Die Meuterei auf der
Bounty und ihre Spätfolgen
Bücher
über die europäische Geschichte füllen viele Bibliotheken, während man die
gesamte Historie im Südpazifik in einem Heftchen abhandeln könnte - mal
vom 20.Jahrhundert abgesehen. Mangels geschriebener Sprache der Polynesier ist
so gut wie nichts bekannt über Kriege, Erbfolgen etc der Südseeinsulaner. Das
änderte sich erst ab dem Zeitpunkt, als Europäische Seefahrer im Südpazifik
auftauchten. So kam es, dass die Meuterei auf der Bounty, aus
weltgeschichtlicher Betrachtungsweise ein Allerweltsvorgang, eines der
Hauptkapitel in der Südseegeschichte wurde.
Nein,
zu dem Zeitpunkt (April 1789) als die Meuterer unter Führung von Fletcher
Christian (Bild) ihren 34-jährigen Kapitän Bligh in einem Kutter, aussetzten,
war das Kapitel "Bounty" längst nicht abgeschlossen. Für William
Bligh schon gar nicht. Sein einziges Trachten war darauf gerichtet, der Meuterer
habhaft zu werden, um sie der gerechten Strafe, also dem Tod durch den Strang
zuzuführen - was ihm zum Teil ja auch gelungen war. Möglicherweise beruhte
sein sprichwörtlicher Durchhaltewillen auf dieser unbeirrbaren Zielstrebigkeit,
das ihn befähigte, sich und seine 18 Männer (in einem 7-Meter-Boot!) lebend in
47 Tagen immerhin bis Timor - 3600 Meilen - durchzubringen - nur ein Mann
starb später noch an den Erschöpfungsfolgen. Am 14. März 1790 traf Bligh in
England ein und schon 10 Tage später ordnete der König an, ein Schiff nach
Otaheite (Tahiti) auszusenden, um die "Piraten" zu fangen. Der Name
des Schiffs: HMS PANDORA - aber das ist eine eigene Geschichte.
Manche
Historiker meinen, dass die Meuterei der späteren Karriere des William Bligh
abträglich war. Dem kann nicht gefolgt werden, denn immerhin wurde Bligh zum
Gouverneur von New South Wales ernannt. Im sogenannten Rumkrieg verlor er jedoch
diesen schönen Titel, weil er - wieder einmal gegen seinen Willen - abgesetzt
wurde. Die wechselvolle Geschichte Blighs fand jedoch ein versöhnliches Ende,
weil er es zu seinem Lebensende noch zum Vizeadmiral brachte. Er starb,
64-jährig, hochgeachtet in England, wo ein recht ansehnlicher Sarkophag seine
letzte Ruhestätte wurde.
Waren
die Konsequenzen aus der Meuterei für Bligh noch irgendwie logisch, so zeigt
das Schicksal der Meuterer und deren Nachkommen auf, welch verschlungene Wege
der Lauf der Geschichte manchmal nimmt. Damit sind nicht die Meuterer gemeint,
die schließlich gefangen, nach England gebracht und dort abgeurteilt wurden
(mit tödlicher Konsequenz), sondern Haupträdelsführers Fletcher Christian und
seine Kumpanen, die vor der englischen Krone zunächst zu den Tubuai-Inseln,
später nach Pitcairn flüchteten und dort ihren Frieden nicht fanden. Fletcher
Christian hatte sich für Pitcairn (Bild) entschieden, weil es unzugänglich
war, weil es keinen Ankerplatz bot, vor allem aber, weil seine Position in der
damaligen Seekarte völlig falsch eingetragen war.
Recht
hatte er, denn die Häscher fanden die Meuterer auf Pitcairn nicht. Es dauerte
fast zwanzig Jahre, bis ein zufälligerweise vorbeikommender amerikanischer Walfänger
1808 die kleine Kolonie entdeckte: Einen einzigen Mann mit einer Schar von
polynesischen Frauen und Kindern. Es war John Adams, der letzte überlebende
Meuterer. Man muss die Lebensbeichte dieses Mannes in den Büchern von
Charles B.Nordhoff und James N.
