserbungalows, wo Touristen durch eine Glasscheibe im Boden einen Mini-Einblick in die Unterwasserwelt Polynesiens bekommen sollten, war der lange Steg zu Erwin Christians Haus. Erwin ist wohl der bekannteste Südseefotograf. Zusammen mit seiner Frau besitzt er eine kleine, aber sehr feine Boutique direkt neben dem Hotel Bora Bora. Oft schon hatte ich versucht, Erwin in Bora Bora zu treffen, meistens war der „Aussteiger“ geschäftlich unterwegs gewesen. Heute endlich war er zu Hause. Er erzählte die letzten Neuigkeiten der vergangenen zehn Jahre, bestätigte, was jeder, außer den Betrogenen, erwartet hatte. Das Projekt in Huahine, bei dem ein deutscher Geschäftsmann Hunderten von Deutschen ein Paradies in Form einer kleinen Inselparzelle verkaufen wollte, war danebengegangen. Als der Anwalt der Opfer in Polynesien auftauchte, war nichts mehr zu holen.
Vor allem aber beklagte sich Erwin Christian über die Subventionspolitik der Franzosen im Tourismus. Da würden reihenweise französische Geschäftsleute durch großzügige Steuergeschenke angelockt, in Hotels zu investieren. Die Folge wären unzählige Neubauten in Polynesien, auch in Bora Bora, ohne dass sich die geringe Touristenzahl nennenswert vergrößere. Er habe sich deshalb mit seiner Tauchschule und anderen Aktivitäten aus dem Geschäft weitgehend zurückgezogen. Er produziere hauptsächlich nur noch seine prachtvollen Fotobände. Zu diesem Zweck hatte Erwin auch schon zahlreiche Atolle in den Tuamotus besucht. Er sei auch, kurz vor dem bekannten Drama, auf der Insel Faaite gewesen. Alles sei ihm dort merkwürdig vorgekommen. Er habe, obwohl das eigentlich nicht nötig gewesen sei, den Bürgermeister um eine Tauchgenehmigung gefragt, die ihm, unverständlich, verweigert worden sei. Der Friedhof in Faaite sei auch so geheimnisvoll gewesen. Unerklärlich viele Kleinkinder seien dort begraben gewesen. Aber dass dort Menschen umgebracht wurden, damit habe doch niemand rechnen können!
Schlafender Südseeriese - manche Berge scheinen so geschaffen, dass Regenwolken hängen bleiben müssen
Das Hotel Bora Bora gilt als das schönste Strandhotel der Welt. Bei Sonnenschein! Wir nahmen unter tropfenden Strohdächern unseren Maitai und überlegten, wer wohl in der Lage sei, für einen Überwasserbungalow zwölfhundert Mark, für eine Nacht wohlgemerkt, zu zahlen. Wir sahen keinen Hotelgast. An der Bar trafen wir die österreichischen Chartergäste vom Katamaran wieder. Das richtige Südseegefühl habe sich jetzt eingestellt, meinten sie.
In der Dämmerung, es war schon fast dunkel, landete dann noch ein Beiboot. Franz sprang heraus: „Gott sei Dank, dass ich euch noch getroffen habe, es gibt noch ein paar Sachen zu bereden!“ Er war vier Meilen weit zum Hotel gerudert, einen Außenborder hatte er nicht. Vier Meilen, sieben Kilometer, sind mit einem Beiboot mit „Holzmotor“ eine gewaltige Strecke. Wir waren ganz gerührt. Beim Sundowner versuchten wir, ohne zu belehren, ein paar Erfahrungen von unseren Weltreisen weiterzugeben. Warum Franz soviel Unsicherheit, besser Bescheidenheit, zeigte, war uns nicht ganz klar. Denn immerhin hatte er es bis nach Bora Bora geschafft, und es bestand kein Grund zur Befürchtung, dass er den zweiten Teil der Weltumseglung nicht meistern sollte. Für die nächtliche Ruderfahrt über die Lagune zu seiner schönen Yacht versorgten wir ihn noch mit Hochprozentigem aus den Vorräten der SARITA. Wir würden es nicht mehr brauchen. Bora Bora war Endstation unserer Segelreise.
Am nächsten Morgen versuchten wir noch ein paar gute Filmaufnahmen von der SARITA zu machen. Ich brauchte einen festen Standplatz für die Kamera, und so ruderten Carla und ich zu ein paar Bungalows, die zum neuen „Blue Lagoon Resort“ neben dem viel besungenen „Motu Tapu“ gehörten. Mit einem Übernachtungspreis von 750,- Dollar war es noch einen Tick teurer als das Hotel Bora Bora. Derweil kreuzte die SARITA vor der Anlage auf und ab.
Wir sahen keinen Menschen. Die nagelneue Hotelanlage machte einen unbewohnten und verlassenen Eindruck, und so banden wir unser Beiboot an einen Holzpfeiler, der in die Korallen gerammt worden war, um den Bungalow zu tragen. Als ich, mit Kamera und Funkgerät in der Hand sowie Stativ auf dem Rücken, den Balkon erklommen hatte, öffnete sich die Tür, und eine junge Frau im Bikini kam heraus. Dahinter stand ein Mann mit breitem, bärbeißigem Gesicht, den Pareo um die Hüften geschlungnen. Da hatten wir wohl den einzigen Bungalow erwischt, der bewohnt war. So also schauen Menschen aus, die 750,- Dollar für eine Nacht ausgeben können, dachte ich und versuchte mich zu entschuldigen. Aber die beiden schauten mich verständnislos an. Offensichtlich verstanden sie mich nicht. Ich versuchte es mit meinen drei Worten Französisch, aber wieder Fehlanzeige. Schließlich radebrechten die beiden, dass sie rein gar nichts verstehen würden, weil sie Russen seien. Obwohl ich hier doch einige neugierige Fragen gehabt hätte, kam eine Unterhaltung mangels Verständigung nicht auf. Immerhin machten sie mir klar, dass ihnen meine Filmerei egal sei.
Zum letzten Mal auf diesem Törn sahen wir die schöne SARITA unter Vollzeug, wie sie mit eleganter Lage eine weiße Bugwelle vor sich herschob. Unser Südseetörn unter Segel war zu Ende.
Heimflug
Zwei Tage später wollten Peter und ich die Piper Archer F-ODUY, die wir für einen Flug durch die Gesellschaftsinseln bestellt hatten, aus dem Hangar ziehen. Aber sie war nicht mehr da. Ich fragte Pierre, den Buschpiloten, aber der schüttelte den Kopf: „Sie ist kaputt. Gestern wollte ein Pilot von uns mit der F-ODUY zum Tanken rollen, aber er war betrunken und fuhr sie in den Graben, Totalschaden!“
Einen ganz schönen Verbrauch an Flugzeugen hat der Aero Club von Tahiti, dachte ich. Wir nahmen die F-ODUO und starteten nach Westen. Wir flogen über Huahine hinweg, wo unser Segeltörn beinahe vorzeitig geendet wäre, und in der Lagune von Bora Bora sahen wir die CLUB MED und die WINDSONG, die beide zusammen neun Masten haben und zu den größten Segelschiffen (für zahlende Gäste) der Welt gehören. Dann bekamen wir die Genehmigung, noch weiter nach Westen, über Bora Bora hinaus, nach Maupiti zu fliegen. Die Menschen dieser Insel meinen, dass ihre Insel die schönste der Welt sei. Sie sind etwas eifersüchtig auf ihre größere Schwesterinsel Bora Bora, von der der große Romancier James Michener geschrieben hat: „The most beautiful island of the world!“
Mit der THALASSA II waren wir zuvor einmal in Maupiti gewesen. Es wird selten von Yachten angelaufen, denn die Lagune kann zur Mausefalle werden. Manchmal ist der Pass nämlich so reißend, dass er unpassierbar wird. Dann heisst es warten, manchmal zwei Wochen lang. Wir umrundeten Maupiti, sahen den engen Pass und waren froh, dass wir da heute nicht durchmussten. Dann drehten wir ab nach Raiatea. Dort wollte ich zum Mittagessen, hatte ich Peter erzählt. In Wirklichkeit hatte ich noch was zu erledigen.
Wir hatten exakt die gleichen Windbedingungen wie damals, als ich die Maschine nicht auf die Bahn bringen konnte, nämlich 30 Knoten. Auch die Landebahnrichtung war die gleiche. Und so wußte ich auch, was kommen würde. Kaum hatten die Räder die Bahn sachte berührt, stieg die Maschine wieder hoch. Beim zweiten, oder war es das dritte Mal, gelang es mir dann, dem Flugzeug das Schweben abzugewöhnen. Verlegen blickte ich zu Pierre auf dem Copilotensitz. „Ich hab schon viel schlechtere Landungen hingelegt." Da war ich aber beruhigt.
Ein Wagen holte uns an dem kleinen Flugplatz ab und brachte uns in ein kleines Restaurant - mitten in einer Marina mit lauter erstklassigen Charteryachten. Sie warteten darauf, durch das schönste Segelrevier der Welt zu fahren. Ebenso wie Carla und ich ...
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