Hall (in deutscher Sprache bei Edition Maritim erschienen) gelesen haben, um
eine Ahnung zu bekommen, welche Dramen sich in diesem "Paradies"
Pitcairn abgespielt haben. Zusammengerafft: Die Meuterer nahmen aus Tahiti
einige Frauen und Tahitianer auf ihre Flucht mit - offensichtlich mit deren
Einverständnis; in den folgenden Jahren kam es dann zu tödlichen
Auseinandersetzungen zwischen den Engländern und den Tahitianern und
schließlich unter den Engländern selbst, an deren Ende ein einziger
Überlebender zusammen mit den Tahitianerinnen war, eben jener John Adams (wie
auf seinem verwitterten Grabstein in Pitcairn steht, obwohl er ursprünglich als
Meuterer den Allerweltsnamen Smith trug). Wie er, nunmehr tiefgläubig,
beichtete, war er Bibellehrer für die Kinder, ihr echter und Ersatzvater
sowieso, und gegenüber den Frauen mangels weiterer erwachsener männlicher
Bewohner Pitcairns Ehemann und Liebhaber.
Das
Schicksal der Nachkommen der Meuterer war auch in den folgenden 200 Jahren
ziemlich wechselvoll. Sogar umquartiert hat man die gesamte Gemeinde, weil die
abgelegene Insel Pitcairn zu einsam war. Aber die Sehnsucht nach der Heimat
überwiegte und so leben auch heute die direkten Nachkommen auf dieser Insel.
Was für Fletcher Christian der Schutz vor seinen Häschern war, dass nämlich
die Insel völlig unzugänglich war und ist, das gilt jetzt unter den Einwohnern
als eine gewisse Attraktion. Mit einer Yacht ist sie nur schwer anzulaufen, weil
es definitiv keinen geschützten Ankerplatz gibt. Nur die Einheimischen können
mit ihrem Longboot (früher aus Holz, heute aus Aluminium) Passagiere von
Schiffen übernehmen, die praktisch auf der offenen See auf 50 bis 100 Metern
Tiefe ankern. Eine einzige Anlegestelle (Bild) gibt es, eine kleine Betonmole,
an der man bei guten Wetterbedingungen mittels Longboat an Land gelangen
kann.
Es
menschelt überall. In die Schlagzeilen der Weltpresse gelangte Pitcairn
unlängst, weil das kleine Inselparadies von einem Sexskandal erschüttert
wurde. Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, nur soviel: Es gibt auf Pitcairn -
oder besser: es gab kein Gefängnis, wozu auch, die hundert Einwohner bestehlen
sich schon nicht und die Zeiten der Vorväter, die sich gegenseitig den Kopf
einschlugen waren ja längst Geschichte? Nunmehr aber waren, man konnte es
drehen und wenden, Freiheitsstrafen fällig. Der Prozess sollte auf Pitcairn
stattfinden und so kam man auf die Idee, die Angeklagten die Zeit bis zum
Prozessbeginn damit zubringen zu lassen, sich in der Zwischenzeit ihr Gefängnis
selbst zu bauen. Was auch geschah.
Fragen
an den nächsten Verwandten vom Meuterer Fletcher Christian  Wie bist Du mit Fletcher Christian verwandt?
Tom
Christian: Fletcher
Christian war mein Ur-Ur-Ur-Großvater.
Tom
Christian, wie viele Schiffe besuchen so im Jahr Pitcairn?
Tom
Christian: Es sind so sechs bis acht. Oft können die Menschen dann nicht
anlanden, je nach Wetter. Mein Vorfahr hat die Insel ja danach ausgesucht,
dass sie "inaccessible" sein müsse!
Warst
Du schon mal am Grab von Bligh?
Tom
Christian: Ja, in England.
Was
hast Du dabei gedacht?
Tom
Christian: "Nothing!"
Welchen
Film magst Du über die Meuterei am liebsten?
Tom
Christian: Den mit Charles Laughton
und Clark Gable
Was
denkst Du über Kapitän Bligh?
Tom
Christian: Damals waren alle Kapitäne extrem streng!
Wie
starb Dein Ur-Ur-Ur-Großvater?
Tom Christian: Die Tahitianer haben ihn
umgebracht! Sie wurden ja von den Meuterern so schlecht behandelt.
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Die
größten Auswirkungen der Bountymeuterei aber hatte sie auf Tahiti selbst, dem
eigentlichen Ausgangspunkt der Geschichte. Die beiden amerikanischen
Romanschreiber Charles B.Nordhoff und James N.
Hall waren von der Bounty-Meuterei so fasziniert, dass sie beschlossen, die
Geschichte erneut niederzuschreiben, aber im Gegensatz zu den bisherigen
(zahlreichen) Veröffentlichungen historisch fundiert. Sie recherchierten in
Museen und Archiven, auch der britischen Admiralität, und sichteten das
Material gründlichst. Dann verlegten sie ihren Wohnsitz an den
"Tatort" Tahiti und schrieben dort die "wahre"
Bountygerschichte nieder - Bücher, die den Autoren Weltruhm (und ein
beträchtliches Vermögen) einbrachten und ungeahnte Konsequenzen hatten.
In
diesen Büchern kommt übrigens Bligh gar nicht so schlecht weg, wenn man die
Zeitumstände bedenkt. Die Lebensumstände für Seeleute waren damals so
schlimm, dass manche englischen Gerichte abzuurteilende Schwerverbrecher vor die
Wahl stellten: Marine oder Todesurteil. Und es gab Fälle, wo die Delinquenten
die zwangsweise Rekrutierung zur Marine ablehnten. Wenn man zudem bedenkt, dass
die Bounty nur 90 Fuß, also kaum 30 Meter lang war und sich auf ihr viele
Monate lang die Mannschaft in qualvoller Enge unter unsäglichen Entbehrungen
auf die Nerven ging, dann kann man sich leicht vorstellen, dass so ein Schiff
nach dem Motto geskippert wurde: "Die Mannschaft muss die Neunschwänzige
mehr fürchten als Stürme, Ratten, Skorbut und Maden im Brot!" Immerhin
hat Bligh ja einen Monat (vergeblich) versucht, vom Atlantik aus gegen die
Weststürme Kap Hoorn zu runden, bevor er widerwillig abgedreht ist und den
langen aber vernünftigeren Weg nach Tahiti um Afrika herum zu nehmen. Heute
würde man wohl durch die Magellanstraße segeln oder versuchen, unter
Zuhilfenahme zahlreicher Ankerplätze in der Nähe von Kap Hoorn den Pazifik zu
ereichen. Aber diese Details waren auf der Bounty noch nicht bekannt.
Im
grandiosen Film mit Marlon Brando sind diese Szenen überaus plastisch und
realitätsnah dargestellt. Wie sich der Film generell eng an die Vorlage von
Charles B.Nordhoff und James N. Hall hält. Viele halten übrigens den in den
dreißiger Jahren mit Charles Laughton gedrehten Film mit gleichem Thema für
den gelungeren. Dieser Dauerbrenner wurde bisher fünfmal verfilmt, aber keiner
hat derartige Spuren hinterlassen wie der Brando-Film - in Tahiti, im gesamten
Französisch Polynesien, also in der Südsee, und im Leben des Mimen Marlon
Brando.
Man
kann nicht sagen, dass die Südsee vor 1960 besonders abgeschieden war, auch in
der Meinung der Weltöffentlichkeit. Aber der Name Tahiti hat erst seine
faszinierende Ausstrahlung seit dem Brando-Film. Nicht wegen der großartigen
Darstellung von Fletcher Christian durch den Weltstar Brando, sondern aus ganz
anderen Gründen.
Um
vor 1960 nach Tahiti, also in die Südsee zu reisen, musste man schon einigen
Unternehmungsgeist aufbringen, wenn es galt langwierig per Schiff zu reisen,
oder sich einer abenteuerliche Inselhüpferei per Schiff und Wasserflugzeug nach
Bora Bora zu unterziehen. Und dann war man noch lange nicht in Tahiti. Denn Bora
Bora war das Endziel für die Wasserflugzeuge. Und auch für Landflugzeuge.
Schuld daran war der zweite Weltkrieg, in dem die Amerikaner auf Bora Bora einen
Basis eingerichtet hatten - nebst Flugplatz. Zeitweise waren auf Bora Bora 5000
Amerikanische Gi's stationiert mit, man kann sichs vorstellen, tief
eingreifenden Umständen für die polynesische Bevölkerung von Bora Bora, die
damals wohl auch nicht größer war.
Die
Bosse von MGM (Metro-Goldwyn-Meyer) dachten wie viele Amerikaner: "If we do
something, we do it in a big manner!" Wenn wir einen Film über die Bounty
drehen, dann brauchen wir für so ein gigantisches Projekt einen ebenso
gigantischen Flugplatz in Tahiti. Und weil Amerikaner vor nichts
zurückschrecken, machten sie das auch ganz offiziell zur Bedingung: Kein
Flugplatz für Jets in Tahiti, kein Film über Tahiti und die Bounty! Die
französische Regierung selbst entschied sich daraufhin für den Bau des
Flughafens Faaa/Papeete mit einer Landebahn über drei Kilometer Länge. Damit
war aber auch gleichzeitig der Tourismus über Polynesien hereingebrochen. Was
vieles, auch Tahiti und "die" Südsee radikal verändert hat. Zum
Guten und zum Schlechten.
Die
Dreharbeiten zum Brando-Film zogen sich fast ein Jahr hin. Und kosteten richtig
Geld, nämlich 30000 Dollar am Tag, viel Geld für 1962. Zeitweise standen 3000
Tahitianer im Sold von MGM, das sich auch mit der speziellen Mentalität der
Südseeinsulaner beschäftigen mußte. Die polynesischen Mädchen, die als
Statistinnen im Film die Meuterer bezirzen sollen, waren nämlich nicht von Haus
aus besonders anmutig. Was vielen, ja den meisten gefehlt hat, waren Zähne. So
blieb den MGM-Mangern nichts anderes übrig, als den Schönheiten Gebisse
fertigen zu lassen und zu bezahlen. Und weil die Zuverlässigkeit nicht
unbedingt eine der herausragenden Tugenden von Tahitianern ist, hatten die
Mädels jeden Abend nach den Dreharbeiten die Gebisse abzugeben. Um ihr
Erscheinen anderntags sicherzustellen.
Marlon
Brando war auch nicht pflegeleicht. Er konnte beispielsweise Bligh-Darsteller Trevor
Howard nicht riechen und so weigerte er sich mit diesem solange vor der
Kamera zu stehen, bis es sich gar nicht mehr vermeiden ließ. Dies brachte einem
Yachty einen einträgliche Job als Ersatz für Brando bei Ausleuchtungen und
Proben ein. Das wiederum verschaffte Marlon Brando genügend Freizeit, um Tahiti
besser kennenzulernen. Er verliebte sich dort in seine spätere (dritte)
Ehefrau, eine Südseeschönheit aus Tahiti, Tarita
Teriipia, die ihm zwei Kinder schenkte, darunter die Tochter Cheyenne.
Außerdem
hatte es ihm ein sozusagen vor der Haustüre von Tahiti liegendes Atoll
angetan. Es gelang ihm, Tetiaroa zu kaufen, der Name Brando half sicher, alle
bürokratischen Schwierigkeiten zu überwinden, denn schon damals war die
Regierung bestrebt, den Wildwuchs im Immobilienhandel besser zu kontrollieren.
Tetiaroa beispielsweise war vorher in den Besitz eines Zahnarztes gelangt, der
die Trauminsel als Honorar von einer seiner Patientinnen, einer tahitianischen
Prinzessin, bekommen hatte.
Mit
dem Familiendrama Brandos endet auch die Geschichte von den Spätfolgen der
Bounty-Story: Im Mai 1990 tötet der erste Sohn Brandos,
Christian, den Liebhaber seiner Tochter Cheyenne, den 26-jährigen Tahitianer
Dag Drollet. Im Gerichtsprozess gegen seinen Sohn hatte der grandiose
Schauspieler Marlon Brando wahrscheinlich einen seiner größten Auftitte: In
einer bewegenden Rede an das Gericht erreichte er, dass sein Sohn
"nur" zu 10 Jahren wegen Totschlags verurteilt wurde. Viele Beobachter
meinten damals über den Vater des Angeklagten: "Reine
Schauspielerei!" Wer Brando in dem Film "Julius Cäsar" als Marc
Anton mit der grandiosen Ansprache "but Brutus is a honourable man!"
erlebt hat, mag das bestätigen.
1995 hängt
sich Cheyenne in Tahiti auf – nur 25 Jahre alt.
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